Kiel will 728 zusätzliche Stellen schaffen. Schulleiter begrüßen den Beschluss. Aber es gibt auch Kritik

Kiel/Norderstedt. Mehr Lehrer braucht das Land – aber wie viele? Das war am Dienstag der Streitpunkt an den schleswig-holsteinischen Schulen. Am Tag zuvor hatten die koalitionstragenden Parteien SPD, Grüne und SSW verkündet, 728 Lehrerstellen schaffen zu wollen. Der Aufbau wird über mehrere Jahre gestaffelt. Schon im August sollen die ersten 228 Lehrer kommen, 2015 und 2017 sind es jeweils 200, 2016 nur 100. Für Thomas Gerdes, den Leiter der Grund- und Gemeinschaftsschule im Quellental in Pinneberg, sind die zusätzlichen Stellen „nur ein Tropfen auf den heißen Stein“. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) sieht es positiver. GEW-Geschäftsführer Bernd Schauer sagt: „Das ist eine supergute Nachricht.“

Schauer weiß, dass sich die Situation an den Schulen mit den neuen Lehrstellen verbessern wird. Aber er weiß auch: „Das alles reicht nicht, um Bedingungen zu schaffen, von denen wir sagen können, dass sie zufriedenstellend sind.“ Denn die Stellen mildern nur einen Personalabbau bei den Landesbediensteten, den die Regierungskoalition in reduzierter Form fortsetzen wird. Er ist Bestandteil der in der Verfassung verankerten Schuldenbremse. Insgesamt sollen in allen Bereichen der Landesverwaltung 5345 Stellen wegfallen. Einige sind schon gestrichen worden, bei anderen soll das erst in den kommenden Jahren geschehen. Dazu gehören auch 2363 Lehrerstellen. Sie sind nach Ansicht der Regierung zumindest teilweise entbehrlich, weil die Schülerzahlen sinken. Von 2014 bis 2017 sollten jedes Jahr 365 Stellen wegfallen. Diese Zahl reduziert sich nun durch die Beschlüsse des Koalitionsausschusses.

Der will mit den neuen Stellen die Unterrichtsversorgung verbessern. Die ist tatsächlich nicht gut. Überall gibt es Klagen wegen des hohen Unterrichtsausfalls. Auch der Ministerpräsident Torsten Albig (SPD), Vater zweier Kinder, hat schon festgestellt, dass auf die Schulzeiten kein Verlass ist. Mit den BAföG-Kosten von 36,4 Millionen Euro, die in Zukunft nicht mehr das Land, sondern der Bund trägt, ist nun das Geld da, um Abhilfe zu schaffen.

Wie groß der Unterrichtsausfall ist, bleibt allerdings unklar. Das Bildungsministerium arbeitet gerade daran, sich mithilfe eines neuen Computerprogramms einen möglichst wirklichkeitsgetreuen Überblick zu verschaffen. Das alte Programm (Odis) war in die Kritik geraten, die Zahlen gelten als geschönt und werden deshalb seit dem Schuljahr 2012/13 nicht mehr veröffentlicht. Vorhanden sind sie dennoch, dieser Zeitung liegen sie vor. Und das Bild, das sie zeichnen, ist alles andere als positiv. Bei Gymnasien fielen im Schuljahr 2013/14 im Schnitt 2,97 Prozent des Unterrichts aus, bei den Gemeinschaftsschulen waren es landesweit 2,77 Prozent, bei den Förderzentren 2,01 Prozent, bei den Grundschulen 0,46 Prozent. Besonders problematisch war die Situation im Kreis Segeberg. Mit 2,71 Prozent im Durchschnitt aller Schulformen gibt es dort den höchsten Unterrichtsausfall-Wert aller Kreise und kreisfreien Städte. Ob der Kreis von den zusätzlichen Stellen besonders profitiert, ist unklar. Das Bildungsministerium hat die Schulen im Land bereits darüber informiert, wie viele Stellen jede einzelne im kommenden Schuljahr zur Verfügung haben wird. Mit den 228 neuen Lehrern kann jetzt nachgesteuert werden. 74 soll die Gymnasien verstärken. 114 werden an Gemeinschaftsschulen ohne Oberstufe und 40 an Schulen mit Oberstufe unterrichten. Thomas Schunck, der Pressesprecher des Ministeriums, gibt ein klares Ziel aus: „Wir wollen damit den Unterrichtsausfall bekämpfen.“ Bei den Eltern kommt das gut an. „Das ist genau der richtige Schritt in die richtige Richtung“, sagt die Schulelternbeiratsvorsitzende der Grund- und Gemeinschaftsschule im Quellental in Pinneberg, Ilka Gohla. „Es war höchste Zeit, dass die Landesregierung dem Bedarf der Schulen nachkommt“, sagt sie zum Abendblatt.

„Es ist dringend notwendig, mehr Lehrerstellen bereitzustellen“, findet auch Wolfgang Balasus, Rektor der Rosenstadtschule, einer Regionalschule in Uetersen. „Wir Schulleiter wünschen uns schon lange eine bessere Unterrichtsversorgung. Seit Jahren erleben wir, dass wir die Stundentafel nicht erfüllen können. Wenn Lehrer krank werden, sich fortbilden oder auf Klassenreise gehen, kommt es zu Unterrichtsausfällen. Dabei brauchen die Kinder heute mehr Unterricht, um das Bildungsniveau zu halten.“

Heike Schlesselmann, 50, Leiterin des Norderstedter Coppernicus-Gymnasiums, ist sehr erleichtert, dass es nun mehr Stellen gibt. Die Lehrerin für Englisch, Religion und darstellendes Spiel freut sich auf Zuwachs im Kollegium. Sie sagt: „Wünschenswert wären für uns zwei bis drei neue Kollegen. So könnten wir Ausfälle abfedern.“ Derzeit unterrichten am Coppernicus-Gymnasium 55 Lehrkräfte.