So traumhaft und verführerisch das Wetter in diesen Tagen, so tückisch ist es auch. Am Dienstag ertrank in Scharbeutz erneut ein Mann. Der Grund: Viele Menschen kennen nicht die gefährliche Unterströmung, die sie hinaus aufs Meer treibt

Das Wetter ist traumhaft. Die Ostsee vor Timmendorfer Strand leuchtet im kräftigen Blau, die Sonne gibt ihr Bestes. Ein angenehmer Wind wühlt das Wasser auf. Es ist ein wunderschönes Schauspiel, wenn die bis zu zwei Meter hohen Wellen zehn, 15 Meter vor dem Strand sich aufbäumen, schaumige Kronen bilden und dann vornüber kippen. Man möchte am liebsten sofort losrennen und sich in die Fluten stürzen.

Alles, was Urlauber sich für erfüllte Ferientage wünschen, liegt in diesen Tagen an der Ostsee so nah. Und doch ist es weiter entfernt denn je. Die Ortsverwaltung von Timmendorfer Strand hat über mehrere hundert Meter verteilt 15 Schilder aufgestellt. „Nicht Baden – Gefährliche Strömung – Lebensgefahr!“ steht auf ihnen geschrieben. Dazu ein Piktogramm, das einen durchgestrichenen Schwimmer darstellt.

„Wir haben ein Badeverbot verhängt“, sagt Ortsamtsleiter Bernd Friedrich. Nur so könne man für die Sicherheit der Gäste sorgen. „Am Mittwochmorgen werden wir entscheiden, ob es bestehen bleibt.“ Bis dahin versuchen die Rettungsschwimmer der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG), städtische Strandkontrolleure und Beamte der Polizei, Badewillige davon abzuhalten, ins Wasser zu gehen.

Der Tod ist in diesen Tagen an den Stränden der Ostsee allgegenwärtig. Am Dienstag ertrank bei Scharbeutz ein etwa 70 Jahre alter Mann aus Niedersachsen, der einen Tagesausflug an die Ostseeküste unternommen hatte. Am Tag zuvor war am Timmendorfer Strand ein 62-jähriger Mann nicht mehr zu retten. In Mecklenburg-Vorpommern kamen am vergangenen Wochenende sechs Menschen beim Baden ums Leben.

Das Badeverbot ist eine Aufforderung – zwingen kann man die Menschen nicht

Thoralf Kramer erlebt in Timmendorfer Strand seine 32. Saison als Rettungsschwimmer. Der kräftige 48-Jährige verantwortet die Überwachung des Strandes auf einer Länge von acht Kilometern. Gerade hat er einige Unvernünftige entdeckt, die trotz des Verbotes ins Wasser gegangen sind. Er ruft sie und bittet sie höflich, das Wasser zu verlassen. Mehr kann er in diesem Moment nicht tun. „Das Badeverbot ist mehr oder weniger eine Aufforderung“, sagt er. „Zwingen kann ich niemanden.“

An den Strandabschnitten Timmendorfer Strand und Niendorf steht alle 800 Meter ein Rettungspunkt der DLRG. 34 Rettungsschwimmer sind hier unter Kramers Leitung im Einsatz. Mit Argusaugen beobachten sie den Strand und riskieren im Falle eines Falles ihr Leben, um das Leben anderer Menschen zu retten. Achtmal mussten sie in den vergangenen Tagen Menschen vor dem Ertrinken retten. Siebenmal gelang es ihnen.

Es ist die Unvernunft so vieler, die Kramer immer wieder überrascht. „Gestern haben wir zwei Kinder vor dem Ertrinken gerettet und der Mutter fiel nichts anderes ein, als den beiden anschließend zu sagen: ‚Ihr solltet doch nicht so weit rausgehen.‘“ Dabei reichen schon ein paar Meter, bis es lebensgefährlich wird. „Das Problem ist der stark auflandige Wind“, sagt Kramer. Die Folge sind nicht nur prächtige Wellen, sondern auch eine gefährliche Unterströmung. Prof. Moustafa Abdel-Maksoud, Strömungsforscher an der TU Hamburg-Harburg, erklärt das gefährliche Phänomen. Wenn Wellen auf den Strand aufliefen, brächen sie, was man an dem weißen Schaum erkennen könne. Am Boden der Ostsee fließe das Wasser in entgegengesetzter Richtung ins Meer zurück. Eine Unterströmung entstehe. Diese sei um so mächtiger, je stärker und vor allem je länger der Wind konstant aus einer Richtung wehe.

Eine Unterströmung von mehr als einem Meter pro Sekunde sei bei einer solchen Wetterlage wie derzeit nicht ungewöhnlich, sagt der Wissenschaftler. Dann werde es für Menschen bereits schwierig, dagegen anzukämpfen. Hinzu komme, dass zwar die Wellen für jedermann sichtbar seien, die Unterströmung aber kaum oder nur unzureichend wahrgenommen werde. Wind aus wechselnden Richtungen führe in der Regel nicht dazu, dass sich eine so starke Unterströmung entwickele, fügt Prof. Abdel-Maksoud hinzu.

Das traumhafte Sommerwetter aber sei im Augenblick das eigentliche Problem, sagt Niklas Weise von Hamburger Institut für Wetter- und Klimakommunikation. Er spricht von einer sogenannten Omega-Lage. Dabei sei das kräftige Skandinavienhoch „Bertram“ zwischen zwei Tiefs, die über Osteuropa und dem Nordatlantik lägen, eingezwängt und könne nicht weg. „Dadurch ist eine stabile Wetterlage entstanden, die schon mehr als eine Woche anhält“, sagt Weise.

Um den Luftdruckunterschied zwischen dem Hoch und den Tiefs auszugleichen, wehe der Wind konstant relativ stark und vor allem ungehindert aus nordöstlicher Richtung über die Ostsee. Da die Wetterlage sehr stabil sei, geht Weise davon aus, dass der Wind noch bis Freitag oder sogar Sonnabend anhalten wird.

Für die Einsatzkräfte der DLRG an der Ostsee verheißt das nichts Gutes. An vielen Strandabschnitten haben sie rote Flaggen gehisst, um damit ein Badeverbot zu signalisieren. Vorsichtig sollten die Menschen aber schon bei gelben Flaggen sein. Sie werden gehisst, wenn die Bedingungen vor Ort nur für geübte Schwimmer geeignet sind.

Thoralf Kramer zeigt auf zwei Bälle, die keine zehn Meter vom Strand entfernt im Wasser schwimmen. Der eine Ball ist rot, der andere weiß mit einem gelben Kreuz. „Der weiße Ball treibt eigentlich 300 Meter vom Strand entfernt und soll das Ende der Badezone anzeigen“, sagt der Rettungsschwimmer. In diesen Tagen wäre ein Schwimmer so weit draußen rettungslos verloren.

„Selbst unsere geübten und trainierten Rettungskräfte könnten bei diesem Wellengang maximal 20 Minuten aushalten, bevor die Kräfte sie verlassen.“ Überhaupt sei Ertrinken nicht so, wie viele Menschen sich das vorstellten. Bei einer Wassertemperatur von 19 Grad kühle der Körper rasch aus und einen Ertrinkenden verließen nach und die Kräfte. „Am Ende reicht es nicht einmal mehr, um sich die Haare aus dem Gesicht zu streifen.“

Thoralf Kramer und seine Männer haben gelernt, auf kleine Anzeichen zu achten. Hält ein Schwimmer sich noch über Wasser? Taucht er zu oft und zu lange unter? Wie ist sein Gesichtsausdruck? Ist seine Gesichtsfarbe schon bläulich gefärbt? „Viele glauben, dass ein ertrinkender Mensch noch kräftig mit den Armen rudert“, sagt Kramer. „Doch so ist es nicht: Ertrinken ist sehr ruhig und still.“

Dass Menschen sich so leichtfertig in Lebensgefahr bringen, führt Kramer auch auf Unkenntnis zurück. „Nordsee ist Mordsee, heißt es doch im Volksmund. Die Ostsee hingegen gilt als Badewanne der Hamburger.“ Durch Ebbe und Flut wissen die Menschen an der Nordsee das Risiko besser einzuschätzen. Der Ostsee hingegen trauen viele eine derart zerstörerische Kraft nicht zu.

Nicht zuletzt macht sich bemerkbar, dass Menschen heute häufiger als früher das Schwimmen nicht mehr richtig gelernt haben. „Wir merken, dass Schwimmbäder geschlossen werden und die Schwimmausbildung gerade bei Kindern vernachlässigt wird“, beklagt Kramer.

Die Berichterstattung in den Medien in den vergangenen Tagen hat die Sensibilität vieler Strandurlauber erhöht. „Ich finde das Verbot absolut angebracht“, sagt Maria Brückner. Der Unfall am Montag habe ihr noch einmal gezeigt, wie viel Kraft hinter den Wellen stecke. Maria Brückner und ihr Mann Gottfried stammen aus Hessen und kümmern sich während der Ferienzeit um die Enkel Svea und Philip aus Norderstedt. Das Badeverbot hatte sie von ihrem Ausflug zum Strand allerdings nicht abhalten können. „Man muss das Wetter eben nehmen, wie es kommt“, sagt Gottfried Brückner.

Auch Cindy und Denise Kroll haben Verständnis für das Badeverbot. Dabei sind der Strand und das offene Meer für die beiden Schwestern aus Timmendorf bekannte Umgebung. „Bei so einem Wind habe ich einfach Respekt vor dem Meer“, sagt Denise. Anders hingegen sei das bei manchen Urlaubsgästen. Sie seien oft nur ein paar Tage oder ein paar Stunden zu Besuch und würden die Zeit zum Baden nutzen wollen. Dabei würden sie das Risiko oft unterschätzen.

Die Urlauberin Sarah Friedrich sei durch die Unfälle der vergangenen Tage zwar vorsichtiger geworden, erzählt sie. Ganz aufs Baden wolle sie aber nicht verzichten. „Alle Besucher vom Baden abhalten, das wird nicht möglich sein“, glaubt die Hamburgerin. Zu weit würde sie sich aber nicht vom Ufer entfernen, das sei ihr denn doch zu gefährlich.

Die Hamburger Anton Haskamp, Ole Sörensen und Daniel Meggenburg lassen sich hingegen durch das Badeverbot nicht einschüchtern. „Komplett auf das Schwimmen verzichten wollen wir nicht – aber natürlich ist man vorsichtiger“, sagt Ole Sörensen.

Thoralf Kramer ärgert der Leichtsinn solcher Badegäste. „Sie vergessen leicht, dass sie nicht nur ihr Leben gefährden, sondern auch das ihrer Retter.“ Schon zwei seiner Rettungsschwimmer seien während eines Rettungseinsatzes in Lebensgefahr geraten.