Neun Verletzte bei Großbrand in Elmshorner Hochhaus. Mehr als 400 Feuerwehrleute löschen Flammen auf dem Dach

Elmshorn. Mit zitternden Händen hält Bianca Müller einen Plastikbecher Kaffee in der Hand, der ihr vom Deutschen Roten Kreuz im Notquartier an der Elsa-Brändström-Schule am Krückaupark in Elmshorn eingeschenkt wurde. Gerade hat sie ihre beiden Katzen, den Gecko und zwei Taschen mit dem Notwendigsten aus ihrer Wohnung im achten Stock der Beethovenstraße 15 geholt.

„Alles steht unter Wasser“, sagt die 37-Jährige aus Elmshorn. Die Tapeten haben sich von den Wänden gelöst, die Möbel quellen bereits auf, die elektrischen Geräte sind zerstört. „Es ist alles kaputt“, sagt Müller. Sie war kurz vor Mitternacht vom Fußballgucken bei Freunden heimgekehrt. „Da war die Straße schon voll gesperrt und überall standen Einsatzwagen der Feuerwehr“, sagt Müller. „Aus dem Dach des Nachbarhauses schlugen Flammen.“ Sie kann fürs Erste bei ihrem Freund wohnen. Dennoch ist sie verzweifelt. „Ich habe keine Ahnung, wie es weitergehen soll. Ich habe alles verloren.“

Das WM-Spiel Deutschland gegen Ghana war am Sonnabend gerade abgepfiffen worden, als in der Leitstelle West viele Notrufe eingingen, weil der Dachstuhl des achtgeschossigen Wohnblocks auf fast 1000 Quadratmetern brannte. Im Minutentakt wurden neue Einsatzkräfte angefordert. „Es war einer der größten Einsätze der vergangenen Jahre“, sagt Rolf Valentin, Einsatzleiter der Feuerwehr Elmshorn. „Insgesamt waren mehr als 400 Kräfte aus elf freiwilligen Feuerwehren mit über 100 Fahrzeugen vor Ort.“ Fünf Drehleitern und Teleskopmastfahrzeuge waren im Einsatz. Sie erreichten gerade die Dachkante. Die Löscharbeiten waren schwierig, aufwendig und gefährlich.

Die Bewohner aus den 70 Wohnungen konnten rechtzeitig in Sicherheit gebracht werden. „Viele waren natürlich emotional sehr aufgelöst, dennoch verlief die Evakuierung problemlos“, sagt Valentin. Sieben Personen wurden in den Regiokliniken Elmshorn und Pinneberg mit Verdacht auf Rauchvergiftung behandelt, drei von ihnen stationär aufgenommen. Auch zwei Feuerwehrleute wurden leicht verletzt.

Das Haus Nummer 17 und der Großteil der Wohnungen im Haus Nummer 15 sind durch die schweren Wasserschäden unbewohnbar. Das THW pumpte die Keller leer, und ein Statiker prüft, ob die Wohnungen überhaupt wieder bezogen werden können. Die Experten befürchten, Blechteile an der Außenseite des völlig ausgebrannten Dachstuhls könnten bei starkem Wind herunterfallen. Der Schaden geht in die Millionen. Warum das Feuer in dem als Lagerraum benutzten Dachboden ausgebrochen ist, ermittelt nun die Polizei.

„Es ist eine Katastrophe“, sagt Natalia Polaczek, die mit ihren zwei Söhnen und ihrem Mann in der dritten Etage im Haus Nummer 15 wohnte. „Wir sind zunächst bei Freunden im Haus gegenüber untergekommen, aber die haben nicht genügend Platz für alle.“ Sie habe nur Dokumente, Medikamente und ein paar Sachen zum Wechseln aus der Wohnung holen können, in der das Wasser fünf Zentimeter hoch steht.

Rund 150 Menschen sind obdachlos. Viele kamen vorübergehend bei Bekannten und Verwandten unter. Sie standen am Sonntagvormittag Schlange, um in Begleitung eines Feuerwehrmannes das Nötigste aus ihren Wohnungen zu holen. Die Polizei nahm ihre Personalien auf, um zu verhindern, dass sich Unbefugte Zugang in die Wohnungen verschaffen konnten.

In den ersten Etagen wurden Schlösser ausgetauscht, die Hauseingänge werden von Polizisten bewacht, um Plünderungen zu vermeiden. „Wir haben bisher lediglich sieben Menschen vorübergehend im Hotel unterbringen müssen“, sagt Sybille Lamke. Die Sachgebietsleiterin für Bürgerbelange war mit Stadtrat Dirk Moritz in der Nacht und am Vormittag vor Ort, um die Unterbringung zu koordinieren. In der Nacht des Feuers wurden vorübergehend 25 Männer und Frauen in der Sporthalle der Elsa-Brändström-Schule untergebracht und von Helfern des Deutschen Roten Kreuzes betreut sowie mit Essen und Getränken versorgt.

Bürgermeister Volker Hatje, der am Sonntag einen offiziellen Besuch in der Partnerstadt Wittenberge abbrach, versprach schnelle Hilfe. „Wir richten morgen einen Krisenstab im Rathaus ein“, sagt er. Jeder Betroffene kann von 10Uhr an ins Rathaus kommen, wo seine Belange aufgenommen werden. „Dann schauen wir, wie wir jedem Einzelnen zum Beispiel mit Möbeln und bei Versicherungsfragen helfen können.“ Auch bei der Suche nach neuen Wohnungen wird die Stadt helfen. Der Verwalter des Objekts, die Deutsche Annington, bemüht sich um Ersatz.

Ob alle auch in Elmshorn unterkommen können, bleibt fraglich. „De facto sind nicht viele Wohnungen frei“, sagt Hatje. Er sei jedoch heilfroh, das niemand ernsthaft verletzt wurde. Der Großeinsatz der Rettungskräfte von Pinneberg bis Itzehoe habe einmal mehr gezeigt, wie leistungsfähig und gut eingespielt alle seien. „Allein hätten wir das nie geschafft“, sagt Hatje.

Seelsorgerin Britta Stender, Pastorin der evangelischen Kirche in Elmshorn und Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr, war zum Einsatzort gerufen worden. „Bisher hat niemand das Gespräch mit mir gesucht“, sagt sie. Die Betroffenen bräuchten zunächst einmal ganz praktische Hilfe und würden von Verwandten und Bekannten gestützt. Redebedarf komme meist erst Tage nach den schlimmen Ereignissen auf.