Der Lüneburger Fotograf Björn Schönfeld startet deutschlandweite Aktion für Hebammen. Für die Bilder reist er mittlerweile durchs ganze Land

Lüneburg. Eigentlich hatte Björn Schönfeld nur eine Idee. Dann begann er mit der Umsetzung – und heute bekommt der Lüneburger Nachrichten aus ganz Deutschland. Mehr als 30 Frauen aus Hamburg haben schon mitgemacht bei seiner Kampagne, Tausende aus ganz Deutschland wollen es noch. „Das erste Gesicht“ zeigt Hebammen. Frauen des Berufsstandes, der mit der umstrittenen Schließung der Geburtsstation auf Sylt wieder einmal im Fokus der Öffentlichkeit steht.

Björn Schönfeld hat sich mit seinem Schreibtisch für ein paar Quadratmeter bei einem Onlinemagazin eingemietet, sein Job findet draußen statt: Er ist Fotograf, in erster Linie Hochzeitsfotograf. Der 32-Jährige trägt Kapuzenpulli, bietet Tee an und weiß gar nicht so recht, wo er anfangen soll mit dem Erzählen über sein Projekt.

„Eigentlich hat alles mit Lena angefangen“, sagt er und nickt mit dem Kopf in Richtung Sofa. Dort sitzt eine junge Frau mit Wuschelkopf. Lena Starke, Nachbarin, Freundin und Vertreterin der Berufsgruppe, ohne die ein Arzt im Krankenhaus kein Kind auf die Welt bringen darf. Hinzuziehungspflicht heißt das im Gesetz.

Lena Starke ist 33 Jahre alt, Hebamme, hat vier Kinder und ernährt mit ihrem Beruf die Familie. Und sie ist Mitglied im Vorstand des Hebammenverbands Niedersachsen. „Ich kam gerade von der Bundesdelegiertentagung“, erzählt sie. „Da haben wir erfahren, dass unsere Haftpflichtprämie für Geburtshilfe im Juli wieder erhöht wird: um 20 Prozent auf 5090 Euro im Jahr. Wir verdienen aber nur rund 8,50 Euro pro Stunde. Viele von uns können sich diesen Beruf bald nicht mehr leisten.“ Oder dürfen ihn gar nicht mehr ausführen: Wenn tatsächlich zum Sommer 2015 eine Versicherung wie angekündigt aus dem Vertrag aussteigt, droht den Hebammen das Berufsverbot.

Aus dem Küchengespräch ist eine Kampagne geworden. Nach drei Tagen hatte die Facebook-Seite „Das erste Gesicht“ 3000 positive Bewertungen, jetzt sind es 11.500 – nach nicht einmal drei Monaten.

Hebammen müssen 2000 Euro Fixkosten im Monat tragen

„Mir geht es darum, starke Frauen zu zeigen, etwas Positives zu vermitteln“, sagt Björn Schönfeld, selbst Vater zweier kleiner Kinder. „Nicht darum, jemanden anzuprangern oder zu jammern. Die Aufgabe der Hebammen muss aber eine gesellschaftliche sein. Ihr Risiko können die Frauen doch nicht alleine tragen.“

Die meisten Hebammen arbeiten freiberuflich, selbst wenn sie in Kreißsälen an Kliniken tätig sind. Knapp 300 Euro bekommen sie pro Geburt, mal ergibt das 2000 Euro im Monat, mal 6000 Euro. Ihre Fixkosten allerdings liegen bei mindestens 2000 Euro im Monat: für Krankenversicherung, Rente, Berufsgenossenschaft und eben die Haftpflichtversicherung. Weil sie die Familie ernährt, macht Lena Starke mittlerweile keine Geburtshilfe zu Hause mehr – davon könnte die Familie nicht leben. Sie macht ihre Arbeit gern, empfindet gerade auch die Betreuung der Schwangeren und später der Mütter vor und nach der Geburt als wichtig für Eltern und Kinder. Doch eine Frage lässt sie hadern auf dem Sofa von Björns Büro: „Warum muss ich dafür bezahlen, dass es Dinge zwischen Himmel und Erde gibt, die wir nicht beeinflussen können? Dass es Schicksal gibt? Die Verantwortung trage ich ohnehin, und die lastet schon schwer genug.“

Kommt ein Baby zum Beispiel mit einem niedrigen pH-Wert oder behindert zur Welt, im schlimmsten Fall tot, können die Hebammen verklagt werden. Zum Beispiel wegen grober Fahrlässigkeit, Kläger sind meist Krankenkassen.

Musste eine Beleghebamme vor zehn Jahren noch 2,8 Geburten betreuen, um das Geld für die Prämie zu verdienen, sind es heute 17 Geburten. Das hat Uschi Fietz ausgerechnet, Vorsitzende des Hebammenverbands Niedersachsen und seit 37 Jahren im Beruf. „Es kann doch nicht sein, dass wir uns bei dem hohen Risiko so hoch versichern müssen und gleichzeitig ein so geringes Gehalt bekommen“, sagt Uschi Fietz. Nach ihren Angaben ist die Anzahl der Versicherungsfälle nicht gestiegen, wohl aber die Höhe der einzelnen Fälle – die Ersatzklagen der Kassen gehen mitunter in die Millionen. „Wir fordern einen Versicherungsfonds, wie es ihn in vielen Nachbarländern gibt. Es muss endlich eine staatliche Lösung geben“, sagt sie

Gerade in den ländlichen Gebieten in Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern werden Hebammen inwzischen knapp. Eine Entscheidung zwischen Hausgeburt, Geburtshaus und Klinik ist für viele Schwangere schon gar nicht mehr möglich.

„Seit vorigem Jahr bekomme ich vermehrt Anrufe von Frauen, die keine Hebamme finden“, erzählt Uschi Fietz. „Das hat es vorher nicht gegeben. Wenn uns die Hebammen wegbrechen, ist das vor allem auch ein Problem für die Frauen, die keine Betreuung im Wochenbett mehr erhalten. Dann häufen sich Stillprobleme, Entzündungen und weitere Konsequenzen.“ Wer selbst keine Hebamme findet, dem rät Uschi Fietz, sich bei der Krankenkasse zu beschweren. Der Verband hält dafür ein Formular bereit.

Firma bietet 800 Plakatwände kostenfrei für die Kampagne an

Björn Schönfeld muss seinen Elan für „Das erste Gesicht“ mittlerweile zügeln – es läuft ehrenamtlich neben der Selbstständigkeit.

Für die Fotos ist er nach Hamburg, Berlin und Marburg, Leipzig und Nürnberg gefahren. Knapp 180 Frauen hat Schönfeld schon fotografiert. „Ich könnte aber noch 2000 Bilder machen, so viele Hebammen haben sich dafür angeboten.“

Mittlerweile ist eine Werbeagentur mit eingestiegen, dem Lüneburger wurden 800 Plakatwände in ganz Deutschland kostenfrei für die Kampagne zur Verfügung gestellt. „Nun muss ich nur das Geld für den Druck zusammenbekommen.“

www.daserstegesicht.de

www.hebammenverband.de