Bei der Geka in der Heide werden chemische Kampfstoffe und Blindgänger entsorgt. Einzige Einrichtung in Deutschland

Munster. Beige Platten aus Beton führen geradlinig durch die Kiefern, Fahrbahnmarkierungen gibt es nicht. Der sogenannte zivile Durchgangsverkehr darf hier zwar fahren – anhalten, parken oder gar austreten aber nicht. Wer die Panzerringstraße durch die Truppenübungsplätze von Munster fährt, will das auch selten. Sondern hofft auf ausreichend Benzin im Tank und Akkukapazität im Mobiltelefon mit Navigationsfunktion. Bis unvermittelt ein Schild zur Zivilisation weist: der Geka, Deutschlands einzigem Entsorger für chemische Kampfstoffe.

Gesellschaft zur Entsorgung von chemischen Kampfstoffen und Rüstungsaltlasten mbH heißt die Geka korrekt, Alleingesellschafter und größter Auftraggeber ist das Bundesverteidigungsministerium. Hinter der Schranke im Nichts zwischen Munster und Wriedel, dort, wo auf der Landkarte alles grau ist, entsorgen Ingenieure, Chemikanten und Feuerwerker die Hinterlassenschaften beider Weltkriege: vor allem Blindgänger, wie sie bei Bauarbeiten in Hamburg oder aktuell in Lüneburg ständig gefunden werden, und Arsen. Die Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW) in Den Haag kontrolliert die Arbeit in der Lüneburger Heide – eine Arbeit, die sonst niemand im Bundesgebiet macht.

Als die Bundesregierung ihren Anteil an der Vernichtung syrischer Chemiewaffen zusagte, wussten alle 140 Mitarbeiter daher sofort: Das wird unser Job.

Konkret geht es um syrisches Senfgas. Wobei Senfgas, auch S-Lost genannt, kein Gas ist. Es ist eher honigartig in der Konsistenz, kann daher ganze Gelände verseuchen. Mit der Folge, dass Menschen Schutzanzüge tragen müssen, Soldaten Kampfkraft verlieren. Gasmasken reichen nicht aus. Berührt die Haut den Stoff, verbrennt sie, die chlorhaltige Verbindung greift Netzhaut und Schleimhäute an. Auf deutscher Seite kam S-Lost zum ersten Mal 1917 zum Einsatz, und dort, wo die Geka heute chemische Waffen entsorgt, hat Deutschland sie bis zum Zweiten Weltkrieg selbst abgefüllt.

Andreas Krüger, 48, ist promovierter Chemiker und Geschäftsführer der Geka. Seit bekannt ist, dass seine Leute die Überreste des syrischen Senfgases unschädlich machen werden, war der arabische Sender al-Dschasira zu Besuch und jüngst auch der Kinderkanal für seine Nachrichtensendung „logo!“.

Dabei ist das, was zehn Lastwagen vom Hafen in Bremen in die Heide gekarrt haben, im strengen Sinne gar kein Senfgas mehr. „Wir entsorgen Hydrolysat“, sagt Krüger und weiß, dass er das erklären muss. „Das ist mit Wasser verflüssigtes und chemisch umgesetztes Senfgas.“ Die Vorarbeiten haben die Streitkräfte der Vereinigten Staaten von Amerika auf ihrem Frachtschiff „Cape Ray“ vor der italienischen Küste erledigt.

Nicht ganz so gefährlich wie Nervenkampfstoffe und relativ einfach zu handhaben, gehört S-Lost immer noch zu den weit verbreiteten Kampfstoffen. Seit den Giftgasangriffen am 21. August 2013 bei Damaskus mit rund 1500 Toten geriet Syrien unter Druck und trat der internationalen Chemiewaffenkonvention sowie der OPCW bei.

Deutschlands Beitrag zur Vernichtung der syrischen Waffen sind 23 Container – gefüllt mit 340 Tonnen Senfgasresten und 30 Tonnen kontaminierten Schutzanzügen, Fässern und Masken, ausgeladen am 5. September im Hafen von Bremen.

Ulrich Stiene, 56, ist für die Betriebstechnik zuständig und schüttelt zur Demonstration eine Glasflasche mit brauner Suppe – aus einem der amerikanischen Tanks abgefüllt. Toxisch ist die Flüssigkeit zwar nicht mehr, ätzend aber schon. Steht sie lange genug, setzen sich unten Schwebstoffe ab. Verbrannt wird die ehemalige Waffe in einem Ofen, bei 900 Grad.

Nachbrennkammer, Säurewaschturm, Basiswaschturm, Elektronassfilter: Die Feststoffe werden ausgeschlemmt, und was als Dampf aus dem rot-weißen Schornstein in die Luft über der Heide steigt, ist nur noch Wasser, das Kohlendioxid ist unsichtbar. Der Rest wird im Vakuum bei 45 Grad gekocht – übrig bleiben Salze. Sie wandern in Fässern in eine Untertagedeponie in Thüringen. Was in Syrien Senfgas war, ist in Munster Wasser, Kochsalz und Natriumsulfit.

Im Raum neben den Waschtürmen leuchten grüne, graue und blaue Balken auf dem Computerbildschirm. Sie zeigen die Werte unter anderem von Kohlendioxid, Kohlenmonoxid, Schwefeldioxid und Quecksilber. „Die Daten gehen online direkt an die Gewerbeaufsicht in Celle“, sagt Stiene. „Die sehen immer ganz genau, was wir hier machen.“

Eine knappe Million Euro kostet die Entsorgung der ehemaligen syrischen Waffe in Munster, fertig sein will die Geka damit spätestens im Februar. Dann läuft der Alltag in der Heide weiter: Fliegerbomben zersägen und sprengen, die als Blindgänger in Hamburg oder Hannover gefunden und entschärft worden sind.