Nach der abgewendeten Insolvenz: Am Lübecker Flughafen herrscht wieder Optimismus. Ein Ortstermin in Blankensee.

Lübeck. Der Airbus aus Danzig ist im Anflug. Gleich wird er von Osten her auf Landebahn 07 aufsetzen. Es ist 11.15Uhr. Sebastian Knopp, 29, und Eugen Lang, 25, streifen sich schnell ihre neongelben Westen über. Sie sind nun draußen gefragt, auf dem Flugfeld. Da rollt die Maschine schon aus, ein himbeerfarbener Flieger vom Typ A320 der ungarischen Fluggesellschaft Wizzair, dreht am Ende der Piste nach rechts und steuert auf das Flughafengebäude zu. 200 Meter Fahrtweg. Sebastian Knopp gibt dem Piloten Handzeichen, weist ihn in die Parkposition ein, legt Holzklötze vor die Räder des Flugzeugs. „Ich bin heute fürs Gepäck zuständig“, sagt Eugen Lang. Jetzt muss alles ganz schnell gehen. 25 Minuten soll der Airbus am Boden bleiben, keinen Augenblick länger.

Alltag in Lübeck-Blankensee auf jenem Flugfeld im XXS-Format, das gleichzeitig größter Verkehrsflughafen in Schleswig-Holstein ist. Und das in den zurückliegenden Monaten immer wieder in die Schlagzeilen geraten ist: Verkauf. Ein neuer Eigentümer, den hier niemand jemals zu Gesicht oder auch nur ans Telefon bekommen haben soll. Insolvenzantrag im April. Quälende Ungewissheit für gut 90 Mitarbeiter. Von alledem ist an diesem Tag nichts zu spüren. „Ich schaue zuversichtlich in die Zukunft“, sagt Sebastian Knopp, der jetzt mit einer rot-weißen Gliederkette aus Metall den Bereich um die linke Tragfläche des Airbus absperrt. Kollegen rollen zwei Treppen heran.

Passagierzahl hat sich innerhalb von vier Jahren fast halbiert

Der Grund für Sebastian Knopps Zuversicht hat einen Namen: Yongqiang Chen, chinesischer Geschäftsmann. Wie berichtet, übernimmt dessen PuRen-Gruppe den Flughafen zum 1. August. Noch ist offiziell Insolvenzverwalter Klaus Pannen der Chef im Haus. Eine merkwürdige Übergangszeit auf einem ungewöhnlichen Flughafen.

Während sich Sebastian Knopp und Eugen Lang um den Flieger kümmern, betritt Roland Fürst, 47, das Flughafengebäude von der Straße her und steuert schnellen Schrittes auf den Abfertigungsschalter mit der Nummer 6 zu. Geschäftsmann Fürst ist spät dran, Wizzair-Flug W61676 zurück nach Danzig ist bereits aufgerufen worden. Fürst reicht Flugschein und Personalausweis über den Tresen. Dahinter sitzt Lea-Sophie Schmalfeldt, 25, prüft Papier und Dokument, lächelt, deutet auf die andere Seite des Raumes: „Sie können sich da drüben anstellen.“ Da drüben, keine zehn Meter entfernt, steht eine Art Rednerpult aus Sperrholz. Bordkartenkontrolle. Yannick Steen, 27, setzt mit pinkfarbenem Textmarker einen Haken auf einer Liste.

Roland Fürst kennt das schon. Der Mann aus Demmin in Vorpommern fliegt häufiger von Lübeck nach Danzig, diesmal zu einer Börse für Getreidehandel. „Die Verbindung ist für mich persönlich ideal“, sagt er. Dann verschwindet er in einem schmalen Gang, links und rechts Leichtbauwände, in Richtung Sicherheitskontrolle. Die Abfertigungshalle mag 200 Quadratmeter messen. Was an anderen Flughäfen Terminal heißt, erinnert in Lübeck am ehesten an eine Bahnhofshalle in einer Kleinstadt. Der Abfertigungsschalter mit der Nummer 6 ist der letzte ganz links hinten, mehr gibt es nicht. Geöffnet sind nur zwei. Auf einem kleinen Computermonitor sind alle abgehenden Flüge des Tages aufgelistet. Der nach Danzig. Anderthalb Stunden später noch einer nach Palma de Mallorca.

Das ist nicht viel, selbst für Lübecks Miniflughafen. Er hat die bislang beste Epoche in seiner 97-jährigen Geschichte hinter sich, sie begann im Jahr 2000 und ist eng mit dem Namen der irischen Billigfluglinie Ryanair verbunden. Lübeck, Codename LBC, wurde zu „Hamburg-Lübeck“. 2009 wurden knapp 700.000 Passagiere gezählt, 2013 gut 350.000, dieses Jahr dürften es noch weniger sein. Ryanair hatte seinen 2014er-Flugplan ohnehin schon ausgedünnt, wegen der monatelang ungewissen Zukunft des Flughafens dann alle August-Verbindungen gestrichen und will nun ab Hamburg fliegen. Ende Oktober zieht sich die Airline ganz zurück, dann entfallen mit den Verbindungen nach Mallorca, Pisa und Bergamo 13 von noch 19 Flügen wöchentlich. Was bleibt, sind die Wizzair-Flüge nach Danzig und Kiew.

Trotzdem gibt sich auch Lea-Sophie Schmalfeldt von Schalter Nummer6 optimistisch. „Ich bin fest davon überzeugt, dass wir eine Zukunft haben. Sonst wäre ich gar nicht mehr da“, sagt sie. In ihrem Rücken, hinter den Schaltern, hängen Fotografien von Musikern.

„Wir stehen im Kontakt mit verschiedenen Fluggesellschaften“, sagt Jana Bahrenhop, die Sprecherin des Flughafens. Am 1. August bezieht der von PuRen eingesetzte neue Geschäftsführer Markus Matthießen, 41, ein Bankkaufmann und ehemaliger CDU-Landtagsabgeordneter aus Lauenburg, sein Büro. Der im Flughafenbusiness erfahrenere Noch-Notgeschäftsführer Siegmar Weegen bleibt ihm als Berater erhalten.

Im Abflugbereich hat sich inzwischen Agnieszka Malczewska, 32, mit ihren Töchtern Alicia, 7, und Alexandra, 3, ganz vorn an der Glastür postiert. Wer als Erster draußen ist und die Treppe zum Himbeerflieger als Erster erreicht, hat noch relativ viele Sitzplätze zur Auswahl. Die Lufthansa-Angestellte besucht ihre Familie in Polen.

„Dieser Flughafen ist ein Erlebnis“, sagt sie. Eine Holztafel lässt darauf schließen, dass die drei an Gate 2 stehen. Der Raum mit den Gates selbst – ein Zelt. In den benachbarten Dörfern bauen die Menschen so etwas auf, um Schützenfest zu feiern. Der Holzbohlenboden bebt bei jedem Schritt. Es ist heiß.

Flughafensprecherin Bahrenhop berichtet von großen Plänen. „Das Zelt soll durch einen Neubau ersetzt werden“, sagt sie. Außerdem solle die Landebahn verlängert werden. „Die Pläne sind genehmigt.“

Mit PuRen gibt es bald sogar wieder jemanden, der investieren möchte. Für jeden Euro, den der neue Flughafenbetreiber in die Umsetzung der Pläne steckt, gibt die Hansestadt Lübeck einen zweiten als Zuschuss dazu – maximal 5,5 Millionen Euro. Ganz so einfach ist es aber doch nicht. Seit 2009 sind beim Oberverwaltungsgericht in Schleswig fünf Klagen gegen den Planfeststellungsbeschluss anhängig. Die Verfahren sind wegen der Insolvenz zuletzt ausgesetzt worden.

Yannick Steen vom Bordkartenschalter öffnet jetzt die Glastür, die das Zelt vom Flugfeld trennt. Roland Fürst, Agnieszka Malczewska und all die anderen Passagiere entern den Himbeerflieger. Eugen Lang hat Koffer aus- und wieder eingeladen. Sebastian Knopp rollt die Absperrkordel auf, zieht die Holzklötze unter den Flugzeugrädern weg und gibt dem Piloten das Signal, dass er die Triebwerke anlassen könne.

25 Minuten sind vergangen. Es ist 11.40 Uhr, als über Lübeck-Blankensee ein lautes Tosen anschwillt. Der Airbus nach Danzig hebt von Piste 07 in westliche Richtung ab. Er ist gerade noch als kleiner, himbeerfarbener Punkt am Himmel zu sehen, als Eugen Lang, eben noch fürs Gepäck zuständig, den Gehweg vor der Abfertigungshalle abgeht. „Wir sind alle ziemlich flexibel hier“, sagt Eugen Lang und reißt einen blauen Plastiksack von einer Rolle ab. Er hat schon wieder eine neue Aufgabe. „Jetzt gerade bin ich für die Mülleimer zuständig.“