Nach der Katastrophe von Itzehoe mit vier Toten und 15 Verletzten hat die Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren eröffnet. Etwa 100 Menschen waren am Montag nach der Explosion in Sicherheit gebracht worden.

Itzehoe. Trümmer. Nichts als Trümmer, Schutt, Bretter, Ziegel und Steine, dazwischen liegt mal ein einzelnes Kissen, die Überreste eines Radios sind zu erkennen, der Geruch von Staub liegt in der Luft. Wo bis Montag morgen noch ein Wohnhaus gestanden hat, ist jetzt nur noch ein Bild von Verwüstung und Zerstörung übrig. „Es sieht aus wie im Zweiten Weltkrieg“, sagt ein Anwohner fassungslos. Die Hände mit Handschuhen geschützt, graben Polizisten in den Trümmern, auf der Suche nach der Ursache für die Katastrophe, die Teile von Itzehoe erschüttert, ein Wohnhaus vollkommen zerstört und vier Todesopfer gefordert hat. 15 weitere Menschen wurden bei der Explosion verletzt.

Für Marco Wrage war es „das Schlimmste, was ich jemals gehört habe“. An einen „Riesenknall“ erinnert sich der Mann und an Schreie. „Dann gab es einen Trümmerregen. Alles wurde schwarz und grau.“ Und plötzlich diese Stille, die für den 42-Jährigen noch viel schrecklicher war als das Lärmen und Tosen zuvor. Marco Wrage war beinahe mittendrin in dem Chaos, als an der Schützenstraße ein Haus explodierte und in Schutt und Asche zusammenbrach und die Druckwelle auch die Nachbarhäuser erfasste. Der Verkäufer wohnt direkt neben dem Unglückshaus, in einer Dachgeschosswohnung, die der Verkäufer als „ein Stück vom Paradies“ bezeichnet. Immer noch – auch wenn sie jetzt deutlich ramponiert ist und im Moment unbewohnbar.

Marco Wrage hofft, dass er irgendwann wieder zurückkann in seine Dachgeschosswohnung, die er so sehr liebt und die er gerade für einige wenige Minuten betreten durfte, um ein paar seiner Habseligkeiten für sich zu sichern. Viel ist es nicht, doch der 42-Jährige hat noch sehr viel Glück gehabt, dass ihm selbst nichts wirklich Schlimmes passiert ist. Der Itzehoer trauert um die Verstorbenen und leidet mit den Verletzten. Zwei von ihnen, die lebensgefährlich verletzt waren, sind mittlerweile außer Lebensgefahr, erklärte der Sprecher der Polizei Itzehoe, Hans-Werner Heise. Die Staatsanwaltschaft Itzehoe hat unterdessen ein Todesermittlungsverfahren eröffnet. „Wir stehen am Anfang“, sagte Staatsanwalt Peter Müller-Rakow. „Wir ermitteln in alle Richtungen.“ Die Möglichkeit einer Gasexplosion stehe aber besonders im Fokus. Mit einer genauen Klärung der Ursache wird frühestens für Mittwoch gerechnet. Jetzt gebe es dort noch „rund hundert Tonnen Schutt, die abgefahren werden müssen“, sagt Polizeisprecher Heise.

In der Nacht zu Dienstag hatten die Helfer den letzten Vermissten nur noch tot bergen können. „Nach dem Umschaufeln von diversen Tonnen Schutt und dem nochmaligen Einsatz von Spürhunden gelang es den Einsatzkräften schließlich, die Person zu bergen“, hieß es bei der Polizei.

Etwa 100 Menschen waren nach der Explosion in Sicherheit gebracht worden

Es handelte sich um einen 45 Jahre alten Hausbewohner. Am Montag waren drei Todesopfer geborgen worden. Bis spät in die Nacht hatten Helfer nach dem letzten Vermissten gesucht und den Schutt teilweise mit bloßen Händen abgetragen. Die Suche nach weiteren Opfern wurde am Dienstag eingestellt. Die drei 36, 38 und 58 Jahre alte Opfer waren schon zuvor geborgen worden. „Ruhet in Frieden“, hat ein Nachbar für sie geschrieben und die Nachricht inmitten der vielen Kerzen und Blumensträuße platziert, die in der Nähe an einer Straßenecke aufgestellt wurden. Drei Männer, einer von ihnen mit seiner kleinen Tochter an der Hand, stehen dort und trauern um einen Freund. „Ich kannte ihn schon seit meiner Kindheit“, erzählt einer von ihnen. Mehr möchte er nicht sagen. Die Kirchen Itzehoes laden für trauernde Menschen wie diese drei in die zentrale St.-Laurentii-Kirche, Kirchenstraße 10, zu einem Gottesdienst ein. Propst Thomas Bergemann wird den ökumenischen Gottesdienst leiten.

Etwa 100 Menschen waren am Montag nach der Explosion in Sicherheit gebracht worden und mussten für die Nacht bei Freunden oder in einer Notunterkunft, die behelfsmäßig in einem leer stehenden Internat in einer Nachbargemeinde eingerichtet wurde, Zuflucht finden. „Wir haben organisiert, dass die Menschen untergebracht werden“, sagt Bürgermeister Andreas Koeppen. Jeder Betroffene habe 100 Euro Handgeld bekommen, um sich das Nötigste anzuschaffen, ein Spendenkonto wurde eingerichtet, die Lagerung von Sachspenden organisiert. Nicht nur die Bewohner des Unglückshauses in Nummer 3, auch die der Nachbargebäude sind wohl darauf angewiesen. Die betroffenen Wohnungen seien „komplett unbewohnbar“, sagt Koeppen. Unter Begleitung und aus eigenem Ermessen dürfen die Menschen für einige Momente in ihre Wohnungen zurück, um wichtige Dinge zusammenzuraffen.

So wie Marco Wrage, der am Montag beinahe nackt und in Panik seine Wohnung verlassen hatte. „Erst dachte ich, es brennt. Ich wollte über die Dächer flüchten“, erzählt der Bewohner aus Hausnummer 5. „Ich habe die Katastrophe gesehen, die Trümmer auf dem Balkon. Dann habe ich die Balkontür zugeknallt, habe schnell eine Jogginghose und eine Jacke übergeworfen und bin raus.“ In den Straßen sah er nur Steine und Scherben. „Dann weiß ich nicht mehr viel.“ Ein Freund lieh ihm einige Kleidungsstücke, dort konnte er auch duschen und hätte auch in dessen Wohnung übernachten können. „Aber ich stand unter Schock, war den ganzen Tag nur planlos herumgelaufen, hatte nichts gegessen.“ Schließlich wurde er über Nacht in ein Krankenhaus eingeliefert, zur Beobachtung. „Ich war total fertig, bekam auch Beruhigungsmittel.“ Nun konnte er die wichtigsten Dinge aus seiner Wohnung holen, etwas Geld, Papiere, Schmuck und seinen Laptop.

Für Erdal Yildiz, der ebenfalls direkt neben dem Unglückshaus wohnt, ist es das Wichtigste, dass er sein Leben behalten hat und mit ihm seine Frau und seine Tochter. „Die Fenster sind kaputt gegangen, auch im Kinderzimmer. Wir haben verdammt viel Glück gehabt“, sagt der 53-Jährige. Und Roland Dürr, ein weiterer Anwohner, findet: „Für mich bedeutet das den Neuanfang. Es geht ja nichts mehr.“