Die Kieler Bildungsministerin und Ehefrau von Bürgermeister Olaf Scholz, Britta Ernst, über Unterrichtsausfall, Paare in der Politik und Tabuthemen zu Hause

Kiel. Den ersten Rüffel der Opposition hat sie schon kassiert, und ein Journalist prophezeite ihr in einem Kommentar ein „Desaster“ – es scheint, dass Britta Ernst (SPD) im politischen Alltag des Landes Schleswig-Holstein angekommen ist. Die neue Schulministerin, seit dem 16.September im Amt, hat es so gewollt. Nach langen Jahren in der Hamburger Bürgerschaft und einer Tätigkeit als Geschäftsführerin der SPD-Bundestagsfraktion wollte die Frau des Hamburger Bürgermeisters Olaf Scholz unbedingt in ein Regierungsamt wechseln. Das Abendblatt sprach mit ihr über ihre eigene Schulzeit, über den Kampf gegen den Unterrichtsausfall im Land und darüber, welches Thema sie zu Hause mit ihrem Mann auf keinen Fall besprechen darf.

Hamburger Abendblatt: Frau Ernst, Sie sind jetzt seit fast drei Monaten Bildungsministerin in Schleswig-Holstein und haben sich in dieser Zeit schon einige Schulen angesehen. Welchen Eindruck haben Sie dabei gewonnen?
Britta Ernst: Ich habe bei allen Schulbesuchen tolle Sachen gesehen. Häufig werde ich mit Konzerten begrüßt, zum Beispiel von Grundschülern, die Flöte spielen. Oder von Orchestern, die Jazz spielen. Alle geben sich sehr viel Mühe, ihre Schulen und auch ihre Stärken zu zeigen. Es berührt mich sehr, wenn für meinen Besuch ein dreistündiges Programm gemacht wird. Ich erlebe eine gute Stimmung. Die Schulen wissen, dass sie vor Herausforderungen stehen, und sie packen sie auch an. Natürlich wird auch an der einen oder anderen Stelle gesagt, dass man sich etwas mehr Ressourcen wünschen würde.

Lernen Sie bei solchen Besuchen auch den Schulalltag kennen?
Ernst: Ja, aber natürlich nur im Rahmen dessen, was möglich ist. Ich bin oft auch im Unterricht, so für 15 oder 20 Minuten. Das reicht, um Eindrücke zu gewinnen. Die Schulstimmung teilt sich einem mit, wenn man über die Flure geht oder über den Schulhof.

Sie kennen aus Ihrer Zeit als Bürgerschaftsabgeordnete auch die Hamburger Schulen ganz gut. Gibt es da Unterschiede zu denen in Schleswig-Holstein?
Ernst: Das kann ich nicht beantworten, weil meine Schulbesuche in Hamburg schon einige Jahre her sind.

Viele Kommunen fordern, dass das Land sie beim Schulbau unterstützen sollte – mit einem Landesschulbauprogramm, das es früher mal gegeben hat.
Ernst: Es war damals einvernehmlicher Wunsch, dass man dieses Programm beendet. Man wollte damit eine klare Trennung der Zuständigkeiten erreichen. Das Land ist seitdem nicht mehr für Schulbau zuständig.

Und daran wollen Sie auch festhalten?
Ernst: Es gibt für mich keinen Anlass, daran etwas zu ändern.

Haben Sie sich, als Sie noch Schülerin waren, über ausfallende Stunde gefreut?
Ernst: Ich habe mich gefreut. Wie alle Kinder.

Was waren Ihre Lieblingsfächer?
Ernst: Chemie und Mathematik. Also gern Naturwissenschaften. Später hat mir auch Deutsch viel Spaß gemacht.

Was hat Sie am meisten genervt?
Ernst: Wenn die Lehrerinnen und Lehrer nicht gut waren.

Haben Sie den Eindruck, dass die Unterrichtsqualität heute besser ist?
Ernst: Ja, der Unterricht ist viel besser geworden, sodass man am liebsten sofort noch mal die Schulzeit durchlaufen möchte. Schulpolitik ist häufig von den eigenen schulischen Erfahrungen geprägt. Ich versuche, so viel wie möglich zu hospitieren. Heutzutage ist der Unterricht in den Methoden vielfältiger. Das ist ein riesiger Unterschied zu früher, das habe ich damals so nie erlebt. In meiner Schulzeit beherrschte jede Lehrkraft meist nur eine Methode. Deswegen gab es manchmal den Effekt, dass man sich bei einem Wechsel der Lehrkraft plötzlich um drei Noten verbesserte.

Die Lehrer sagen allerdings auch, dass der Unterricht heute schwieriger sei als früher, weil die Schüler undisziplinierter, unruhiger seien.
Ernst: Kinder sind es mittlerweile gewohnt, mehr mitzureden und mitzubestimmen. Es ist in der Familie nicht mehr so, dass einer die Ansage macht. Die Schüler haben deshalb eine andere Lebhaftigkeit. Andererseits haben manche Schüler schwierige Elternhäuser. Und das bringen sie dann mit in die Schule.

Ein weiteres Schulproblem ist der Unterrichtsausfall. Kurioserweise lässt sich nicht einmal sagen, wie groß das Problem ist. Die Erfassung der ausgefallenen Stunden hat das Land eingestellt, weil die Erfassungsmethode fehlerhaft war.
Ernst: Ja, wir wissen derzeit nicht, wie groß der Ausfall ist. Aber wir arbeiten an einer neuen Erfassungsmethode. Dazu muss eine neue Software erprobt werden. Die ist elementar wichtig. Wir wollen wissen, wie es vor Ort aussieht und wo es gelingt, den Ausfall zu verhindern. Es ist generell ein Problem in Schleswig-Holstein, dass es hier keine einheitliche Schulsoftware gibt.

Waltraud Wende, Ihre Vorgängerin, hat aus dem neuen Schulgesetz die Begriffe „Bildung“ und „Erziehung“ herausgenommen. Hätten Sie das auch getan?
Ernst: Damit habe ich mich nicht beschäftigt. Das Gesetz ist beschlossen. Ich habe keine Veranlassung, das zu ändern.

Sie haben sich 2011 öffentlich darüber beklagt, das Paare in der Politik nicht gemeinsam Karriere machen können. Sie wichen nach Berlin aus, weil Ihr Mann damals wie heute Hamburgs Bürgermeister war und sie in der Hansestadt keine Karrierechancen sahen.
Ernst: Ich habe damals viel Bestätigung für meine Erklärung bekommen. Auch bei Journalisten kann es ein Problem sein, wenn sich Beziehungen am Arbeitsplatz anbahnen. In bin damals aber auch nach Berlin gegangen, weil ich nach 14 Jahren nicht mehr Bürgerschaftsabgeordnete sein wollte. Ich habe es nicht bereut, ich hatte in Berlin eine gute Zeit. Ich bin überzeugt, dass es irgendwann einmal in einem Kabinett ein Ehepaar geben wird.

Sie haben auch gesagt, dass es für den fruchtbaren Austausch mit Ihrem Mann eigentlich besser sei, wenn sich Ihre und seine politischen Aufgaben nicht zu sehr überschneiden würden. In einem Punkt überschneiden Sie sich nun aber doch: beim Gastschulabkommen zwischen Hamburg und Schleswig-Holstein, das derzeit neu verhandelt wird. Darüber dürfen Sie zu Hause nicht reden. Da gibt es einen ganz klaren Interessenkonflikt.Ernst: Ich weiß nicht, ob es diesen Konflikt gibt. Ich vertrete die Interessen des Landes Schleswig-Holstein. Vor diesem Hintergrund wird ein Gastschulabkommen ausgehandelt werden. Das jetzige läuft noch bis Ende 2015.

Ich finde schon, dass es einen Konflikt gibt. Es geht da ja um viel Geld. Derzeit zahlt Schleswig-Holstein jährlich 13 Millionen Euro an Hamburg. Als Ministerin sind Sie verpflichtet, ein möglichst gutes Ergebnis für Schleswig-Holstein zu erzielen. Als Ehefrau könnten Sie versucht sein, Ihrem Mann dabei zu helfen, ein möglichst gutes Ergebnis für Hamburg zu erzielen.
Ernst: Wie gesagt – ich vertrete die Interessen des Landes Schleswig-Holstein. Das Land möchte ein Gastschulabkommen aushandeln, das möglichst gut für unsere Schülerinnen und Schüler ist, und Hamburg möchte das Gleiche für seine Schülerinnen und Schüler. Das Spannungsverhältnis unserer Entscheidung in Schleswig-Holstein besteht gar nicht so sehr zwischen den beiden Bundesländern, sondern zwischen der freien Schulwahl über Landesgrenzen hinweg und den damit verbundenen Kosten.

Im Hamburger Umland gibt es den Glauben, dass das Abitur in Hamburg leichter zu erwerben sei als in Schleswig-Holstein. Gibt es dafür Beweise?Ernst: Das ist ein Gerücht, das sich seit vielen Jahrzehnten hält. Umso mehr bin ich froh, dass wir uns in den letzten Jahren bundesweit auf zentrale Bildungsinhalte und -standards sowie auf zentrale Elemente in Abschlussprüfungen verständigt haben. Damit dürfte dieses Gerücht der Vergangenheit angehören.