Enthusiasten aus Latendorf in Schleswig-Holstein machen die ehemalige Yacht wieder fit für Segeltörns auf der Ostsee. Bis zum 100. Geburtstag im Jahr 2019 sollen die Arbeiten abgeschlossen sein.

Latendorf. Wie ein Dinosaurier im Koma liegt sie da. Stahlstangen fixieren den 21 Meter langen Koloss, der mächtig in die Jahre gekommen ist. Das Holz im Rumpf ist rott, die Masten sind weg, die 80-PS-Maschine liegt daneben und leuchtet rostbraun. Die „Cleone“ hat schon bessere Tage gesehen: Anfang der 20er-Jahre gewann sie zweimal die Transatlantikregatta England–New York. Am Ruder des eleganten Zweimasters stand Sydney Chaplin, Bruder von Filmstar und Regisseur Charlie Chaplin. Jetzt liegt die betagte Schönheit mitten im holsteinischen Latendorf bei Neumünster aufgebockt in einer Halle. Weit und breit ist kein Wasser zu sehen, doch Eigner Michael Heidelmann ist überzeugt, dass die „Cleone“ bis zur ihrem 100. Geburtstag im Jahr 2019 wieder erwachen wird und in See stechen kann.

„Ich wollte endlich mal was Vernünftiges machen“, sagt Heidelmann, der 30 Jahre erfolgreich als Unternehmer in der IT-Branche gearbeitet hat und mit 55 Jahren den Job hinwarf und sich von seinem Leben in Hochgeschwindigkeit verabschiedete, um sich mit den eigenen Händen einen Traum zu erfüllen. Der heißt „Cleone“ und die Arbeit in einem Team von Freunden, die sich ebenfalls darauf freuen, eines Tages auf der Ostsee zwischen Flensburg und Wismar zu segeln. Dann ist Heidelmann 63.

Einer aus dem Team ist Kurt Scharlibbe. Bis vor wenigen Jahren war er Landwirt und Herr über 135 Milchkühe. Dann warf auch er den Job hin und verkaufte die Tiere. „Man hat als Bauer zwei Leben“, sagt der 62-Jährige. „Eines vor den Kühen und eines danach. Jetzt mache ich nur noch das, was mir Spaß macht.“ Dort, wo einst sein Silo stand, ruht jetzt die „Cleone“ in einer 37 Meter langen und 8,50 Meter hohen Halle.

Ausführlich hat sich der Landwirt mit der Geschichte der Gaffelketsch beschäftigt, die 1919 in Sittingbourne in der britischen Grafschaft Kent gebaut wurde. Damals hieß sie noch „Fred & Dan“, dann kamen die Chaplins. Sydney segelte. Sein Bruder Charlie habe 1928 das Schiff als „Cleone“ gekauft, erzählt der Landwirt. Im Archiv der BBC liegt ein Schwarz-Weiß-Film, der den Weltstar gut gelaunt an Bord zeigt. Sobald er die Kamera sieht, beginnt Chaplin komische Grimassen zu schneiden. Auch Künstlerin Andrea Lingnau ist regelmäßig in der Halle zu Gast und produziert aus Holzresten der „Cleone“ bunte Kunstwerke. „Latendorfer Werftatelier“ nennt sie ihren Arbeitsplatz auf einer Plattform vor dem Bug des Schiffes. 50 Prozent des Erlöses investiert sie in den Wiederaufbau des Seglers.

Zum „Cleone“-Team gehören außerdem Ulf Stümer, der Tischler, Thorsten Menke, der Motorenfachmann, Ingo Bumann, der Maschinenbauer und Kai Fischer, der 35 Jahre in der Marine gedient hat. Die „Cleone“ ist ihr Hobby geworden. Geld verdient hier keiner mit seiner Arbeit. Auch Martina Nitschke ist dabei, die als Coach Seminare für Männer anbietet und mit ihren Gruppen in die Halle geht. „Hier kann man sehen, wie Träume verwirklicht werden“, sagt sie. „Wo kann man Leben besser vermitteln?“

Doch vor dem Traum kommt die Arbeit und der Einsatz der eigenen Ersparnisse. Vier Jahre hat Michael Heidelmann recherchiert, bis er die „Cleone“ fand. Ihn lockte die Eleganz und besonders die Schnelligkeit des Veterans.

Was nach der Chaplin-Episode jahrzehntelang mit dem Schiff geschah, liegt bis 1988 im Dunkeln. Damals kaufte ein niederländisches Künstlerehepaar den Segler, der als schwimmende Wohnung und Atelier auf Nord- und Ostsee unterwegs war. 2004 lief die „Cleone“ vor Borkum auf Grund, sie wurde an Land gezogen. Für die Reparatur fehlte den Künstlern das Geld. Viele Kaufinteressenten meldeten sich bei dem Ehepaar, doch die Eigner wollten nicht verkaufen. Bis 2011 Michael Heidelmann kam.

Ihm gelang es schließlich, das bereits halb verfallene Schiff zu kaufen. „Es war nicht fünf vor zwölf, es war zwölf“, sagt er über den Zustand des Bootes. Auch der Tod der einstigen Eignerin gehört zur Geschichte der „Cleone“, sie starb nach Abschluss der Vertragsverhandlungen auf der Heimfahrt. Ihre Urne soll tief im Bauch des Schiffes verbaut werden.

30 Meter war der Trailer lang, der von der Borkum-Fähre bis nach Latendorf die „Cleone“ transportierte. Ein Kran hievte den mastlosen Veteran in die Halle von Bauer Scharlibbe, erst dann bauten die Männer das Dach. Wichtigstes Baumaterial ist Holz, je härter desto besser. Scharlibbe hatte noch 15 Jahre gelagerte Eichenstämme vorrätig, die für den dicken Bauch der „Cleone“ verbaut werden.

Um sich die neuen, 20 Meter langen Masten zu besorgen, zog das „Cleone“-Team mit einen professionellen Holzfäller nachts ins Latendorfer Gehölz – zur Mondfällung. Was für die Männer um Heidelmann zunächst nach holsteiner Spökenkiekerei klang, erwies sich als hervorragender Tipp: Wenn der Vollmond am höchsten steht, steigt der Saft der Douglasien in Äste und Blätter. Im Stamm herrscht quasi Ebbe. Wird der Baum in dieser Stunde gefällt, hält er auch den schlimmsten Stürmen stand. In wenigen Wochen steht im 600-Einwohner-Ort Latendorf ein Fest auf dem Programm. Das Team „Cleone“ will die Kiellegung der alten Lady feiern. Weitere Partys werden folgen, bis aus der „Cleone“ wieder ein Traum von einem Schiff wird.