Schleswig-Holsteins Innenminister Andreas Breitner wechselt in die Wohnungswirtschaft. Und der Fall Wende wirft weiter Fragen auf

Kiel. Wenn der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Torsten Albig (SPD) dieser Tage vor die Kameras tritt, geht es um Rücktritt. Erst Waltraud Wende, jetzt Andreas Breitner: Innerhalb von zwei Wochen hat Albig ein Viertel seines Kabinetts verloren. Anders als die Bildungsministerin, die gehen musste, weil die Staatsanwaltschaft gegen sie ermittelt, hört der Innenminister aus freien Stücken auf. „Im Kabinett bin ich ersetzbar, in der Familie nicht“, sagte der Vater von drei Kindern (zwei sind vier, eines sechs Jahre) am Donnerstag vor der Presse. Im Mai 2015 will Breitner seinen neuen Chef-Posten beim Verband Norddeutscher Wohnungsunternehmen (VNW) antreten. Bis dahin ist er ganz für die Familie da.

Für Albig sind beide Rücktritte gleichermaßen schmerzhaft. An Wende hatte er sehr lange und mit sehr viel Pathos festgehalten, Breitner ist zweifellos ein Schwergewicht im Kabinett. Der Ministerpräsident sprach von einem „Moment der Enttäuschung“. Der SPD-Fraktionsvorsitzende Ralf Stegner wurde deutlicher. Der Zeitpunkt des Rücktritts sei „unverantwortlich“.

Breitner sieht das ähnlich. „Der Zeitpunkt ist ungünstig, das ist mir klar“, sagte er. Nach dem Rücktritt Wendes, nach der Präsentation der Nachfolgerin Britta Ernst, war die Regierungskoalition aus SPD, Grünen und SSW in ihre erste größere Krise geschlittert. Der Ministerpräsident hatte es verabsäumt, die Fraktionen über die mit dem personellen Wechsel verbundenen Neuzuschnitte zweier Ressorts zu informieren. Die Grünen hielten das für einen Koalitionsbruch, nur mühsam konnte das Bündnis gekittet werden. Am Dienstag wurde der neue Frieden verkündet.

Erst am Dienstag hatte die Koalition einen Streit mühsam gekittet

Am Mittwoch passierte nichts, am Donnerstag knallte es. Breitner versuchte am Abend bei einer Pressekonferenz, um Verständnis für seine Entscheidung zu werben. „Ich habe nach einem Jahr als Minister gemerkt, dass das mit Familie nicht zusammenpasst“, sagte er. „Ich habe dann versucht, den Job anders zu machen – und habe gemerkt, dass das auch nicht geht.“

Im August sei das Angebot vom VNW gekommen. Er habe zugesagt. Am Mittwoch sei er zum Verbandsdirektor gewählt worden. Am selben Tag habe er Albig informiert. Der sagt, er hätte gern früher von den Vertragsverhandlungen seines Innenministers gewusst. Breitner gibt zu: „Das war mein kleiner Egoismus. Ich habe gedacht: Wenn ich es sage, bevor es sicher ist, gefährde ich es.“ Energisch widersprach er Vermutungen, Wendes Rücktritt habe seine Entscheidung mitbestimmt. „Damit hat es nichts zu tun“, sagte er. „Es geht ausnahmsweise mal nur um mich.“ Auch Waltraud Wende ging es wohl nur um Waltraud Wende – und das nicht nur ausnahmsweise. Ein Schreiben, das jetzt aufgetaucht ist, legt den Verdacht nahe, dass sie das Parlament getäuscht hat. Die ehemalige Bildungsministerin hat offenbar sehr viel früher als bislang behauptet versucht, ihre berufliche Zukunft rechtswidrig abzusichern. Die Kieler Staatsanwaltschaft ermittelt wegen des Verdachts der Bestechung, der Bestechlichkeit und des Betrugs gegen sie. Wende war vor ihrer im Juni 2012 begonnenen Ministerzeit Präsidentin der Uni Flensburg. Der Senat der Uni hatte ihr, als sie schon auf dem Sprung ins Ministeramt war, am 30. Mai 2012 eine Rückkehrvereinbarung genehmigt. Im Gegenzug soll Wende den damaligen Uni-Kanzler Frank Kupfer für eine weitere Amtszeit vorgeschlagen haben.

Am 14. August durchsuchten Ermittler das Bildungsministerium, die Staatskanzlei und Privatwohnungen von Wende und Kupfer. Sie wurden offenbar fündig. In den Unterlagen des Kanzlers befand sich ein nicht unterzeichnetes Schreiben von 17. Oktober 2011. Es trägt den Briefkopf des Uni-Kanzlers. In dem Papier wird beschrieben, dass Wende nach ihrem Ausscheiden aus dem Präsidentenamt eine Professorenstelle an der Uni bekommen sollte – und einen Gehaltsaufschlag, der dazu geführt hätte, dass sie weiter wie eine Präsidentin bezahlt worden wäre.

Mit diesem Schreiben wird – wenn es echt ist – die bisherige Darstellung von Wende infrage gestellt. Es bringt aber auch Albig in Gefahr, der Wendes Darstellung mit eigenen Aussagen gestützt hat. Demnach hatten beide erst im Februar oder März 2012 über die Möglichkeit gesprochen, dass die Uni-Präsidentin Ministerin werden könnte. Ostern 2012, so Wende, sei es zu einem weiteren Gespräch gekommen. „Am Ende habe ich zu ihm gesagt, ja, ich stünde vorbehaltlich der Klärung meiner Situation zur Verfügung, ob ich, falls ich ins Kabinett wechseln würde, die Möglichkeit hätte, falls etwas schiefgehe, zurückzukehren“, berichtete Wende vor rund vier Monaten dem Bildungsausschuss. Erst nach diesem Gespräch habe sie sich mit der Frage beschäftigt, wie sie für den Fall eines Scheiterns als Ministerin abgesichert sei.

Diese Beschäftigung nahm skurrile Züge an. Die Uni-Spitze hatte offenbar Schwierigkeiten, dem Wunsch von Wende Folge zu leisten. Das führte zu einer Reihe von halb amüsierten, halb erbosten Mails der Präsidentin an ihre „lieben Männer des Präsidiums“. Am 11. Mai schrieb sie: „Das Präsidium kann beschließen, mir eine Rückfalloption anzubieten, die erstens eine Professur beinhaltet und zweitens die Leistungszulage regelt (und bitte, Herr Kupfer, machen Sie Letzteres nicht wieder kompliziert).“ Dieses „nicht wieder“ ist zunächst schwer zu verstehen, denn Wende hatte nach eigener Aussage erst zwei oder drei Tage vor dem 11. Mai ihr Präsidium darüber informiert, dass sie eine solche Option haben wolle. Spielte sie also auf das Schreiben vom Oktober 2011 an, das Kupfer, der „alles kompliziert“ machte, damals nicht unterschrieben hatte?

Tatsache ist jedenfalls, dass die Rückkehrvereinbarung, die im Mai 2012 abgeschlossen wurde, bis auf einen Punkt identisch ist mit dem Schreiben vom Oktober 2011. Wende hat das damals Gewünschte erhalten, ergänzt um ein „Sabbatical“ – also um ein unterrichtsfreies Einarbeitungsjahr.

Gab es damals, im Herbst 2011, schon einen konkreten Anlass, sich Gedanken um ihre berufliche Zukunft zu machen? War sie schon wesentlich früher als bekannt für den Posten der Bildungsministerin im Gespräch? Die Staatskanzlei bleibt auf Anfrage bei ihrer Darstellung, dass dies erst im Frühjahr 2012 besprochen worden sei. Allerdings hat es im Herbst 2011 schon einen ersten Kontakt gegeben. Wende beschrieb dieses Treffen im Bildungsausschusses so: „Bei diesem Gespräch haben wir unter anderem über die Hochschullandschaft, über die Bildungspolitik und auch schon über Schwierigkeiten und Herausforderungen einer zukünftigen Kabinettszusammensetzung gesprochen.“ Man müsse überlegen, wer als Minister geeignet sei. Wende weiter: „Wir kamen nicht auf den Namen Wende, aber wir haben uns damals relativ intensiv über solche Fragen unterhalten.“

Am Ende wurde sie tatsächlich Ministerin. Nach gut zwei Jahren kam das Aus. Wende hatte da schon auf ihre rechtlich ohnehin nicht haltbare Rückkehrvereinbarung verzichtet. Warum die Uni Flensburg sie abgeschlossen hat, ist nach dem Fund beim Kanzler Kupfer unklarer denn je. Am Mittwoch berieten die Uni-Spitzen, unter ihnen Kupfer, auf einer Sondersitzung des Senats die Lage. Ist der Kanzler, gegen den die Staatsanwaltschaft ermittelt, noch zu halten? Bis Redaktionsschluss gab es dazu von der Uni keine Auskunft.