Im Abendblatt-Interview wünscht sich Niedersachsens Stefan Wenzel (Grüne) ein Nein des Bundesverwaltungsgerichts

Hannover . Deutlich wie nie zuvor hat sich der niedersächsische Umweltminister Stefan Wenzel (Grüne) gegen die von Hamburg geplante Elbvertiefung ausgesprochen, er hofft auf ein Nein des Bundesverwaltungsgerichts und sieht keinen Raum für eine weitere Elbvertiefung, die bereits diskutiert wird. Dass Wenzel Konflikten nicht aus dem Wege geht, gilt aber nicht nur für das Nachbarland, sondern auch für den niedersächsischen Koalitionspartner und Wirtschaftsminister Olaf Lies (SPD). Dessen Pläne für eine breite Bürgerbeteiligung etwa bei der Festlegung von Bahntrassen, aber eben auch eine sich anschließende Einschränkung des Rechtsweges lehnt Wenzel kategorisch ab: „Es darf keine Verkürzung des Rechtsweges geben.“

Hamburger Abendblatt: Ihre Vorgängerregierung unter dem CDU-Ministerpräsidenten David McAllister hat die Elbvertiefung abgenickt – ein Fehler?
Stefan Wenzel: Das war hochumstritten. Bei einem Besuch in Cuxhaven vor wenigen Wochen habe ich noch mal gespürt, welche Sorgen und Ängste vor Ort unverändert vorhanden sind. Deshalb finde ich es gut, dass das Bundesverwaltungsgericht sich jetzt mit den entscheidenden Fragen auseinandersetzt. Es darf keine Verschlechterung der Wasserqualität geben. Ich wünsche mir, dass das Gericht klare Grenzen setzt und keine weitere Vertiefung zulässt.

Aber wenn das Gericht die Elbvertiefung ablehnt, kommt vielleicht der Konjunkturmotor Hafen Hamburg ins Stottern?
Wenzel: Hamburg wird seine Bedeutung als große Hafenstadt nicht verlieren, wenn das Bundesverwaltungsgericht klare Grenzen setzt. Es gibt mit Wilhelmshaven einen Tiefwasserhafen, der alle Schiffe abfertigen kann, die unterwegs sind und absehbar gebaut werden. Es liegt im wohlverstandenen Interesse von Hamburg, hier eine noch bessere Kooperation mit den Nachbarländern zu suchen mit dem Ziel eines Hafens Deutsche Bucht. Aus der Ferne betrachtet wird die gesamte Hafeninfrastruktur in Hamburg, Bremerhaven und Niedersachsen schon heute als ein System wahrgenommen. Nur so lassen sich ökonomische und ökologische Gesichtspunkte unter einen Hut bringen. Auch die Kosten der gewaltigen in Hamburg geplanten Baumaßnahmen stehen in keinem vernünftigen Verhältnis mehr. Man kann nicht einfach davon ausgehen, dass der Bund und der Steuerzahler ohne Rücksicht auf vernünftige Alternativen diese Summen weiter aufbringt.

Höre ich da raus, dass die Hamburger Kirchturmpolitik betreiben?
Wenzel: Das wäre nicht meine Wortwahl. Aber es geht eben auch darum, dass die Deichsicherheit in Cuxhaven und die Süßwasserversorgung im Alten Land ebenfalls einen hohen Stellenwert haben, dass es auch hier beim Obstanbau um Arbeitsplätze und letztlich knallharte Wirtschaftsfaktoren geht.

Die Hamburger Hafenwirtschaft diskutiert bereits die Notwendigkeit einer weiteren Elbvertiefung?
Wenzel: Ich sehe keinen Raum für eine weitere Elbvertiefung, die noch über das hinausgeht, was jetzt beantragt ist. Wir haben eindeutige Hinweise auf Klimaveränderungen und Meeresspiegel-erhöhungen, deswegen können wir nicht so weitermachen wie in der Vergangenheit. Die Natur setzt uns Grenzen, die wir schon aus Gründen der Deichsicherheit beachten müssen.

Themenwechsel: Die große neue Stromtrasse Südlink mobilisiert Proteste. Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer hat die Trasse grundsätzlich infrage gestellt. Machen Sie es wie er?
Wenzel: Gewiss nicht. Ich habe bei Herrn Seehofer jede Hoffnung auf Rationalität verloren. Deutschland braucht die Südlink zur Realisierung der Energiewende. Allerdings braucht es auch noch Nachbesserungen am entsprechenden Gesetz: Es muss mehr Erdverkabelung möglich sein, und wir brauchen mehr Flexibilität durch einen breiteren Korridor, um mehr Rücksicht nehmen zu können auf die Bedürfnisse der Menschen.

Ihr sozialdemokratischer Kabinettskollege Olaf Lies als Wirtschaftsminister hat deutlich mehr Bürgerbeteiligung bei der Entwicklung von Bahntrassen angeschoben, will aber auch den Rechtsweg für Klagen verkürzen. Ein Vorbild?
Wenzel: Die Fragen der Bahntrassen wie der Trasse für Südlink sind nicht konfliktfrei. Frühzeitige Bürgerbeteiligung dient der Optimierung, der Planung und der Vermeidung von Fehlern. Unabhängig davon müssen die Bürger das Ergebnis staatlicher Planung vor Gericht überprüfen lassen können, auch in mehreren Instanzen. Dies muss bereits bei der Planung des Zeitrahmens berücksichtigt werden, und es darf keine Verkürzung des Rechtswegs gehen.

Sie sind sozialisiert im Widerstand gegen die Atomenergienutzung. Das Gesetz zur neuen Endlagersuche für hoch radioaktiven Müll trägt auch Ihre Handschrift. Werden wir im Jahr 2031 eine konkrete Standortentscheidung haben?
Wenzel: Der Weg ist so richtig, aber die Zeitplanung illusorisch. Das wird vermutlich zwei Jahrzehnte länger dauern. Wir stehen am Anfang, wissen nicht einmal, ob die bisherige Grundlagenforschung für die Endlagerung nur annähernd ausreichend ist. Aber ich bin guter Hoffnung, dass die Enquetekommission in zweijähriger Arbeit eine Basis schafft, auf der die Weichenstellungen erfolgen können. Ich sehe in der Kommission auf vielen Seiten den Willen, einen echten Neuanfang zu machen.