Tierfilmerin Kirsten Jakobsen aus Bad Oldesloe und ihr Mann Joachim gehen vor den Azoren auf Tauchgänge mit einem besonderen U-Boot.

Bad Oldesloe. Kirsten Jakobsen weiß, was sie will. Aber muss es gleich Architeuthis sein? Ein Riesenkalmar, bis zu 18 Meter groß und dazu noch gut versteckt in den Tiefen des Ozeans? Ja, der muss es sein. „Wir werden ihn suchen, bis wir ihn vor die Linse bekommen haben“, erklärt die Schleswig-Holsteinerin, bevor sie und ihr Mann wieder abtauchen – in die Tiefsee vor den Azoren.

Immer wenn es das Wetter zulässt, klettern die auf der Insel Faial lebenden Tierfilmer Kirsten und Joachim Jakobsen in die „Lula 1000“. Die „Lula“ ist ein von Joachim Jakobsen entworfenes, fast zu 100 Prozent in Deutschland konstruiertes und vom Germanischen Lloyd Hamburg geprüftes U-Boot. Es bringt den 56-Jährigen und seine Frau in eine Tiefe von 1000 Metern. Nur zehn Boote weltweit können so tief gehen, ohne die Sicherheit der Besatzung zu gefährden. Immerhin herrscht bei einem Kilometer unter dem Meer ein Druck von 100 Bar. Für Taucher mit Tauchflasche wird es schon ab 50 Metern brenzlig.

Die „Lula“, portugiesisch für Kalmar, ist 7,5 Meter lang, wird von fünf Elektromotoren getrieben und hat mit den hochauflösenden, lichtempfindlichen Kameras, dem Unterwasser-Navi, dem Sedimentsauger zur Probenentnahme und dem Sonar eine Million Euro gekostet. „Plus die Arbeitsstunden, die wir hineingesteckt haben“, erklärt die 43-jährige Kirsten Jakobsen.

Ihre Liebe zum Meer hat die Bad Oldesloerin schon als Kind in den Ferien auf Föhr entdeckt. Der Faszination der Tiefsee ist die Verwaltungswirtin allerdings erst nach der Begegnung mit ihrem Mann erlegen. Jakobsen, ein Schüler der Unterwassertechnik-Pioniere Dimitri und Ada Rebikoff, baute damals schon Unterwasserkameras auf den Azoren. Es sei nicht schwierig gewesen, die junge Diplomatin aus der deutschen Botschaft in Lissabon zum Tausch Schreibtisch gegen Tauchboot zu überreden, sagt er.

Drei Leute passen in die „Lula 1000“, die wie eine überdimensionierte Unterwasserkamera funktioniert. „Und wir sitzen im Objektiv“, freut sich Kirsten Jakobsen. Denn der wichtigste Bestandteil ihres Unterwassergefährts ist die 1,40 Meter große, 14 Zentimeter starke und dennoch lupenreine Plexiglaskuppel, durch die das Paar die fremdartigen Bewohner der Tiefsee betrachtet. Egal, ob Leuchtqualle, Garnele, Tiefwasserkalmar oder Grauhai, wer auch immer an der „Lula“ vorbeischwimmt, ist zum Greifen nah. Die Jakobsens wissen: „Nur, wer selbst durch das Freiwasser schwebt oder über den Meeresboden gleitet und mit eigenen Augen die Unterwasserorganismen verfolgt, dem erschließt sich die Schönheit der Tiefsee ganz.“

Kirsten Jakobsen schwärmt: „Es ist ein tolles Gefühl zu wissen, dass wir die ersten Menschen sind, die einen neuen Organismus zu Gesicht bekommen.“ Je tiefer sie kommen, desto verrückter werden die Tiefseebewohner. Spätestens 100 Meter unter der Oberfläche färbt sich das Wasser tiefblau, die Taucher schalten die Scheinwerfer an. Wie aber orientieren sich die Tiere in der ewigen Nacht? Wie haben sie sich dem unwirtlichen Lebensraum angepasst? Wie ist der Meeresboden in einem Kilometer Tiefe beschaffen – aus Sedimenten, Fels, prähistorischen Korallenriffs?

Auch vier Jahrzehnte nach der ersten Mondlandung bewahrt die Tiefsee ihre Geheimnisse für sich. Dass die Meeresgründe noch immer so unerforscht sind, hält das Ehepaar Jakobsen „für eine Schande“ und führt es auf Kostengründe zurück. „Wie schützenswert die Tiefsee ist, können wir aber erst wissen, wenn wir sie besser kennen“, erklärt Kerstin Jakobsen angesichts des wachsenden wirtschaftlichen Interesses an den Meeres-Bodenschätzen.

Es ist diese Forscherneugier, die die Wahl-Azoreaner auf Unterwasserjagd gehen lässt. Besonders stolz sind sie auf zwei Funde: das älteste lebende Tier der Welt, eine 500 Jahre alte Austern-Oma, sowie das Dendrophyllia-Korallenriff in 300 Meter Tiefe vor Faial.

Auf seinen jeweils fünfstündigen Tauchgängen entdeckt das Ehepaar viel

Noch nie zuvor war man vor den Azoren auf ein Korallenriff gestoßen. Die Entstehung und Beschaffenheit des Riffs beschäftigt nun die Wissenschaft. Wie auch alle anderen Entdeckungen, die die Jakobsens auf ihren fünfstündigen Tauchgängen machen. Mit Forschungsaufträgen von Unis, Museen und der Azorenregierung finanzieren die Jakobsens ihre Tiefseeabenteuer. Dafür teilen sie ihr Filmmaterial, die ozeanografischen Daten, die Dokumentation der unbekannten Unterwasserorganismen. „Aber natürlich ist der eigene Tierfilm um 20.15 Uhr im Ersten der Motor, der immer mitläuft.“ Antrieb gibt ihnen aber auch die Hoffnung, endlich Architeuthis zu finden. Dass sie den scheuen Riesenkalmar mit seinen zehn Tentakeln und den volleyballgroßen Augen vor die Linse kriegen, ist für das Ehepaar nur eine Frage der Zeit. Nicht nur, weil das große Pottwal-Vorkommen vor den Azoren darauf schließen lässt, dass sich Architeuthis hier in den Meeresgründen verbirgt. Immerhin sind Kalmare die Leibspeise der Pottwale. Zuversicht gibt den Kalmarjägern vor allem das unglaubliche Ereignis, das sie gleich bei ihrer ersten Testfahrt mit dem U-Boot erleben durften: In 593 Meter Tiefe verschwand „Lula“ plötzlich in einer riesigen Wolke. Sieben Meter maß sie und bestand aus Tinte. Die kann nur einer ausgestoßen haben: der 500 Kilo schwere und bis zu 18 Meter lange Architeuthis.

Bislang ist es nur einmal gelungen, ein Exemplar lebend zu sehen. Japanische Meeresbiologen hatten Anfang 2013 die Ehre. „Ihr Riesenkalmar war mit drei Metern aber eher klein“, sagt Kirsten Jakobsen. Für die Norddeutsche sollte es dann schon ein ausgewachsenes Exemplar sein, bitteschön.