Ersten Jubiläum der rot-grünen Landesregierung: Die Opposition kritisiert vor allem die Versorgungspostenpolitik. Landesregierung hat in einer Umfrage des NDR vergleichsweise gute Noten bekommen.

Hannover. Ministerpräsident Stephan Weil vor Windmühle und beim konzentrierten Aktenstudium im Flugzeug. Kultusministerin Frauke Heiligenstadt inmitten einer Kinderschar, Sozialministerin Cornelia Rundt im Gespräch mit einer Seniorin – die zum ersten Jubiläum der rot-grünen Landesregierung am heutigen 19. Februar eigens aufgelegte Broschüre lässt keinen Zweifel zu: In Niedersachsen sind jetzt Kümmerer am Werk. Weswegen wenige Seiten weiter Umweltminister Stefan Wenzel einen Baum pflanzt und sich Innenminister Boris Pistorius um syrische Flüchtlinge bemüht.

Im edlen Ambiente des Gästehauses der Landesregierung ließ Regierungschef Weil am Dienstag das erste Jahr Revue passieren, sieht auf der Habenseite den Ausbau der Ganztagsschulen ebenso wie die Abschaffung der Studiengebühren und sogar einen „Paradigmenwechsel“ in der Flüchtlingspolitik. Aber wie es so seine Art ist, auch auf konkrete Fragen erhielten die Journalisten nur ungefähre Antworten. Ob und wann das Turbo-Abitur wieder abgeschafft wird: „Man ist gut beraten, schwierige Sachverhalte in Ruhe abzuwägen.“ Und der massenhafte Protest gegen die Arbeitszeitverlängerung für Gymnasiallehrer inklusive der Verweigerung von Klassenfahrten durch die Pädagogen können ihn nicht aus der Ruhe bringen: „Das haben wir sehenden Auges in Kauf genommen, dafür musste man kein Prophet sein.“ Schließlich sei anders der Ausbau der Ganztagsschulen nicht seriös finanzierbar gewesen.

Vize-Regierungschef und Umweltminister Wenzel lobte Seite an Seite mit Weil vor allem die vertrauensvolle Zusammenarbeit im Kabinett und freute sich noch einmal darüber, dass die letzten 26 Castoren aus den Wiederaufarbeitungsanlagen in England und Frankreich nicht nach Niedersachsen rollen sollen. In der Agrar- und der Energiewende sehen beide Männer die großen Herausforderungen für das kommende Jahr, eine Reform des Verfassungsschutzes wird es geben, das Breitbandnetz soll ausgebaut werden, eine Gülleverordnung muss her und eine Reform der Krankenhausstrukturen. Und der Regierungschef wird dann doch noch konkret, als er über seine weiteren Karrierewünsche spricht und bereits die nächste Landtagswahl ins Visier nimmt. Er freue sich auf seine Arbeit als Ministerpräsident „in den nächsten drei bis vier Jahren und auch darüber hinaus“.

Tatsächlich hat die Landesregierung in einer Umfrage des NDR vergleichsweise gute Noten bekommen fürs erste Jahr in der Verantwortung. Allerdings liegt der frühere Ministerpräsident David McAllister (CDU) immer noch bei Bekanntheit und Beliebtheit deutlich vor dem Sozialdemokraten Weil. Was sich allerdings ändern dürfte, wenn McAllister im kommenden Mai ins Europaparlament wechselt. Weil wird es in aller Ruhe abwarten.

Und genau dieses Verhalten regt auch mit Blick aufs erste Regierungsjahr den FDP-Fraktionschef im Landtag, Christian Dürr, erkennbar auf: „Niedersachsen hat unter Rot-Grün den Rückwärtsgang eingelegt, es wird nicht mehr gestaltet, sondern nur noch verwaltet.“ Die Schaffung Hunderter neuer Stellen in der Ministerialbürokratie inklusive vier neuer teurer Regionalbeauftragter findet er überflüssig: „SPD und Grüne denken nicht an die Menschen im Land, sondern zuerst einmal an Verwaltungsstrukturen.“ Tatsächlich hat die neue Landesregierung die Ziele für den Abbau der Nettoneuverschuldung reduziert und plant trotz Rekordeinnahmen wieder in einer höheren Kreditaufnahme.

Regierungschef Weil sieht aber das Land dennoch auf einer „konsequenten Abbaufahrt Richtung Schuldenbremse“. Die vielen gut dotierten neuen Posten ärgern auch CDU-Fraktionschef Björn Thümler: „Hervorgetan hat sich Rot-Grün immer dann, wenn es um die Versorgung eigener Parteifreunde geht.“ Er erinnerte an die Versprechen zu Beginn der neuen Legislaturperiode, für Transparenz und Dialog zu sorgen: „Tatsächlich macht die Regierung Weil ihre Politik längst in Hinterzimmern und stellt Beteiligte vor vollendete Tatsachen.“ Thümler sieht die Infrastrukturpolitik in Niedersachsen „gelähmt durch die widersprüchlichen Positionen von SPD und Grünen“. Die werden zuweilen sogar im Landtag deutlich, wenn Wirtschaftsminister Olaf Lies (SPD) vom Segen neuer Autobahnen schwärmt und gleich anschließend Grünen-Abgeordnete gegen neue Betonpisten wettern.

Aber inzwischen haben selbst die Christdemokraten zähneknirschend die Hoffnung begraben, solche Widersprüche könnten das rot-grüne Bündnis sprengen, weil es sich doch nur auf eine Ein-Stimmen-Mehrheit stützen kann. Dafür macht den Beteiligten das Regieren eindeutig zu viel Spaß.