Mindestens vier Tote und 15 Verletzte nach Explosion eines Wohnhauses in Itzehoe. Retter suchen mit Hunden nach Vermisstem.

Itzehoe. Hans-Hermann Süllau, 61, saß gerade mit seiner Frau am Frühstückstisch, als gegen 8.45 Uhr ein lauter Knall sein Haus erschütterte. Im selben Moment wurde die Tür von einer Druckwelle aus dem Schloss gerissen. Staub quoll in die Wohnung. „Gleich darauf habe ich die Schreie von Frauen und Kindern gehört. Furchtbar. Ich habe mir gleich gedacht, dass es eine Gasexplosion war“, sagt der Gas- und Wasserinstallateur. Als er auf die Straße lief, ist alles von Trümmern übersät. Dachziegel, Fensterglas, Steine lagen auf dem Asphalt.

Eine Straße weiter, in der Schützenstraße, klafft zwischen zwei Wohnhäusern eine Lücke. Das Haus dazwischen gibt es nicht mehr. Die Explosion hat das Gebäude völlig zerstört. Keine Mauer ist stehen geblieben. Nur ein Haufen Schutt aus Steinen, Dachgebälk, Zwischenböden und Inventar der elf dort gemeldeten Bewohner ist übrig. Werner Mohr, 45, der schräg gegenüber des zerstörten Hauses wohnt, schlief noch, als es zur Explosion kam. Es habe sich angehört und angefühlt, als ob ein „ICE durch die Wohnung rauscht“. Alle Türen seien aufgesprungen, die Fenster zersprungen. „Es war in dem Moment wie ein Weltuntergang“, schildert Günter Harbrucker, 82, den „enormen Knall“. Er muss wie die anderen Anwohner sein Haus zunächst verlassen.

Es grenzt an ein Wunder, dass aus diesem Trümmerhaufen Menschen lebend herausgekommen sind. „Es gab 15 Verletzte, vier davon schwer. Vier Menschen wurden aus dem betroffenen Haus gerettet. Auch sie gehören zu den Verletzten“, sagt Christian Mandel, Sprecher der Rettungsdienstes. Für vier Opfer kam jede Hilfe zu spät. Kurz nach der Explosion entdeckten Rettungskräfte die Leiche von Marc J., 36, auf einem angrenzenden Garagendach. Der Autohändler hatte in dem explodierten Haus gewohnt. Vermutlich war er auf das Garagendach geschleudert worden. Am Nachmittag wurde die Leiche eines 56-jährigen Bauarbeiters gefunden, kurz vor 20 Uhr wurde ein drittes Todesopfer geborgen. Nähere Angaben zu seiner Person hab es zunächst nicht. Die Rettungsarbeiten wurden bis in die Nacht fortgesetzt.

Mit Spürhunden suchten die Einsatzkräfte, insgesamt 360 waren vor Ort, in dem Trümmerhaufen. Mit dabei war Martina Umlandt, die seit 14 Jahren ehrenamtlich für die Hunderettungsstaffel Holstein mit Sitz in Wapelfeld (Kreis Rendsburg-Eckernförde) arbeitet. Mit elf Helfern und fünf Trümmerhunden war diese Einheit vor Ort, um nach Verschütteten zu suchen. „Das ist mein erster Einsatz in dieser Art in Schleswig-Holstein“, sagt sie. „Wir haben sonst eher Flächeneinsätze.“ Die Suche in den Trümmern sei für die Hunde extrem anstrengend, weil die Tiere ihre Nase die ganze Zeit tief halten. Auch Hitze und Staub machten den Hunden zu schaffen. Nach 15 Minuten bräuchten sie eine halbe Stunde Pause.

„Die Hunde haben an fünf Stellen Auffälligkeiten angezeigt“, sagt sie. Dort trug das THW dann eine Schicht Trümmer ab, damit die Hunde noch einmal die Witterung aufnehmen konnten. Am Nachmittag rückte die Feuerwehr Hamburg mit einem sogenannten Bioradar an. Damit können Menschen unter Trümmern aufgespürt werden.

Bürgermeister Andreas Koeppen war zum Zeitpunkt der Explosion in seinem Büro, knapp 500 Meter von der Schützenstraße entfernt. „Es war ein unheimlich lauter Knall. Ich bin dann gleich raus.“ Was er in der Schützenstraße sah, hat ihn erschüttert. „Solche Bilder kennt man sonst nur aus dem Fernsehen. Da wird einem schon der Hals trocken.“ Er kümmerte sich mit den Mitarbeitern der Verwaltung zuerst um die Überlebenden und Anwohner. 15 Häuser in der Umgebung sind teilweise schwerst beschädigt. Fast aus jeder Wohnung sind Scheiben rausgeflogen. Das Gas ist abgestellt. „Wir bringen die Anwohner, die nicht in ihre Häuser zurück können, in Hotels unter. Für den Fall, dass der Platz nicht ausreicht, haben wir Feldbetten in einer Turnhalle aufgestellt“, sagt Koeppen.

Die Ursache der Explosion war zunächst ungeklärt. Ermittler der Kriminalpolizei waren bereits am Mittag vor Ort und begannen mit der Spurensicherung und der Vernehmung von Zeugen. Die Anwohner waren sich zu dem Zeitpunkt bereits sicher, dass die Katastrophe durch die Bauarbeiten ausgelöst wurden, die gerade in der Straße stattfanden. Die Schützenstraße mit ihren oft über 100 Jahre alten Häusern gehört zu einem Sanierungsgebiet, in dem die Straßen neu gepflastert und bessere Bürgersteige angelegt werden. Vor dem explodierten Haus fanden Baggerarbeiten statt. Zunächst sollte das Siel erneuert werden, dann der Straßenbelag und die Bürgersteige. Der Straßenbelag war schon heruntergenommen worden. Die Vermutung der Anwohner: Eine Gasleitung wurde bei den Arbeiten geschädigt. Das kann tückische Auswirkungen haben. „Wenn Gas durch Erdschichten in ein Gebäude sickert, dann können die Geruchsstoffe, die dem Gas extra beigemengt sind, um es besser zu bemerken, herausgefiltert werden“, sagt ein Feuerwehrmann. Hat sich ein explosives Luftgasgemisch entwickelt, genügt ein Funken, um es zu zünden. Wann und ob die Menschen überhaupt zurück in ihre Häuser können, ist noch unklar.

Ingeborg Strehlow durfte in Begleitung eines Polizisten drei Stunden nach der Explosion noch einmal in ihre Wohnung zurück, um Medikamente und Papiere zu holen. Die 71-Jährige wohnt seit 1959 in dem 1890 gebauten Fachwerkhaus. Sie ist in dem Viertel verwurzelt: „Meine Mutter ist hier nebenan in der Moltkestraße 15 geboren worden“, sagt sie. Dass sie je wieder in ihr Haus zurück kann, bezweifelt sie. „Da waren Risse in den Wänden“, sagt sie. Die Türen und Fenster seien durch die Druckwelle zerstört, die Rückseite des Gebäudes „weggefetzt“ worden. „Da kann keiner mehr wohnen“, sagt sie. Sie wohnt jetzt erst einmal bei ihrem Lebensgefährten.