Der ehemalige Bundespräsident Christian Wulff rechnet in seinem Buch mit Medien und Justiz ab

Berlin/Hannover. Worauf es Christian Wulff ankommen würde an diesem brütend heißen Berliner Nachmittag im Gebäude der Bundespressekonferenz, war schon vorher klar gewesen. Er habe sich von den „entwürdigenden Umständen, die zu meinem Rücktritt geführt haben“, lange Zeit nicht freimachen können, hat er über Pfingsten auf der Homepage seines Verlages mitgeteilt. Von jener „zwei Monate dauernden Treibjagd“, die „von der ‚Bild‘-Zeitung am 12. Dezember 2011 eröffnet“ worden sei. Und an der sich, so sieht es Christian Wulff in seinem Buch „Ganz oben, ganz unten“, auch der Autor dieses Berichts beteiligt hat. Abrechnung also.

Nein. „Keine Abrechnung“, sagt Christian Wulff, der wieder im blauen Anzug, mit blauer Krawatte und Bundesverdienstkreuz vor der Berliner Presse steht. Er wolle lediglich „seine eigene Sicht der Dinge hinzufügen“, sodass sich jeder eine Meinung bilden könne. Es gehe ihm auch um die eigenen Fehler, wie zum Beispiel jenen legendären Anruf bei „Bild“-Chefredakteur Kai Diekmann. Es gehe ihm aber auch um die Fehler der Politik, „die abgetaucht“ sei, während er stürzte. Zu denen, die damals aus seiner Sicht auf Tauchstation gingen, zählt er seinen Nachfolger als niedersächsischen Ministerpräsidenten, David McAllister (CDU), der laut „Ganz oben, ganz unten“, im Kabinett „die Linie ausgegeben“ habe, „auf Abstand zu achten“. McAllister, plaudert Wulff auf Seite 241 aus, habe selbst Sorgen gehabt. Ein geliehener VW-Golf sei dem CDU-Politiker „deutlich unter den marktüblichen Konditionen“ überlassen worden.

Es gehe ihm, so Wulff in Berlin weiter, auch um die Fehler in der Berichterstattung der Medien, deren „Auswüchse“ aus seiner Sicht die Demokratie gefährdeten. Er beschreibt in seinem Buch unter anderem, wie ihn „der Verlag Axel Springer verfolgt“ habe nach seiner Nominierung zum Bundespräsidenten. Es gehe ihm auch um die „Art und Weise, wie Medien und Justiz sich die Bälle zuspielen“. Das gefährde „die Gewaltenteilung und damit die Demokratie“.

Um diese Bedrohung in seinem Buch zu belegen, schießt Wulff allerdings, wie damals einige Medien, etwas über das Ziel hinaus. So werden Zusammenhänge zwischen Berichterstattung, Kommentierung und Handeln der Justiz unterstellt, dann aber nicht mit Fakten unterlegt. Wulff macht aus Zustandsbeschreibungen Drohungen. Auch wenn der Ex-Präsident versucht zu belegen, dass Journalisten sich selbst nicht kritisieren, dafür aber andere umso heftiger, lässt er gerne mal den zweiten, für seine These unpassenden Satz eines Kommentars beiseite. Im Grunde macht er also ziemlich genau das, was er manchem Berichterstatter im Umgang mit seiner Präsidentschaft vorwirft.

Wulff, keine Frage, sucht sich in seinem 256-seitigen Buch jene Passagen heraus, die sein Affärenbild untermauern. Das geht im Prinzip so: Alle haben Fehler gemacht, auch er selbst. Aber am Ende ist ein komplottähnliches Zusammenspiel zwischen Justiz und Medien der eigentliche Auslöser eines in der Sache unnötigen Rückzugs aus dem Schloss Bellevue. Wulffs Fazit der Präsidentenaffäre: „Der Rücktritt war falsch. Hätte sich die Staatsanwaltschaft in Hannover korrekt verhalten, wäre ich noch im Amt.“

Peter Hintze, einer der letzten Parteifreunde, die Wulff in der Krise zur Seite gestanden haben, hatte bereits am Morgen des Tages der Buchvorstellung die Blaupause für alle Wulff-Versteher geliefert. Der Bundestagsvizepräsident bezeichnete die Präsidentenkrise als „konstruierten Skandal“. Seine These in Kürze: Da der Ex-Präsident sich rechtlich nichts zuschulden habe kommen lassen, seien alle Vorwürfe gegen ihn falsch und Wulffs Rücktritt somit durch falsche Vorwürfe erzwungen worden. Hintzes Schlussfolgerung: „Die Presse hat versagt.“

Im Umkehrschluss würde das allerdings bedeuten, dass alle Vorwürfe gegen Politiker so lange falsch und für die Öffentlichkeit bedeutungslos sind, solange sie nicht von einem Gericht als strafrechtlich relevant eingestuft und abgeurteilt worden sind. Nach dieser Logik wäre so ziemlich jeder Rücktritt in der 65-jährigen Geschichte der Bundesrepublik durch falsche, weil strafrechtlich irrelevante Vorwürfe erzwungen worden.