Innenminister Pistorius rügt Behörde für Fehler. Landtag debattiert über Neuausrichtung

Hannover. Der niedersächsische Verfassungsschutz hat über viele Jahre in Tausenden von Fällen Menschen wegen Extremismusverdachts zu Unrecht oder viel zu lange gespeichert. Eine von Innenminister Boris Pistorius (SPD) eingesetzte Taskforce hat alle über 9000 bei der Behörde gespeicherten Dossiers überprüft und 1937 für fehlerhaft erklärt, das sind rund 21 Prozent der Dossiers. Weitere 1564 Dossiers sollen zusätzlich gelöscht werden, weil sie nicht länger zur Aufgabenerfüllung benötigt werden. Pistorius schonte die ihm unterstellte Behörde bei Vorstellung der Ergebnisse am Dienstag nicht: „Das ist erschreckend, weil es nicht um Versehen oder individuelle Fehler einiger weniger Mitarbeiter geht, sondern weil das System offenbar versagt hat.“

Als im vergangenen Herbst mehrere Fälle bekannt geworden waren, in denen auch Journalisten rechtswidrig vom Verfassungsschutz erfasst worden waren, hatte Pistorius die Überprüfung aller Datensätze angeordnet. Die Taskforce belegt nun die massenhafte fehlerhafte Speicherung für alle Bereiche, also Rechtsextremismus, Linksextremismus und Islamismus. So wurden beispielsweise rund 100 Personen allein deshalb im Bereich Islamismus gespeichert, weil sie regelmäßig zum Freitagsgebet in eine Moschee gingen.

Die Behörde hat zudem laut Taskforce die Daten länger als nötig gespeichert

Gespeichert wurden auch Minderjährige, obwohl es den vom Gesetz geforderten konkreten und individuell zurechenbaren Gewaltbezug der Betroffenen nicht gab. Zudem hat die Behörde laut Taskforce viele Daten länger als nötig gespeichert, in dem sie die Ausnahme zur Regel machte und die Maximalfristen praktisch immer ausnutzte. Die Regierungsparteien SPD und Grüne erklärten fast wortgleich, unter dem im Januar 2013 abgelösten CDU-Innenminister Uwe Schünemann habe der Verfassungsschutz massenhaft Grundrechte verletzt. Auch der stellvertretende Fraktionschef der FDP, Stefan Birkner, nannte das Ergebnis der Überprüfung beunruhigend: „Es wurden aus fragwürdigen Gründen in erheblichem Umfang Daten gespeichert.“ Wie der CDU-Abgeordnete Nacke sieht auch Birkner durch das Ergebnis der Taskforce den Vorwurf an die alte Landesregierung, sie habe den Verfassungsschutz instrumentalisiert, widerlegt.

Der Landtag wird am Mittwoch im Anschluss an eine Regierungserklärung eine Grundsatzdebatte über die Neuausrichtung des Verfassungsschutzes führen.