Die Absage von Klassenfahrten an niedersächsischen Gymnasien trifft die Häuser im Norden hart

Hannover. Die Jugendherbergen im Norden leiden unter dem Schulfahrtenboykott niedersächsischer Gymnasien. Viele Häuser können Stornierungen und wegbrechende Buchungen wirtschaftlich nicht ausgleichen. Ändert sich die Situation nicht, können Personaleinsparungen oder Standortschließungen die Folge sein. Die Konsequenzen aus den Absagen sind regional aber sehr verschieden.

„Wir machen uns große Sorgen“, sagt Norbert Dettmar, Geschäftsführer des Landesverbands Hannover im Deutschen Jugendherbergswerk. 23 Häuser rund um Hannover, im Harz und Weserbergland zählt der Verband. „Der Rückgang beträgt bei uns belegbar etwa 15.000 Übernachtungen in diesem Jahr. Und wir rechnen mit einer erheblichen Dunkelziffer an Buchungen, die gar nicht erst angefragt werden.“

Mit 20 bis 25 Euro schlägt eine Übernachtung zu Buche, daraus ergeben sich etwa 350.000 Euro Mindereinnahmen. Das Jugendherbergswerk arbeitet als eingetragener Verein nicht gewinnmaximierend, sondern kostendeckend. „Für uns ist das nur schwer zu verkraften“, sagt Dettmar. „Die Rückgänge wirken sich auf den Deckungsbeitrag aus, das wiederum bedeutet: Für dringend benötigte Investitionen haben wir einen sechsstelligen Betrag weniger zur Verfügung.“ Das vorgesehene Investitionsprogramm für eine zeitgemäße Modernisierung der Häuser sei nicht mehr eins zu eins umsetzbar: Von der geplanten Million für 2014 falle etwa ein Drittel weg, rechnet der Kaufmann vor. „Wenn diese Entwicklung dauerhaft ist, können wir nicht ausschließen, unser Netz zu verkleinern. Dann könnten bestimmte Standorte nicht mehr zu halten sein.“ Dabei sei der Anspruch des Jugendherbergswerks genau das Gegenteil: Häuser in ganz Niedersachsen anzubieten, nicht nur in Städten und touristischen Magnetgebieten. Der Harz etwa hat sich in den vergangenen 20 Jahren vom Urlaubsort zum Tagesausflugsziel gewandelt und leidet generell unter erheblichen Übernachtungseinbußen. Die Jugendherbergen Bad Lauterberg und Clausthal-Zellerfeld sind bereits geschlossen. Neue Häuser hat der Verein dafür in Wolfsburg und Braunschweig gebaut.

Die Folgen der Stornierungen werden wohl erst 2015 voll durchschlagen

Mit bis zu 18.000 Übernachtungen weniger in diesem Jahr rechnet der Landesverband Unterweser-Ems. 100 Gymnasien haben nicht gebucht, die ansonsten Stammgäste waren. In Rotenburg brechen 700 Übernachtungen weg, in Worpswede 600, in Meppen 800. Mit anderen Zielgruppen können sie die Lücken nicht schließen, sagt Sprecher Oliver Engelhardt, denn: „Schulklassen kommen häufig im September. Da reisen aber keine Familien, Musik- oder Sportgruppen. Und nur mit Seminaren und Tagungen können wir das nicht auffangen.“ Dafür setze man vermehrt auf die Berufsorientierungsfahrten im Spätherbst und Frühjahr. Wenn sich die Entwicklung bei Klassenreisen jedoch fortsetze, so Engelhardt, „bekommen wir ein ernsthaftes Problem“.

Speziell auf Angebote für Gymnasien ausgerichtet ist die Jugendherberge in Göttingen. „Natürlich machen wir uns Sorgen“, sagt Leiterin Regina Häcker. „Schulklassen sind eine unserer größten Gästegruppen. Wir haben zwar keine Stornierungen. Aber es gab schon die Ankündigung, dass man nächstes Jahr nicht mehr kommen werde.“

Rund 6000 Stornierungen zählt der Landesverband Nordmark für dieses Jahr, er hat 47 Häuser in Hamburg, Schleswig-Holstein und Niedersachsen. „Wir erwarten die eigentlichen Folgen im Wesentlichen erst 2015“, sagt Geschäftsführer Helmut Reichmann. Während die Küstenstandorte keine Sorgen bereiten, weil Klassen aus anderen Bundesländern die Lücken füllen, seien Häuser wie Westensee bei Kiel oder Bad Oldesloe besonders betroffen.

Politisch positionieren wollen sich die Landesverbände der Jugendherbergen zwar nicht, sie bemühen sich aber um Kommunikation mit dem Lehrerverband und haben auch das niedersächsische Kultusministerium um ein Gespräch gebeten. „Die politische Auseinandersetzung geht zulasten der Schüler und des pädagogischen Effekts“, sagt Helmut Reichmann aus Hamburg gegenüber dem Hamburger Abendblatt. „Die Schüler, die jetzt keine Klassenfahrt machen, können das nie nachholen.“

Ausnahmen bilden Häuser in touristisch stark nachgefragten Städten. „Lüneburg zum Beispiel kommt mit einem blauen Auge davon“, sagt die Leiterin Undine Bendt. „Wir haben bislang keine Stornierung. Für kommendes Jahr vermute ich allerdings, dass einige Schulen nicht anfragen werden.“

Das Hamburger Haus am Stintfang zählt nur eine einzige Stornierung aufgrund des Schulfahrtenboykotts in diesem Jahr. „Allerdings kann ich nicht einschätzen, wie viele gar nicht erst gebucht haben“, sagt Leiter Sven Seidler. „Wir sind aber in der glücklichen Lage, gut ausgebucht zu sein.“