Niedersachsen bekommt neues Schulgesetz. Rot-Grün hofft auf mehr Bildungsgerechtigkeit, CDU und FDP empört

Hannover. Lehrer und Schüler in Niedersachsen müssen umlernen: Die rot-grüne Landesregierung hat am Dienstag die Gesetzesvorlage für eine umfassende Reform des Schulgesetzes beschlossen. Der politisch brisanteste Punkt angesichts des Rückgangs der Schülerzahlen: Die Gesamtschule wird zur ersetzenden Schulform, kann künftig also auch Gymnasien verdrängen. Einschränkung dabei: Es muss weiter der Besuch eines Gymnasiums unter zumutbaren Bedingungen möglich sein.

Kultusministerin Frauke Heiligenstadt (SPD) spricht von einem Bildungschancengesetz: „Die optimale Unterstützung und Förderung der Kinder wird in den Mittelpunkt gerückt.“ Dies und andere zentrale Punkte der Novelle stoßen auf wütenden Protest der Oppositionsparteien CDU und FDP. So entfällt künftig die Schullaufbahnempfehlung für die Kinder am Ende der vierten Klasse für die Wahl der weiterführenden Schule. Stattdessen soll es Beratungsgespräche über die individuelle Lernentwicklung des Kindes geben. Mit dem Wegfall der Empfehlung wird es den Schulen erklärtermaßen auch erschwert, Kinder etwa vom Gymnasium zwangsweise auf andere Schulen zu versetzen. Grundschulen können zudem künftig, wie bereits für die Klassen eins und zwei möglich, auch die Klassen drei und vier als pädagogische Einheit führen. Und ebenfalls auf der Ebene der Schulträger, respektive der Schulen, kann ein Verzicht auf die klassischen Schulnoten entschieden werden.

Das Land wird den Weg weitergehen, die Förderschulen auslaufen zu lassen mit dem Ziel der gemeinsamen Beschulung in Regelschulen. Vorreiter sind dabei die Förderschulen Sprache. Der FDP-Abgeordnete Björn Försterling erinnerte am Dienstag daran, Zehntausende Eltern in Niedersachsen hätten dagegen eine Petition unterzeichnet: „Ihre Forderung wird von Rot-Grün verhöhnt.“

Geplant ist jetzt ein umfangreiches Anhörungsverfahren mit allen beteiligten Gruppierungen. Wenn der Landtag danach das Gesetz mit seiner rot-grünen Ein-Stimmen-Mehrheit verabschiedet, wird es zum nächsten Schuljahr 2015/2016 wirksam. Geregelt wird in der Schulgesetznovelle auch die von der Landesregierung schon vor Monaten unter dem Druck vieler Verbände zugesagte Rückkehr aller Gymnasien in Niedersachsen zum Abitur nach neun statt acht Jahren. Für die Gesamtschulen hat die Landesregierung die Verlängerung auf neun Jahre bereits realisiert. Zudem wurde die Gründung neuer Gesamtschulen erleichtert, die jetzt nur noch vierzügig sein müssen, in Einzelfällen sind sogar Gesamtschulen mit nur drei Klassen je Jahrgang möglich. Außerdem können Gesamtschulen erweitert werden um die vier Grundschuljahre.

Festgeschrieben wird im Schulgesetz auch die größere Bedeutung von Ganztagsschulen. Inzwischen bieten 1700 Schulen und damit deutlich mehr als die Hälfte der allgemeinbildenden Schulen in Niedersachsen Ganztagsangebote an, dafür gibt das Land seit Beginn des Schuljahres im September auch deutlich mehr Geld für Qualitätsverbesserung aus.

Mit der Schulgesetznovelle setzen SPD und Grüne viele Punkte um, die sie im Koalitionsvertrag ausgehandelt haben, der im Februar 2013 Basis war für die Wahl der neuen Landesregierung unter Ministerpräsident Stephan Weil. Die schulpolitischen Sprecher der Oppositionsparteien beklagten wortgleich, Niedersachsen sei auf dem Weg zum „Einheitsschulland“. Der CDU-Abgeordnete Kai Seefried warnte: „Die Ministerin gefährdet mit dem Gesetz alle bestehenden Gymnasien.“ Der FDP-Abgeordnete Försterling sieht einen massiven Angriff auf die Schulvielfalt: „Jetzt hat die Ministerin die Maske fallen lassen.“

Ausdrückliches Lob gab es nicht nur von SPD und Grünen, sondern auch der Lehrergewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Deren Landesvorsitzender Eberhard Brandt lobte, die Novelle trage dem wachsenden Interesse von Eltern an höheren Bildungsabschlüssen für ihre Kinder Rechnung. CDU und FDP dagegen betreiben nach seiner Einschätzung Panikmache: „Ihre absurden Unterstellungen entbehren jeglicher Grundlage.“

Unabhängig von der jetzt vorliegenden Gesetzesnovelle schwelt aber der Konflikt zwischen GEW und Philologenverband einerseits und rot-grüner Landesregierung wegen der den Gymnasiallehrern verordneten Mehrheit andererseits. Unverändert verweigert die Mehrheit der Lehrer an den Gymnasien Klassenfahrten und freiwillige Arbeitsgemeinschaften, die GEW droht mit Streiks, und der Philologenverband will gegen die Erhöhung der Unterrichtsverpflichtung um eine auf 24,5 Wochenstunden klagen.