Die Dienstwagen-Affäre und eine Reihe von Politpannen – so geraten Stephan Weil und seine Regierung in die Defensive

Wenn der niedersächsische Landtag im Dezember tagt, sind Staus programmiert: Erstmals nach Antritt der rot-grünen Landesregierung wollen die Bauern mit Treckern und absehbar auch Blockaden in der Landeshauptstadt die Muskeln spielen lassen. Vielleicht noch wichtiger: Auch in der großen Koalitionsfraktion SPD formiert sich Widerstand gegen die so gar nicht sanfte Agrarwende des grünen Landwirtschaftsministers Christian Meyer.

Und auch sonst läuft derzeit nichts rund für den Ministerpräsidenten Stephan Weil und sein Bündnis. Der Staatsgerichtshof in Bückeburg hat der Landesregierung am Freitag glatten Verfassungsbruch attestiert durch die umfangreiche Verweigerung von Akten, die die Opposition angefordert hatte über die Affäre Paschedag. Das Urteil ist eine Blamage für die Regierungszentrale. Schließlich hatte die Staatskanzlei unter ihrem Chef Jörg Mielke die Federführung bei dem Versuch, die Oppositionsrechte klein zu buchstabieren.

Im Grunde genommen hat das Formtief bereits im September 2013 begonnen, als der grüne Agrarstaatssekretär Udo Paschedag wegen der Anschaffung einer zu großen Dienstlimousine gefeuert wurde. Die Mini-Affäre war ein Weckruf für die Opposition, aber merkwürdigerweise kein Grund für die Regierungsparteien, angesichts der knappen Einstimmenmehrheit im Landtag die Reihen zu schließen. Gerade einmal zehn Tage ist es her, dass ein grüner Landesparteitag Front machte gegen den Bau der Autobahnen 20 und 39. Und auch beim Thema Fracking lehnten die Delegierten mehrheitlich den zwischen dem grünen Umweltminister Stefan Wenzel und dem SPD-Wirtschaftsminister Olaf Lies ausgehandelten Kompromiss rundweg ab: Fracking ist aus grüner Sicht Teufelswerk in dem Bundesland, in dem mehr als 90 Prozent der deutschen Gasförderung stattfinden, inklusive der daran hängenden rund 20.000 Arbeitsplätze. Das war ein Stück Demontage des zum Realo-Flügel gehörenden Umweltministers Wenzel und ein Indiz dafür, dass mehr als die Hälfte der Delegierten lieber der reinen Lehre folgen möchte, als Sachzwänge zu akzeptieren. Und ganz nebenbei ist der Parteitagsbeschluss der Grünen auch ein Tritt vors Schienenbein des Ministerpräsidenten, der die Schnellstraßen landauf, landab als notwendig hinstellt.

Zu den Sachzwängen würde für die Landesregierung eigentlich auch gehören, in der Agrarpolitik einen goldenen Mittelweg zu finden zwischen mehr Umwelt- und Tierschutz und den Interessen der Branche im Agrarland Nummer eins der Bundesrepublik. Genau das aber ist die Sache nicht des zum linken Flügel der Grünen gehörenden Landwirtschaftsministers Meyer. Er piesackt im Wochenrhythmus die Bauern und die nachgelagerte Veredlungswirtschaft mit neuen Verordnungen, Einschränkungen und Gebühren. Als ehrenrührig sehen die Bauern zudem die Anfang dieses Monats eingerichtete „Anonyme Meldestelle“ für Verstöße oder Missstände im Bereich von Verbraucherschutz, Tiergesundheit und Tierschutz an.

Um bäuerliche Existenzen im großen Maßstab geht es bei dem von Meyer vorgelegten Entwurf für eine neue Landesraumordnung. Wenn nämlich, wie geplant, Torfe im großen Maßstab wieder vernässt werden, fehlen den Landwirten diese Flächen dauerhaft: Angesichts der ohnehin großen Konkurrenz durch den ständigen Flächenverbrauch etwa für Straßen- und Häuserbau sind die Kauf- und Pachtpreise regelrecht explodiert. Aufgeschreckt aber hat Landwirtschaftsminister Meyer dieses Mal nicht nur die Bauern, sondern auch die SPD-Abgeordneten im Landtag. Es gibt ein fraktionsinternes Papier, in dem sich die SPD „ein eigenständiges Abwägungsverfahren“ vorbehält, eine Anhörung ankündigt und die Wiedervernässung von Mooren an die „ausdrückliche Zustimmung des Eigentümers“ binden will: „Wir nehmen die berechtigten Interessen der niedersächsischen Landwirtschaft ernst.“ Das Landvolk als die mit Abstand größte Vertretung der Bauern hat Meyer vorgeworfen, er führe „Verbraucher und die eigene rot-grüne Landesregierung hinters Licht“. Und genau hier kommt Ministerpräsident Weil wieder ins Spiel, der erst kürzlich erfolglos Landvolk und Landwirtschaftsminister an einen Tisch gebeten hatte, um zu deeskalieren. Wenn sich jetzt der Eindruck verstärkt, dass Meyer seinen Konfrontationskurs stur weiterverfolgt, kann dies auch Weil beschädigen – Trecker vor dem Landtag sind da erst der Anfang.

Und auch drinnen im provisorischen Plenarsaal im Leineschloss gerät die Landesregierung immer häufiger in die Defensive. Nicht ausgestanden sind die Probleme der grünen Justizministerin Antje Niewisch-Lennartz rund um mehrere Ausbrüche gefährlicher Straftäter aus Justizvollzug und Maßregelvollzug, bei denen die zuständige Ministerin erst spät die Öffentlichkeit informierte, anfangs auch die Gefährlichkeit eines Ausbrechens kleingeredet wurde. Die Staatsanwaltschaft Göttingen ermittelt gegen die Staatsanwaltschaft Hannover wegen des Verdachts, Vertreter der Behörde und/oder des Ministeriums hätten Details der damaligen Ermittlungen gegen den früheren Bundespräsidenten an Medien weitergegeben. Im Falle des früheren SPD-Bundestagsabgeordneten Sebastian Edathy wegen des Verdachts des Besitzes kinderpornografischer Bilder musste die Ministerin mehrfach ihre eigenen Aussagen korrigieren.

Vor allem aber hat die Landesregierung ein ganz besonderes Kunststück fertiggebracht: Trotz deutlich höherer Ambitionen und höherer Ausgaben im Bildungsbereich gibt es keinen Schulfrieden. Es gärt unverändert vor allem an den Gymnasien wegen der dort verordneten Mehrarbeit von einer Wochenstunde, die Inklusion sorgt für zusätzliche Unruhe.