Der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Torsten Albig legt sich mit den Autofahrern an. Warum nur?

Kiel. In diesen Tagen muss sich Torsten Albig fühlen, als sei mit ihm etwas nicht in Ordnung. Der Hamburger SPD-Bundestagsabgeordnete Johannes Kahrs bescheinigt ihm, „völligen Unfug“ zu reden. Die „Kieler Nachrichten“ stellen fest, dass der schleswig-holsteinische Ministerpräsident entweder ein „Besserwisser“ sei oder den „starken Mann“ markiere. Und „Bild“ titelt: „Hat dieser Ministerpräsident eigentlich ein Rad ab?“

„Rad ab“: Ja, da hatte sich offenbar jemand überlegt, wie er das sperrige Thema Verkehrsinfrastruktur mit in die Überschrift hineinbringen kann. Denn darum war es dem SPD-Ministerpräsidenten Albig in seinem Interview mit der „Welt“ gegangen. Das Interview, das dann nach Ostern alle großen Medien bestimmen sollte. Dabei hatte Albig nur vorgeschlagen, den Autofahrern einen Jahresbetrag von 100 Euro abzuverlangen, um damit einen Sonderfonds „Reparatur Deutschland“ zu speisen.

Besonders in der Bundeshauptstadt war die Resonanz lautstark und vernichtend. Der SPD-Haushaltsexperte Joachim Poß sagte, der Vorschlag sei „völlig inakzeptabel“. Der SPD-Chef Sigmar Gabriel verwies kühl auf den Koalitionsvertrag, der einen Sonderfonds nicht vorsehe.

Und Wolfgang Kubicki, FDP-Fraktionschef im Kieler Landtag, trat als Psychologe auf. „Wahrscheinlich ist“, sagte er, „dass Albig lediglich dokumentieren möchte, dass es in Schleswig-Holstein neben Ralf Stegner noch einen anderen Sozialdemokraten gibt.“ Tagelang ging das so – auch ohne Albigs Zutun. Der machte am Mittwoch frei und reiste am Donnerstag für zwei Tage nach Estland. Zu Hause lief die Maschine weiter. Noch am Freitag empfahl ihm Steffen Kampeter (CDU), Staatssekretär im Bundesfinanzministerium: „Herr Albig sollte sich erst einmal darum kümmern, die eigene Schuldengrenze einzuhalten.“ Was die Schuldengrenze, die Schleswig-Holstein übrigens einhält, mit den maroden Autobahnen zu tun haben könnte, blieb sein Geheimnis.

In der Kieler Staatskanzlei, einem Gebäude, das anderenorts auch als eine etwas zu groß geratene Gemeindeverwaltung durchgehen würde, wundert man sich schon darüber, was man da ausgelöst hat. Albig als Furie von der Förde? Sicher, eine Wirkung habe man sich schon erhofft. Aber das? Der Zeitpunkt der Veröffentlichung, der mit dem journalistischen „Osterloch“ zusammenfiel, sei eher zufällig zustande gekommen. Und eigentlich habe Albig doch nur ausgesprochen, was ihm schon länger auf dem Herzen liege – und was er bei diversen öffentlichen Reden immer wieder anprangere. Vor allem in Unternehmerkreisen.

Januar 2013: Albig spricht bei der Jahrestagung des AGA-Unternehmensverbandes in der Bucerius Law School in Hamburg. „In Berlin muss man begreifen, dass Deutschland als Exportnation zurückfällt, wenn die Infrastruktur in Norddeutschland ausgebremst wird“, sagt er. „Die Bundespolitik dreht uns viel zu oft den Rücken zu.“ Und dann folgt ein Satz, der im gedruckten Redetext nicht zu finden ist: „Wir müssen vielleicht mit unseren Forderungen dreister werden.“

Ein gutes Jahr später ist diese Dreistigkeit da. Jetzt einfach mal die Autofahrer zur Kasse bitten! Es ist fast schon selbstmörderisch. Als Politiker macht man das nicht – ebenso wenig, wie ein Papst die unbefleckte Empfängnis infrage stellen sollte. Doch Albig hat ein paar gute Gründe für seinen tolldreisten Vorschlag. Denn beim Geldeinsammeln für die Reparatur der Infrastruktur ist man in Berlin nicht recht vorangekommen.

Die Folgen sind überall sichtbar. In Schleswig-Holstein gibt es dafür schöne Beispiele, in Hamburg auch. Die Rader Hochbrücke, die die A7 über den Nord-Ostsee-Kanal bringt, hat gerade eine Notreparatur hinter sich. Dennoch wird sie wohl nur noch ein paar Jahre halten. Ersatz? Nicht in Sicht, nicht geplant. Die Köhlbrandbrücke in Hamburg, auch so ein Kind der Siebzigerjahre, wird gerade zum wiederholten Male geflickt. Aber wie lange hält sie noch?

Experten sind sich mittlerweile darin einig, dass mindestens 7,2Milliarden Euro im Jahr benötigt werden, um die Straßen, Schienen und Brücken zu erhalten. Von diesem Betrag finden sich im Bundeshaushalt nur Bruchstücke wieder: 1,25Milliarden Euro pro Jahr.

Eine große Diskrepanz, die einen großen Aufschlag wert ist. Findet Torsten Albig. Und will nicht lockerlassen. Er weiß, dass am Ende abgerechnet wird. „Wenn Politik nicht erreicht, dass das Leben besser wird, dann hat Politik nichts erreicht“, sagt er bei jeder sich bietenden Gelegenheit. Eines hat er mit seinem Osterinterview schon erreicht. Das Feuilleton von „Spiegel Online" startet mit Albig ihre neue Serie „Büro-Hit“. Ein Musiker namens Tammo Sachs komponiert Songs zu politischen Ereignissen. In seinem „Schlagloch-Blues“ singt er: „Bist du Ministerprä-si-dent, den aber kei-ner wirklich kennt, ja dann sag’ doo-och, das mit dem Schlagloo-och“. Lustig. Aber nicht gaa-anz richtig. Das Wort Schlagloch hatte Albig gar nicht verwendet.