Schleswig-Holsteins Grundschüler sollen keine Zensuren mehr bekommen. Kritik von Opposition, Verbänden und Eltern

Kiel. Ein Teil von Schleswig-Holsteins Schülern erhält künftig möglicherweise in Klasse 8 erstmals Notenzeugnisse. Nach dem Willen von Bildungsministerin Waltraud Wende (parteilos) sollen Grundschulen stattdessen generell Berichts- und Tabellenzeugnisse erteilen, sagte eine Ministeriumssprecherin am Freitag. Sie bestätigte damit einen Bericht der „Kieler Nachrichten“. Schulkonferenzen können allerdings auch Notenzeugnisse für dritte und vierte Klassen beschließen.

Bereits jetzt können Gemeinschaftsschulen bis Klasse sieben auf Noten verzichten. Ausnahmen sind die Gymnasien, die ab Klasse fünf Notenzeugnisse mit Ergänzungen austeilen. Die Mehrheit der Gemeinschaftsschulen im Land verzichte auf Notenzeugnisse, sagte die Sprecherin. Wende ist sich mit den Bildungspolitikern der drei Regierungsfraktionen bereits einig.

„Alle Bildungsexperten betonen, dass die Freude am Lernen und die unbeschwerte Neugier der Schüler durch Schulnoten gehemmt werden“, sagte Wende. Bislang durfte die Schulkonferenz über die Vergabe von Notenzeugnissen nur für dritte Klassen entscheiden. Für Grundschüler der vierten Klasse sind Notenzeugnisse noch landesweit verbindlich. Das Ministerium überarbeitet derzeit die einzelnen Schulart-Verordnungen. Dazu zählt auch die Abschaffung der Schulübergangsempfehlungen nach der vierten Klasse.

Ende März sollen die Verbände gehört werden. Werden die Änderungen umgesetzt, sind Zeugnisse mit Noten im Norden mit Ausnahme von Gymnasium ab kommendem Schuljahr erst ab Klasse 8 verpflichtend.

Unterstützung erhält Wende von einigen Verbänden. „Ziffernoten sind an Grundschulen völlig fehl am Platz“, sagte GEW-Landesgeschäftsführer Bernd Schauer. Berichtszeugnisse seien aussagekräftiger. Grundschulverbands-landeschefin Beate Blaseio sagte, „wir finden die Änderungen ganz großartig“. Noten führten zu großen Ungerechtigkeiten. „Es geht uns um die individuelle Betreuung und nicht die Sortierung der Kinder.“ Die Vorsitzende des Kinderschutzbundes, Irene Johns, findet: „Angst blockiert nur das Leistungs- und Lernvermögen.“

Andere Verbände und die Opposition lehnen Wendes Vorhaben dagegen strikt ab. „Diese Regierung setzt darauf, dass verunsicherte Eltern ihre Kinder nicht auf das Gymnasium schicken werden“, sagte die CDU-Bildungspolitikerin Heike Franzen. SPD, Grüne und SSW senkten das Niveau, um möglichst viele Kinder in die Oberstufe zu bringen. „Dabei sind ihnen die Gymnasien im Weg“, sagte Franzen. Die FDP-Abgeordnete Anita Klahn sieht in den Plänen einen Beweis, dass die Koalition jeglichen Leistungsgedanken aus den Schulen verbannen wolle.

„Große Teile der Lehrerschaft haben das Vertrauen in ernsthafte Bildungspolitik verloren bei dieser Ministerin“, sagte der Landesvorsitzende des Philologenverbandes, Helmut Siegmon. Der Wegfall von Noten schränke die Durchlässigkeit des Schulsystems weiter ein. Schleswig-Holstein isoliere sich damit weiter. Widerstand kommt auch von der Interessenvertretung der Lehrkräfte (IVL). „Die Zeugnisse werden mehr Ähnlichkeit mit einem Lotto-Tippschein als mit einer beurkundeten Leistungsanalyse haben“, sagte die IVL-Landesvorsitzende Grete Rhenius.

Die grüne Bildungspolitikerin Anke Erdmann wies die Vorwürfe zurück: „Warum ein sehr genaues und detailliertes Feedback zu weniger Leistung führen soll, warum eine Ziffernnote automatisch motivierender wirken soll, erschließt sich mir nicht.“

Eltern wollten Noten in Zahlen, denn nur sie gewährleisteten auf einen Blick Orientierung und Vergleichbarkeit, sagt dagegen Astrid Schulz-Evers vom Schleswig-Holsteinischen Elternverein zu den Plänen von Ministerin Wende. Auch Jörg Hoppe, Vorsitzender des Schulvereins Grundschule Am Reesenbüttel in Ahrensburg, sieht das Vorhaben der Bildungsministerin skeptisch. „Ich glaube nicht, dass dies sinnvoll ist“, sagt der Vater zweier Grundschüler. Er möchte, dass seine Kinder schon in der Grundschule lernen, mit Noten umzugehen.

„Das wäre sehr bedauerlich“, sagt Egon Boesten, Leiter der Leibniz-Privatschule in Hitzhusen bei Bad Bramstedt, über die Pläne der Landesregierung. Er und sein Kollegium haben die Erfahrung gemacht, dass Kinder genau wissen wollen, welche Leistungen sie erbringen. „Ich glaube, dass mit klaren Zensuren eher etwas anzufangen ist, als mit einer Fülle von Informationen“, sagt Ralph Märcker, Leiter der Grundschule Wöhrendamm in Großhansdorf.

Ob es sinnvoll ist, Noten erst ab Klasse 8 zu verteilen, darüber mag sich Marco Kainzinger kein abschließendes Urteil erlauben. Der Vorsitzende des Kreiselternbeirates der Grundschulen im Kreis Segeberg weiß allerdings aus eigener Erfahrung, dass Eltern Noten brauchen, um die Stärken und Schwächen des Nachwuchses erkennen zu können. „Wir leben nun mal in einer Gesellschaft, die diese Einstufungen an irgendeinem Punkt fordert“, sagt Kainzinger. „Einen kompletten Verzicht bis Klasse 8 halte ich deswegen für schwierig.“