Pilotprojekt „Rockambulanz“ soll in Uetersen dauerhaft Kinder aus Problemfamilien unterstützen.

Uetersen. Asen Asenov und Kasim Sura126038993 strahlen bis über beide Ohren. Asen hat eine Elektrogitarre in den Händen und zupft an den Saiten, Kasim sitzt derweil am Schlagzeug und trommelt begeistert drauflos. Für die beiden zwölf und 13 Jahre alten Jungen, die noch etwas gebrochen Deutsch sprechen, ist die Musik Lebensfreude pur. Sie ist für beide eine Möglichkeit, sich kreativ auszutoben und die Probleme des Alltags für ein paar Minuten zu vergessen.

Beide Jungen, die aus Bulgarien und aus der Türkei stammen und in Uetersen (Kreis Pinneberg) leben, sind Teil des „Rockambulanz“-Projekts, das vom freiberuflichen Musiklehrer Ove Petersen ins Leben gerufen wurde. Unterstützt wird es von der Uetersener Rosenstadtschule und dem Verein zur Unterstützung von Jugendprojekten in Uetersen.

Hinter dem Begriff Rockambulanz verbirgt sich ein ambitioniertes Bildungsprogramm, das vom Bund mit 230 Millionen Euro deutschlandweit bezuschusst wird und das ein Pilotprojekt ist. Jugendliche und junge Erwachsene aus sogenannten bildungsfernen Familien oder junge Menschen mit Migrationshintergrund sind, so das Bundesfamilienministerium, keineswegs weniger begabt als der Durchschnitt der Gleichaltrigen. Für ihre soziale, schulische und berufliche Integration benötigten sie jedoch oftmals eine gezielte Förderung, die auf ihre individuelle Lebenssituation zugeschnitten ist. Gerade bei Kindern aus aktuellen und ehemaligen Krisengebieten wie Afghanistan, Bosnien oder Syrien sei dies notwendig. Eine Förderung könne dabei auf vielen Ebenen erfolgen.

Die musikalische Erziehung ist eine davon. Sie soll Selbstvertrauen stärken, die Kommunikation und das Sozialleben fördern, sodass Kindern auch ein besserer Bildungszugang geboten werden kann. Und damit auch ein besserer Zugang zum Arbeitsmarkt.

Laut dem Ministerium gestaltet sich für viele junge Menschen der Übergang von der Schule in Ausbildung und Beschäftigung in Deutschland nach wie vor schwierig. Das betreffe insbesondere sozial benachteiligte und individuell beeinträchtigte Jugendliche. Daher sei es sinnvoll, auf mehreren Ebenen jene Kinder und Jugendlichen zu unterstützen. Immerhin 36.000 Euro stehen derzeit für das musikalische Erziehungs- und Integrationsprojekt in Uetersen zur Verfügung. Viel mehr, als viele Beteiligte zunächst erwartet hatten, denn oftmals ist die Förderung von Bund und Ländern bei Bildungsprojekten deutlich kleiner dimensioniert. „Dass wir so gut finanziell unterstützt werden, überrascht schon ein wenig“, sagt Ove Petersen, der sich über den Geldsegen freut, auch wenn der Preis dafür ein nicht unerheblicher bürokratischer Aufwand ist. Dennoch: Die Arbeit, davon ist nicht nur der Musiklehrer überzeugt, werde sich langfristig lohnen – für die Kinder, für die Stadt, für das Land.

Zunächst ein Jahr lang werden in der Rockambulanz Kinder aus Problemfamilien musikalisch gefördert. Eine Verlängerung des Projektzeitraums auf drei Jahre ist möglich. „Wir müssen zunächst schauen, wie sich das Projekt hier entwickelt, aber ich würde es gerne dauerhaft in Uetersen sehen“, sagt der Musiklehrer.

Unterstützt wird Petersen von anderen Musiklehrern und auch von der ATS Suchtberatungsstelle in Tornesch sowie der Stadtjugendpflege. Beide Institutionen stehen ständig im Kontakt mit Familien und Kindern, die aus sozialen Brennpunkten stammen. Sie stellen den Kontakt zu Kindern und Eltern her, um für das Projekt zu werben. Die ausgewählten Kinder werden dann von Ove Petersen und den anderen Musiklehrern unterrichtet. „Es ist in gewisser Weise auch integrierter praktischer Sprachunterricht, den wir hier machen“, sagt Petersen. Denn die insgesamt elf Jugendlichen, die derzeit an dem Projekt teilnehmen, müssten sich untereinander verständigen, um miteinander musizieren zu können. Deutsch sei daher als Mittlersprache wichtig.

Der Leiter der Rosenstadtschule, Wolfgang Balasus, begrüßt die Initiative daher und freut sich, dass auch seine Schule einen Beitrag leisten kann. Die Schule ist sogenanntes Daz-Zentrum. Es vermittelt Kindern Deutsch als Zweitsprache, damit sie im Alltag in Deutschland zurechtkommen. Balasus findet auch deshalb lobende Worte für das Musikprojekt, weil die Sprachschüler dabei ihre ersten praktischen Erfahrungen beim Anwenden des Gelernten machen können – und dies unter Gleichen und damit ohne hohen Erwartungsdruck. „Die Kinder profitieren davon. Alle sind froh, das Projekt hier zu haben. Denn die deutsche Sprache ist schwer zu lernen und anzuwenden, das hemmt viele“, sagt der Schulleiter. Bei dem Musikprojekt verschwänden, das habe sich gezeigt, viele Hemmungen. Und das sei gut.

Für Petersen geht es nun darum, den Spaß an der Musik bei den Kindern zu bewahren und sie weiterzuentwickeln. „Wenn wir es schaffen, dass richtige Bands entstehen, in denen sich die Kinder musikalisch ausdrücken können, haben wir viel erreicht.“