Berliner warf sie 1913 in die Ostsee. Nun kam sie bei der Enkelin an

Kiel. Manchmal holt einen die Vergangenheit ein. Doch selten so ungewöhnlich wie bei Angela Erdmann aus Pankow. Plötzlich steht ein Familienforscher vor ihrer Tür, und die ehemalige Lehrerin kann nicht fassen, was dieser ihr überbringt: eine Nachricht ihres Großvaters – nach 101 Jahren.

Rückblende, Frühling 1913: Der 20 Jahre alte Berliner Richard Platz wirft auf einer seiner vielen Wandervogel-Reisen eine Flaschenpost in die Ostsee. Er legt ihr eine dänische Briefkarte bei, darauf seine Adresse und die Bitte an den Finder, sie ihm zurückzuschicken.

Frühling 2014: Als ein Kieler Fischer die alte, braune Flasche in seinem Netz findet, geht die Nachricht vom Rekordfund rasch um die Welt, denn sie ist die Flaschenpost mit der längsten Laufzeit. Als Weltrekord-Flaschenpost wird sie voraussichtlich im Guinnessbuch der Rekorde aufgeführt werden. Schnell sind Name und Adresse des Absenders entziffert, doch der Rest der alten Botschaft bleibt unleserlich. Wer verbirgt sich hinter dem Absender? Bald steht fest: Der Flaschenpost-Absender selbst ist schon 1946 an Entbehrungen und Krankheit, beim Steineklopfen im zerstörten Berlin, verstorben. Seine beiden Töchter sind auch nicht mehr am Leben. Aber seine Berliner Enkelin lebt.

„Ich hatte von der Flaschenpost-Geschichte gar nichts mitbekommen“, sagt Angela Erdmann. „Dann sah ich im Internet, welchen Wirbel die Flaschenpost ausgelöst hatte, und war nur noch baff.“ Der Fund brachte die 62-Jährige dazu, sich nun erstmals näher mit ihrem Großvater zu beschäftigen. Was sie mithilfe ihrer Cousine über ihn herausfand, hat sie tief bewegt. „Es gibt viele Bilder, Geschichten und sogar einen langen Brief von Opa Richard an seine Nachkommen. Als ich jetzt seine Zeilen las, war es so, als ob er nach all den Jahren zu mir sprechen würde.“