Mutter schlug ihre Kinder. TV-Beitrag aus Stormarn verstößt gegen die Menschenwürde

Hannover. Der Fernsehender RTL hat gegen das Grundrecht auf Menschenwürde verstoßen, als er im Herbst 2011 eine Folge der Fernsehsendung „Die Super Nanny“ mit Katharina Saalfrank in der Titelrolle ausstrahlte und immer wieder zeigte, wie eine überforderte, allein erziehende Mutter ihre drei, vier und sieben Jahre alten Kinder demütigte, beschimpfte, schlug und kniff. Dies hat am Dienstag das Verwaltungsgericht Hannover entschieden und damit eine Rüge und das Verbot bestätigt, diese Folge ein weiteres Mal auszustrahlen.

Die im schleswig-holsteinischen Glinde (Kreis Stormarn) gedrehte Folge der Sendereihe mit der Diplompädagogin Saalfrank hatte Proteste und Beschwerden ausgelöst. RTL verteidigte die Ausstrahlung stets mit dem Hinweis, die Freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen (FSF) habe den Beitrag gesehen und keine Einwände erhoben bei Ausstrahlung nach 20 Uhr. Erkennbar habe zudem bei der Ausstrahlung das Ziel der Sendung – eben Kinderschutz – im Vordergrund gestanden.

Das Urteil folgt dieser Argumentation nicht, sondern bestätigt das Vorgehen der Niedersächsischen Landesmedienanstalt und die entsprechende Rüge der Kommission für Jugendmedienschutz. Die 7. Kammer des Verwaltungsgerichts legt sich im entscheidenden Punkt auch selbst fest: „Die Ausstrahlung der Folge verstößt tatsächlich gegen die Menschenwürde.“ Das Gericht pocht auf das Recht aller Kinder auf eine gewaltfreie Erziehung und macht dem RTL-Team ganz konkret den Vorwurf, bei neun Gewalthandlungen nichts unternommen zu haben: „Die Präsenz des Aufnahmeteams bei neun Gewalthandlungen ohne Einschreiten muss nach Auffassung des Verwaltungsgerichts den Kindern als ein Ausgeliefertsein nicht nur gegenüber der Mutter, sondern auch gegenüber dem Team vorgekommen sein.“ Und dieser Verstoß gegen die Menschenwürde sei auch nicht gerechtfertigt durch das ansonsten „durchaus erkennbare erziehungspädagogische Ziel der Sendung“. Das Gericht stellt zudem ausdrücklich fest, dass Saalfrank nur bei einem zehnten Gewaltakt anwesend war und dann auch umgehend einschritt.

Der Sender zeigte 22 Szenen, bei denen die Kinder gedemütigt werden

Eine schallende Ohrfeige für den Sender sind auch weitere Feststellungen des Gerichts. Es schließt sich ausdrücklich weiteren Feststellungen der niedersächsischen Landesmedienanstalt (NLM) an. Die hatte moniert, dass der Sender die Gewaltszenen mit den weinenden und gedemütigten Kindern nicht nur einmal zeigte, sondern es in unterschiedlichen Schnittfolgen auf 22 solcher Szenen brachte durch Wiederholung im Teaser (Appetitmacher) und dann noch teilweise mehrfach in der einstündigen Sendung. Es heißt: „Nach Auffassung der Kammer verbietet die Menschenwürde der beteiligten Kinder das wiederholte Darstellen einzelner an ihnen begangener Gewalthandlungen und insbesondere die Zusammenstellung in einem Teaser, um Zuschauer anzulocken.“

Die Medienanstalt drückte es nach der Urteilsverkündung ähnlich aus: „Die reißerische Darstellung zielte primär auf den Voyeurismus der Zuschauer. Die Kinder werden in für sie leidvollen Situationen für kommerzielle Zwecke instrumentalisiert, zu Objekten der Zurschaustellung herabgewürdigt und in ihrem sozialen Achtungsanspruch verletzt.“ Gescheitert ist damit der Sender RTL auf der ganzen Linie. Der hatte nicht nur darauf gepocht, dass die Freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen (FSF)den Beitrag abgenickt hatte. Der Sender argumentierte auch, der entsprechende Beschluss der Kommission für Jugendmedienschutz (KJM) sei fehlerhaft zustande gekommen und es fehle an einer ausreichenden Begründung. Aber das Verwaltungsgericht bestätigte der Kommission wie der Medienanstalt ein korrektes Vorgehen vor allem vor dem Hintergrund, dass die Entscheidung einstimmig fiel.

Und auch die von RTL behauptete Sperrwirkung des FSF-Entscheids für ein nachträgliches Eingreifen anderer Gremien verneinte die 7. Kammer des Verwaltungsgerichts: „Dies folgt aus dem hohen Rang der Menschenwürde als oberster Verfassungswert in Artikel1 Absatz 1 des Grundgesetzes.“

Schon die mündliche Verhandlung zwei Wochen vor der am Mittwoch erfolgten Urteilsverkündung hatte gezeigt, dass das Gericht juristisches Neuland betreten musste mit der Abwägung, ob die FSF-Entscheidung Sperrwirkung hat oder nicht. Und eben weil es keine Präzedenzfälle gibt, hat das Verwaltungsgericht in Hannover nun ausdrücklich die Berufung gegen das eigene Urteil beim Oberverwaltungsgericht in Lüneburg zugelassen. Absehbar ist, dass die in Hannover getroffene Entscheidung zur Abwägung zwischen Menschenwürde und Pressefreiheit damit den Weg durch alle Instanzen antreten wird. Der Sender RTL will eine Berufung gegen das Urteil mit dem Aktenzeichen 7 A 4679/12 prüfen.