Wohin mit dem Atommüll? Bundesregierung denkt über Erweiterung von Schacht Konrad in Salzgitter nach

Hannover. Im Jahr 2002 blieb dem damaligen sozialdemokratischen niedersächsischen Umweltminister Wolfgang Jüttner nichts anderes übrig, als die Planfeststellung für das Atomendlager Schacht Konrad abzunicken. Andernfalls hätten dem Land millionenschwere Schadenersatzforderungen gedroht. Aber Jüttner ist es – im Rückblick betrachtet – dennoch gelungen, massiv Sand ins Getriebe der Endlagerplanung zu streuen. Er reduzierte damals das Volumen für die genehmigten Ablagerungen von ursprünglich vorgesehenen rund 600.000 auf 303.000 Tonnen, und deswegen hat Bundesumweltministerin Barbara Hendricks jetzt ein neues Problem: Nach den Berechnungen ihres Hauses nämlich hat sich der Kapazitätsbedarf seit 2001 verdoppelt.

Das liegt zum kleineren Teil daran, dass inzwischen auch Abfälle aus der Urananreicherung nicht mehr als Wirtschaftsgut, sondern als gefährlicher Atommüll kategorisiert wird. Vor allem aber liegt es an erwarteten etwa 200.000 Tonnen an schwach- und mittelaktiven Abfällen, die nach dem erklärten Willen eigentlich aller Parteien und der Bundesregierung aus dem maroden Erkundungsbergwerk Asse wieder geborgen werden sollen. Es handelt sich um inzwischen meist verrostete 126.000 Fässer. Da diese Fässer das sie umgebende Salz kontaminiert haben, kommen Experten – grob geschätzt – auf insgesamt etwa 200.000 Tonnen belastete Abfälle.

Klar ist: Das neue Endlager Konrad in einem fast unberührten riesigen Eisenerzblock hat die Größe, um zusätzliche Stollen aufzufahren für mehr Endlagerung. Darauf war schließlich das Genehmigungsverfahren ausgelegt. Und irgendwie praktisch: Die Asse und das fast fertige Endlager Schacht Konrad liegen kaum 20 Kilometer auseinander. Ebenso klar ist aber auch: Die Anwohner wehren sich, argumentieren wie SPD und Grüne im Niedersächsischen Landtag mit den längst überholten Standards aus dem Planfeststellungsbeschluss von 2002 und den noch einmal fast 20 Jahre älteren wissenschaftlichen Kriterien, die damals zur Festlegung auf den Standort führten. Die ersten Untersuchungen, angestoßen übrigens von Bergleuten, die um ihre Arbeitsplätze in bis zu 1300 Metern Tiefe fürchteten, stammen gar aus dem Jahr 1975. Damals wurde klar, dass die Erzförderung sich nicht mehr lohnte.

Was die Kritiker des Endlagers in der betroffenen Region auf die Barrikaden treibt: Zwar benennt der Entwurf des nationalen Entsorgungsplanes aus dem Bundesumweltministerium ganz eindeutig die Entsorgungslücke von 300.000 Tonnen, aber er verschiebt die Entscheidung, ob Schacht Konrad erweitert werden soll, auf einen Zeitpunkt nach 2022. Dann nämlich sollen dort die ersten Abfälle vor allem aus stillgelegten Atommeilern, aber auch aus der Forschung und dem Medizinbetrieb eingelagert werden. Die Bundesländer haben in den vergangenen Jahrzehnten viele solcher Abfälle in Landessammelstellen zwangsweise gehortet und drängen entsprechend auf die Inbetriebnahme von Schacht Konrad, um dort mehr als 100.000 Tonnen bereits vorhandener Abfälle zu entsorgen – mehr als 1500 Fässer mit Atommüll an den Standorten der Atomkraftwerke wie Brunsbüttel oder auch dem Kernforschungszentrum Karlsruhe, die verrostet sind.

Der grüne niedersächsische Umweltminister Stefan Wenzel warnt jetzt vor „hemdsärmeligen Versuchen zur Erweiterung von Schacht Konrad“. Und er warnt fast schon genüsslich, Niedersachsen habe in der Vergangenheit „schlechte Erfahrungen gemacht mit Lieferanten, die selbst nicht mehr wussten, was in ihren Atommüllfässern war“. Das zielt auf die marode Asse, wo das Bundesamt für Strahlenschutz als neuer Betreiber seit 2009 erst einmal eine umfassende und Jahre dauernde Bestandsaufnahme machen musste, weil bei der Anlieferung von Atommüll zwischen 1967 und 1978 die Gefahren der Strahlendosis kleingerechnet wurden und die Buchführung unvollständig war. Dass Niedersachsens rot-grüne Landesregierung sich jetzt mit ihrer Forderung durchsetzt, die Genehmigung für Schacht Konrad darauf zu überprüfen, ob sie überhaupt dem heutigen Stand von Wissenschaft und Technik entspricht, ist nicht zu erwarten. Dort wurden inzwischen fast drei Milliarden Euro verbaut, und die Landessammelstellen laufen über. Das Land hat praktisch keinen Spielraum, weil Ministerium, Landesbergamt und Gewerbeaufsicht nach Atomrecht nur Auftragsverwaltung betreiben für die allein zuständige Bundesebene.

Deswegen fordert der niedersächsische Umweltminister Wenzel jetzt, die vor Jahresfrist gesetzlich beschlossene Endlagerkommission solle sich nicht nur mit dem Suchverfahren für ein Endlager mit hoch radioaktivem Müll kümmern, sondern neue Vorschläge für die Endlagerung auch für weniger stark strahlenden Müll unterbreiten.

Da allerdings dürfte Niedersachsen allein stehen – so ähnlich wie beim Umgang mit den 26 Castoren, die in Frankreich und Großbritannien auf die Rückführung nach Deutschland warten. Gorleben soll das Ziel nicht sein, das ist Bestandteil des neuen Endlagersuchgesetzes. Aber bislang haben nur Schleswig-Holstein und Baden-Württemberg ihre Bereitschaft erklärt, einen Teil der Behälter an den Standorten von Atomkraftwerken mit Zwischenlagern zu parken. Gebraucht wird ein drittes Bundesland – bislang Fehlanzeige. Die Energiekonzerne klagen ohnehin gegen die Umleitung der Transporte, weil das zusätzliche Kosten verursacht.