Nach dem Fund einer Fliegerbombe evakuiert die Polizei die Innenstadt. Kneipen und Kinos vorübergehend geschlossen

Lüneburg. Eigentlich wollte Daniel Thiede nach der Arbeit in Lüneburg mit dem Zug zurück nach Harburg fahren. Stattdessen fand sich der junge Geselle in Malerhose und T-Shirt gegen 22 Uhr vor der Uni-Mensa wieder, einer von drei Notunterkünften in der Hansestadt am Mittwochabend. Eine 250 Kilogramm schwere Fliegerbombe aus dem Zweiten Weltkrieg hat am Mittwoch die Pläne von mindestens 15.000 Menschen durchkreuzt.

Es war der siebte Blindgänger in diesem Jahr, der bei Arbeiten an einem Neubaugebiet nahe dem Lüneburger Bahnhof gefunden worden ist. Keine der bisher ausgegrabenen Fliegerbomben aus dem Zweiten Weltkrieg war so groß wie diese. Die Verantwortlichen haben die Evakuierungszone am Mittwoch daher so weiträumig wie noch nie ausgedehnt: auf die gesamte Lüneburger Innenstadt. Mehr als 11.000 Menschen mussten ihre Wohnungen verlassen, sämtliche Restaurants und Hotels ihre Gäste vor die Tür setzen. Das Kino sagte seine Vorstellungen ab, die Volkshochschule ließ ihre Kurse ausfallen, das Literaturhaus die geplante Lesung.

Auch der Bahnhof zählte zum gesperrten 1000-Meter-Radius, Züge endeten in Nachbarorten, Fahrgäste wurden per Bus nach Lüneburg gekarrt. Doch Daniel Thiede wollte in die Gegenrichtung: zurück nach Hause in Harburg. „Ich habe keinen Zug mehr bekommen“, sprach der 18-Jährige ins Mobiltelefon Richtung Heimat, „könnt ihr mich abholen?“ Am nächsten Tag musste der Maler und Lackierer nach Bayern reisen.

Bis 21 Uhr hatten 11.300 Menschen ihre Wohnungen verlassen müssen, doch die Evakuierungsmaßnahmen zogen sich bis in die Nacht. Hunderte Bettlägerige aus einer Geburtsklinik und aus drei Altenheimen mussten mit Rettungswagen in andere Kliniken gebracht werden, für mobile Senioren ging es per Bus in die Notunterkünfte Uni-Mensa und zwei Schulzentren. In der Mensa unterhielt die Band Donkey Shot spontan die Gestrandeten mit Musik. Darüber freuten sich auch Ingrid, 75, und Martin, 77, Pustowka. „Wir haben Besuch aus Hamburg die Lüneburger Altstadt gezeigt. Als wir nach Hause wollten, kamen uns schon die Nachbarn entgegen“, sagt der Rentner.

Rund 700 Einsatzkräfte von Polizei, Rettungsdiensten, Stadtverwaltung und Kirchen waren im Einsatz, Oberbürgermeister Ulrich Mädge (SPD) besuchte jedes Notquartier. Gegen ein Uhr die erlösende Nachricht: Sprengmeister Ralf Reisener und sein Team vom Kampfmittelbeseitigungsdienst haben die amerikanische Fliegerbombe entschärft. Shuttlebusse brachten die Menschen zurück in die Innenstadt.