Auf Helgoland sterben pro Jahr 60 Tiere wegen des Abfalls. Norddeutsche gründen Verein „Küsten gegen Plastik“

Helgoland. Es gibt wohl kaum einen Ort in Norddeutschland, an dem die Auswirkungen der Verschmutzung der Meere so deutlich sichtbar wird wie auf Helgoland. Die von Touristen gut besuchte Insel ist Deutschlands einziger Brutplatz für Hochseevögel wie Basstölpel und Lummen. Doch auf den roten Felsen lässt sich nicht nur beobachten, wie die Tiere ihren Nachwuchs zeugen und aufziehen. Die Besucher bekommen hier leider auch vor Augen geführt, wie Plastikmüll zur tödlichen Falle wird. Vor allem die Basstölpel nutzen zunehmend angeschwemmtes Material statt Seetang zum Nestbau. An den eng besiedelten Steilfelsen drängen sich die Tiere zwischen Seilen und Plastikresten, in denen sich viele Jungtiere und auch ältere Vögel verheddern und qualvoll sterben.

„Die Trottellummen bauen zwar keine Nester, aber sie laufen in die Fallen, die vorher die Basstölpel gebaut haben“, sagt Jochen Dirschke. Der Leiter der Vogelwarte auf Helgoland schätzt, dass pro Jahr bis zu 60 Trottellummen und Basstölpel auf der Insel ihr Leben im Gesellschaftsmüll lassen. Doch von einem „Friedhof der Basstölpel“, wie manche der Touristen den Brutfelsen mittlerweile aufgrund der Dichte toter Tiere nennen, will er nicht sprechen. „Auf die Population wirkt sich das noch nicht aus“, sagt Jochen Dirschke. Die sei erfreulich hoch. Die Insel erfreut sich als Brutstätte zunehmender Beliebtheit unter den Seevögeln. Dirschke kann neue Rekorde vermelden. 656 Basstölpelpaare konnten in diesem Jahr gezählt werden – so viel wie nie zuvor. Auch 2880 gezählte brütende Trottellummen sind für Helgoländer Verhältnisse ein sehr hoher Wert. Um genau zu sein der zweithöchste, der jemals auf der Insel festgestellt wurde.

Die gute Entwicklung erklärt sich der Ornithologe mit den Nahrungsbedingungen und einem Zuzug aus Schottland. Durch die Beringung der Tiere wurde festgestellt, dass Basstölpel aus der größten Kolonie ihrer Art aus Schottland nach Helgoland zugewandert sind. Auch wenn sich Dirschke derzeit angesichts dieser Zahlen keine Sorgen um den Fortbestand der Art mache, trauere er dennoch um jedes Tier, das wegen des Plastikmülls sterben muss. „Es ist weniger ein Natur- als ein Tierschutzthema“, sagt er zum Abendblatt. „Es ist schlimm mit anzusehen, wie ein Vogel so qualvoll erstickt.“ Das Problem sei, dass die Tiere den Müll anhäufen. Auch wenn Stürme laut Dirschke einige alte Nester vernichten, bleibe doch der Großteil des gefährlichen Abfalls erhalten. Darauf würden neue Nester gebaut, weiterer Müll komme hinzu. Die brüchigen Felsen könnten auch nicht gereinigt werden, zu groß sei die Gefahr, sie zu beschädigen. Jochen Dirschke: „Es ist ein Dilemma.“

Das Übel an der Wurzel packen wollen nun die Mitglieder eines neu gegründeten Vereins. Unter dem Titel „Küsten gegen Plastik“ haben sich zahlreiche Norddeutsche zusammengetan, die dem zunehmenden Müll im Meer den Kampf angesagt haben. „Das Problem Plastikmüll fällt uns hier an der Küste buchstäblich vor die Füße. Kein Tag, an dem man am Sommerdeich und im Spülsaum nicht über Plastikmüll stolpert“, sagt die Vorsitzende Jennifer Timrott, die auf der Hallig Hooge lebt. Sie gehört zu den 13 Gründungsmitgliedern, die schon jetzt viel Unterstützung erfahren. Obwohl der Verein erst in ein bis zwei Monaten offiziell ins Vereinsregister eingetragen wird, gibt es laut Timrott bereits jetzt eine Warteliste für Menschen, die sich für eine Mitgliedschaft interessieren. „Wir möchten den Druck an die Hersteller zurückgeben“, sagt Jennifer Timrott. Unter anderem sammelt der Verein Ideen, wie sich Müll vermeiden lässt und gibt Verbrauchern Tipps, welche Hersteller vorbildlich sind. Eine mögliche Aktion könne sein, in Supermärkten Plastikprodukten eine rote Karte zu zeigen.

Während weitere Ideen gesammelt werden, ist ein anderes Projekt schon auf der Zielgeraden. Mehr als 1100 Unterstützer haben die Petition „Schluss mit Plastiktüten im Land der Horizonte“ unterzeichnet. Der Verein fordert vom schleswig-holsteinischen Umweltminister Robert Habeck, die kostenlose Abgabe von Plastiktüten zu verbieten. Auch zum Schutz des Menschen, denn Mikropartikel aus Kunststoff gelangten über die Fische in die Nahrungskette. „Wir wollen nicht, dass in Schleswig-Holstein immer noch massenhaft Plastiktüten über die Ladentische gehen. Sie werden in der Regel einmal benutzt, tragen aber gravierend zum Aufkommen von Plastikmüll bei, der unsere Meere gefährdet“, sagt Jennifer Timrott. Minister Habeck hat bereits Anläufe unternommen, auf Bundesebene eine Ökoabgabe auf Plastiktüten durchzusetzen. Alle Bemühungen scheiterten am Widerstand der Wirtschaft.

Anders auf Helgoland. Dort sitzt die Wirtschaft mit im Boot, wenn 2015 der Testballon eines „plastiktütenfreien Monats“ gestartet wird. Initiatorin ist Rebecca Störmer, die die Gemeinde und zahlreiche Unternehmer für die Idee gewinnen konnte. Die Umweltbiologin möchte mit dem Projekt „Green Anna“ anlässlich des 150-jährigen Bestehens der ungewöhnlichen Felsformation ein Zeichen setzen. Laut Störmer werden schätzungsweise eine Million der Plastiktüten jährlich allein auf der Insel in Umlauf gebracht. Zumindest für einen Monat soll es 2015 stattdessen Nylon- oder PET-Taschen geben, die laut Störmer die beste Ökobilanz haben. „Es soll zeigen, dass man sich trotz des Konsums auf der Insel mit seiner zollfreien Zone darüber bewusst ist, dass man sich in einem Naturparadies befindet.“ Ob daraus mehr werden kann als eine Monatsaktion? Störmer: „Ich würde es mir unglaublich wünschen.“