Kieler Landeskriminalamt will Hortensienklau aus der Statistik streichen, weil es keine Straftat sei. Opposition empört.

Kiel. Wird Schleswig-Holstein zum Paradies für Diebe? Die Opposition befürchtet es. Der FDP-Fraktionschef Wolfgang Kubicki sieht jedenfalls Gefahr im Verzug. „Maßnahmen gegen Diebstähle werden in Zukunft erschwert oder verhindert“, sagt er. „Und dies wohl nur, um eine unangenehme politische Diskussion über den polizeilichen Personalabbau zu vermeiden.“ Die CDU-Landtagsabgeordnete Astrid Damerow legt noch einen drauf. „Diese Landesregierung frisiert die Polizeistatistik und suggeriert damit ein Maß an Sicherheit, das so nicht besteht“, sagt sie. Damit sind die Fronten klar – die Fronten im schleswig-holsteinischen Hortensienstreit.

Ja, es geht tatsächlich um Hortensien (lat. Hydrangea), um diese bei Hobbygärtnern beliebten Pflanzen mit den großen, allerdings unfruchtbaren Schaublüten. CDU und FDP, so scheint es, arbeiten derzeit an der Fruchtbarmachung für den politischen Nahkampf. Auslöser dafür ist das Landeskriminalamt (LKA) in Kiel. Das hat ein bisschen die Nase voll von Anzeigen wegen vermeintlicher Diebstähle von Trieben oder Blüten der Hortensie. „250 haben wir in diesem Jahr schon bekommen“, sagt LKA-Sprecher Stefan Jung. Seit mehr als zehn Jahren geht das so, früher sollen es sogar mehr als 1000 Anzeigen gewesen sein.

„Nach meiner Erinnerung ist in Schleswig-Holstein nie auch nur ein Hortensiendieb gefasst worden“, sagt Jung. Deshalb will das Landeskriminalamt diese Fälle nun aus der Kriminalstatistik herausnehmen – „ganz einfach deshalb, weil es sich nicht um Straftaten handelt“, sagt Jung. Für die Schäden an den Pflanzen seien vielmehr Tiere oder der Frost verantwortlich zu machen.

Berichte über angebliche Hortensiendiebe füllen in Deutschland immer wieder die Spalten der Regionalzeitungen. Die Artikel erinnern ein bisschen an die Spekulationen über Kornkreise oder über Banden, die angeblich Hunde oder Katzen fangen, um sie in Tierversuchslaboren zu Geld zu machen: viele Gerüchte, null Beweise.

Bisweilen treibt diese Berichterstattung skurrile Blüten. So berichtete das „Mindener Tageblatt“ unlängst, dass die Diebe vorwiegend bei Vollmond ihr Unwesen trieben – weil sie da keine Taschenlampe benötigten. Die „WAZ“ präsentierte 2012 die Nachricht, in Meschede sei im Zusammenhang mit Hortensiendiebstählen ein Mann mit einem Pkw aus Unna beobachtet worden, der sich auffällig und damit verdächtig verhalten habe.

Ein Polizeisprecher bedankte sich artig für den Hinweis, hatte aber einen Einwand: „Wir glauben eher nicht, dass jemand aus Unna anreist und hier Hortensien stiehlt.“ Auch der „Spiegel“ mischte sich ein. Schon im Jahr 2004 schrieb er unter der Überschrift „Triebtäter im Blumenbeet“ über eine Diebstahlsserie im brandenburgischen Rathenow. Rathenow ist Partnerstadt von Rendsburg, wo damals ebenfalls viele Pflanzen leiden mussten. Die Polizisten machten sich daher tatsächlich die Mühe, alle Personen zu überprüfen, die zuvor von Rendsburg nach Rathenow umgezogen waren. Doch auch diese florale Rasterfahndung blieb ohne greifbares Ergebnis.

Noch undurchdringlicher wird das um die Hortensie wuchernde Gerüchtedickicht, wenn man der Frage nachgeht, warum Menschen Triebe oder Blüten dieser Pflanze stehlen sollten. Sie hätten eine berauschende Wirkung, wenn man sie rauchen würde, wird immer wieder behauptet, und dienten deshalb als kostenloser Ersatz für Marihuana. Beweise für diese These gibt es nicht.

Unter Chemikern und Drogenfreunden wird vielmehr bezweifelt, dass Hortensien einen nennenswerten Rausch erzeugen können. THC, der im Marihuana enthaltene Stoff, ist in der biederen Gartenpflanze nicht zu finden, auch keine damit verwandte Substanz. Auf der von Drogenfans genutzten Internetplattform www.Land-der-Traeu me.de schneidet die Hortensie deshalb nicht gut ab. „Zu wenig Rausch, zu viel Risiko“, lautet das Fazit. Bert Marco Schulde weist in seinem Standardwerk „Psychoaktive Pflanzen“ darauf hin, dass bei Hortensienjoints Blausäure entstehen könne – und die sei tödlich. Der Autor rät deshalb „dringendst“ von einer Verwendung der Pflanze ab.

Dem Menschen fehlt es also offenbar am Motiv für einen Hortensienklau. Wer aber hätte eines? Beispielsweise das Reh. Thomas Kleinworth, Fachberater des Landesverbands Schleswig-Holstein der Gartenfreunde, weiß: „Die fressen gern das junge Grün.“ Hunger treibt es hinein, könnte man denken – auch angesichts der Tatsache, dass die meisten Berichte über Hortensienverstümmelungen aus der Winterzeit stammen, wenn die Pflanzen austreiben, die Rehe aber Probleme bei der Nahrungssuche haben. Ist der rätselhafte Hortensienklauer also in Wirklichkeit ein tierischer Triebe-Dieb? Der zudem noch eine menschliche Straftat vortäuscht, indem er so geschickt zubeißt, dass es wie ein Messerschnitt aussieht?

Die Ermittler der Landespolizei sehen das so. „Wir haben keine Anhaltspunkte für eine Straftat gefunden“, sagt Stefan Jung vom LKA. „Deshalb gehören die Anzeigen auch nicht in die Kriminalstatistik.“ Der FDP-Fraktionschef Wolfgang Kubicki bleibt dennoch hart. Ganz unverblümt fordert er: „Der Innenminister muss hierzu im Innen- und Rechtsausschuss Aufklärung leisten.“ Die ohnehin schon erstaunliche Karriere der Hortensie, so scheint es, geht weiter. Die Drogenkreise hat sie längst verlassen. Jetzt zieht sie in die Parlamente ein und wird politikfähig.