Bürgermeisterwahl auf Sylt: Fünf Männer kandidieren – und Gabriele Pauli. Entscheidung im ersten Wahlgang ungewiss

Westerland. Es ist ein Ansturm, wie man ihn auch bei bedeutenderen Wahlkämpfen nur sehr selten erlebt. Zur offiziellen Vorstellung der sechs Sylter Bürgermeisterkandidaten drängeln sich mehr als 800 Wahlberechtigte in das tipptopp gewienerte Westerländer Kongresszentrum. 800 Menschen, die ihren Freitagabend in einer dreistündigen politischen Veranstaltung verbringen, davon kann man in den größeren Städten der Republik nur träumen. Im mehr als 100-mal so bevölkerungsreichen Hamburg muss man schon die Kanzlerin persönlich ankarren, um auf solche Zahlen zu kommen.

Es muss den Syltern also schon so einiges unter den Nägeln brennen. Man will sich höchstpersönlich ein Bild von jenen fünf Männern und jener Frau machen, die sich bei der Wahl am 14. Dezember um das Amt des Bürgermeisters von Sylt bewerben. Das Rennen ist offen. Spätestens seitdem mit Gabriele Pauli, der einst schlagzeilenträchtigen CSU-Rebellin, auch eine bundesweit bekannte Kandidatin mit von der Partie ist, mag niemand hier oben der Insel den Ausgang der Wahl vorhersagen.

Eins allerdings ist längst klar: Wahlsieger wird auf Sylt ein Parteiloser. Weder die CDU, die in der örtlichen Gemeindevertretung die meisten Abgeordneten stellt, noch die SPD, noch die Grünen, noch die Piraten noch die Linken, noch sonst irgendeine Partei haben hier einen der Ihren ins Rennen geschickt. Sie alle belassen es bei einer mehr oder weniger intensiven Unterstützung eines parteilosen Bewerbers.

Einer von ihnen hat sein Parteibuch sogar noch flink zurückgegeben, bevor es ernst wurde mit diesem Wahlkampf. Der Mann hatte bis dahin der FDP angehört und wollte sich seine Chancen nicht gleich am Anfang ruinieren. Er habe schnell gespürt, dass die Menschen einen parteilosen Bewerber bevorzugen, begründet er seinen Schritt. Der kleine Sylt-Wahlkampf 2014, er ist auch ein Menetekel für die großen Parteien dieser Republik. Ihre Attraktivität sinkt in den Kommunen noch schneller als die Mitgliederzahlen bei der freiwilligen Feuerwehr.

Andererseits ist die Veranstaltung im proppenvollen Kongresszentrum eben auch ein kleines Fest für die Demokratie. Keiner der sechs potenziellen Sylter Bürgermeister auf dem Podium des Kongresszentrums ist von vornherein chancenlos. Alle kämpfen um eine gute Performance, alle argumentieren, alle bemühen sich um eine möglichst freie Rede, um eine gute Pointe, um den größten Applaus. Alle ziehen seit Wochen durch die Gemeinde, um sich überhaupt erst einmal bekannt zu machen, um sich die Sorgen der Menschen anzuhören, ihren Ärger zu verstehen, ihre Vorschläge zu prüfen, wie es wieder besser werden könnte auf Sylt.

Denn auch das wird an diesem Abend in Westerland klar: Viele Einheimische sind überhaupt nicht zufrieden mit dem Status quo ihrer Insel. Mit den ständigen Verkehrsstaus in der Hauptsaison und den viel zu teuren Parkplätzen, mit der ungenügenden Anbindung ans Festland und der vor Kurzem erfolgten Schließung der einzigen Geburtsstation auf der Insel; mit den mangelnden Freizeitangeboten für Jugendliche, mit demografiebedingten Schulschließungen; mit den horrenden Grundstückspreisen vor allem für die aus Sicht einiger Einheimischer eine Art Maklermafia verantwortlich zeichnet, die dafür sorgt, dass sich immer mehr Insulaner die Insel schlicht nicht mehr leisten könnten. Auf Sylt, keine Frage, vermischen sich die Probleme der Ballungsgebiete mit jenen der ländlichen Regionen.

Wobei einige Sylter auch der Meinung sind, dass es sich bei den Klagen ihrer Mitbürger um ein Jammern auf extrem hohem Niveau handele. Aber eine solche Position auf dem Westerländer Podium zu vertreten und durchzuhalten, wäre vermutlich noch schädlicher für die eigenen Wahlchancen als ein FDP-Parteibuch. Also arbeiten sich alle sechs Kandidaten brav an den Problemen ab und versuchen, wenn auch recht vage, Lösungsmöglichkeiten aufzuzeigen. Es geht schließlich, wie es Versammlungsleiter und Bürgervorsteher Peter Schnittgard gerade betont, „auch um einen Traumjob“.

Also betonen alle sechs Kandidaten in ihrer Vorstellungsrunde zunächst einmal ausführlich ihre „Unabhängigkeit“, ihre „Überparteilichkeit“, ihre „absolute Unabhängigkeit“, ihren „Idealismus“. Sie bezeichnen sich als „engagierte und parteiloser Bürger“, wollen auf „Bürgernähe und Transparenz“ setzen oder betonen, dass man zwar seinen „Überzeugungen treu geblieben“ sei, „aber nicht seinen Parteibüchern“. Alle sechs, die ehemalige CSU-Landrätin Gabriele Pauli wie der frühere Aachener FDP-Mann Robert Wagner, der mit Unterstützung der SPD auftretende Nikolas Häckel wie der von der CDU gestützte Bernd Reinartz, der Insulaner Lars Schmidt wie der Kölner Polizist Markus Ballentin, sie setzen vor allem auf eines: Parteiferne.

Was dabei nicht ganz so klar wird an diesem Abend, ist, wer wohl am geeignetsten für das Amt ist, das die jetzige Amtsinhaberin Petra Reiber (natürlich: parteilos) weniger als Traum- denn als „Knochenjob“ bezeichnet hat. Wer also tatsächlich die Sorgen der Sylter am besten lindern könnte. Eine Stiftung zu initiieren, aus deren Einlagen sowohl bezahlbare Wohnungen ausschließlich für Einheimische als auch ein inseleigener Kreißsaal finanziert werden könnten, diese Idee vertreten gleich mehrere Kandidaten. Die Frage, wie und von wem das Stiftungsgeld eingetrieben werden könnte, bleibt dabei allerdings erst einmal offen.

Einig sind die Kandidaten ebenfalls darin, dass „Abwanderung von der Insel gestoppt werden muss“, dass man „mehr für die jungen Familien tun müsse“ und dass man die Probleme „miteinander“ werde lösen müssen. Robert Wagner, der wegen seines frech-forschen Auftritts und trotz seiner FDP-Vergangenheit so etwas wie der Liebling des Abends ist, verspricht den einheimischen Jugendlichen eine neue Freizeithalle auf dem Gelände des alten Fliegerhorsts. Gabriele Pauli würde gerne auch ein bisschen Geld für den Weihnachtsmarkt lockermachen.

Es sind solche wenigstens ein wenig konkreteren Versprechungen, die den größten Applaus bekommen an diesem bemerkenswerten Sylter Abend, an dessen Ende noch etwas so gut wie feststeht: Die nötige absolute Mehrheit wird am 14. Dezember mit ziemlicher Sicherheit keiner der sechs Kandidaten erhalten. Wer Bürgermeister wird auf Deutschlands beliebtester Urlaubsinsel, das wird sich erst im neuen Jahr entscheiden. Die Stichwahl der beiden im ersten Wahlgang erfolgreichsten Bewerber ist für den 11. Januar angesetzt.