Molkereien reichen Gratisproben ein. Kieler Labor verkauft sie an Kantinen weiter. Jetzt ermittelt die Staatsanwaltschaft. Das “Recycling“ von Laborkäse ist offenbar seit Jahrzehnten Praxis.

Kiel. Paniertes Schollenfilet mit Specksalat und Remouladensauce gab es am Freitag in der Kantine des Behördenzentrums in der Kieler Mercatorstraße. Das klingt lecker, aber manch einer wird sich doch die Frage gestellt haben, ob die Butter, die in der Panade steckte, aus dem Laden stammt oder aus dem Labor.

Denn seit ein paar Tagen ist bekannt, was die einen nun als Skandal, die anderen aber als verantwortungsvollen Umgang mit Lebensmitteln bezeichnen: Käse und Butter, die im Kieler Agrolab-Labor einer amtlich vorgeschriebenen Prüfung unterzogen worden sind, wurden danach an zwei Kantinen in der Landeshauptstadt verkauft. Die Einnahmen wurden ordnungsgemäß im Etat des Landwirtschaftsministeriums verbucht. Im Jahr 2012 waren es 1802,20 Euro. Mittlerweile ermittelt die Staatsanwaltschaft.

Das „Recycling“ von Laborkäse ist offenbar seit Jahrzehnten Praxis. Laut Ministerium müssen die Molkereien ihre Produkte regelmäßig und kostenlos zur Überprüfung in das vom Land Schleswig-Holstein beauftragte Kieler Labor schicken. Dort wird aus den Käselaiben und aus den Butterblöcken ein kleines Stück herausgeschnitten und getestet. Unter anderem geht es um die Frage, ob die Bestimmungen der deutschen Käseverordnung (KäseV) eingehalten wurden, also ob zum Beispiel der Fettgehalt stimmt. Ist die Probe in Ordnung, werden die großen Überbleibsel der Laibe und der Butterblöcke einem zweiten Test unterzogen: der amtlichen Käse- und Butterprüfung. Sie findet einmal im Monat irgendwo im Nordosten Deutschlands statt. Experten aus Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Sachsen und Sachsen-Anhalt bewerten dort Aussehen, Geruch, Geschmack und Konsistenz der Produkte.

Danach müssten Käse und Butter eigentlich vernichtet werden – obwohl es sich um einwandfreie Ware handelt, die gerade gründlich geprüft worden ist und möglicherweise geschmackliche Bestnoten bekommen hat. Das Lebensmittelrecht schreibt das so vor. Und gegen dieses Lebensmittelrecht ist offenbar verstoßen worden.

Dass das möglicherweise ein Fehler war, ist mittlerweile auch dem Ministerium klar. „Die ungenutzten Restmengen hätten nach geltender Rechtslage vom Labor vernichtet werden müssen“, sagte Sprecherin Nicola Kabel. Die rechtswidrige Praxis sei sofort beendet worden. Wie lange das schon so gelaufen sei, könne sie nicht sagen. Fest stehe: 1988 seien auf diese Weise 13.700 Mark in den Landeshaushalt gekommen. 2010 waren es 2000,60 Euro, im Jahr darauf 2018,05 Euro. Für die Einnahmen gibt es einen festen Etatposten mit der Nummer 1319.00.12501 und dem Titel Erlöse aus dem Verkauf von Butter- und Käseproben.

Unklar ist auch, wie das Käsegeschäft genau abgewickelt wurde. Beliefert wurden nach Ministeriumsangaben zwei Kantinen im Kieler Regierungsviertel. In der Mercatorstraße, wo am Freitag das panierte Schollenfilet serviert wurde, speisen auch die Mitarbeiter des für den Käse zuständigen Landwirtschaftsministeriums. Die zweite, kleinere Kantine befindet sich in der Staatskanzlei. Demnach dürften auch die schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten in den vergangenen Jahrzehnten in den Genuss des Laborkäses gekommen sein. Sie haben es allem Anschein nach gut überstanden.

Für die beiden Kantinen war es jedenfalls ein leckeres Geschäft. 949 Kilogramm Käse und 374 Kilogramm Butter haben sie 2012 erworben. Wenn es stimmt, dass sie dafür 1802,20 Euro ans Land gezahlt haben, dann hat das Kilogramm im Schnitt nur rund 1,40 Euro gekostet. Für guten Käse ist das wenig Geld. Der Gesetzesverstoß wurde nur durch einen Zufall entdeckt. Lebensmittelkontrolleure der Stadt Kiel hatten den Kantinen einen Besuch abgestattet. Dabei war ein verschimmelter Käse aufgefallen. Die Kontrolleure wollten wissen, wo er gekauft worden ist. „Im Labor“, lautete die Antwort. Die Stadt Kiel informierte daraufhin die Staatsanwaltschaft. „Wir haben ein Ermittlungsverfahren eingeleitet“, sagte Birgit Heß, die Sprecherin der Staatsanwaltschaft. Am vergangenen Dienstag sei man informiert worden. Heß weiter: „Wir prüfen jetzt die Umstände und den genauen Sachverhalt.“

Die Christdemokraten wollen den Käsefall nun im Umwelt- und Agrarausschuss des Landtages besprechen. Geklärt werden solle, so der Landtagsabgeordnete Heiner Rickers, seit wann genau die Kantinen beliefert worden seien und warum dies so lange Zeit möglich war. Der Landwirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) zeigte sich wenig erfreut über die Gesetzeslage. „Ich finde es verstörend, dass künftig jeden Monat mehr als 50 Kilogramm hochwertiger Lebensmittel in Biogasanlagen landen sollen“, sagte er.

Der Pächter der Kantine in der Mercatorstraße wollte sich nicht zu dem Thema äußern. Auf die Frage, ob er Laborkäse gekauft und seinen Kunden serviert habe, entgegnete er: „Keine Ahnung.“ Dann war das Gespräch beendet.