Doch Staatsanwaltschaft und Verteidiger lehnen Einstellung im Fall des Ex-Bundespräsidenten ab. Sie wollen ein Urteil.

Hannover. Für fünf Minuten sah es an diesem Donnerstagnachmittag im Landgericht von Hannover so aus, als ende der Prozess gegen Christian Wulff in aller Kürze. Mit einer bedingungslosen Einstellung des Verfahrens für den früheren Bundespräsidenten und einer Einstellung gegen Zahlung einer geringen Geldsumme für den mitangeklagten Filmunternehmer David Groenewold. Das Gericht in Hannover hatte diesen Weg den Verfahrensbeteiligten am Donnerstagnachmittag in einer Zwischenbilanz sehr nahegelegt.

Doch so weit wird es nun aller Wahrscheinlichkeit nach nicht kommen. Nach kurzer Beratung schlug die Staatsanwaltschaft die Anregung des Vorsitzenden Richters Frank Rosenow, diplomatisch ausgedrückt, in den Wind und bestand auf einer „Fortsetzung der Beweisaufnahme“. Zu deutlich seien dessen Verschleierungsversuche dokumentiert. Zu inkonsistent, zu wahrheitsfern, zu widersprüchlich seien insbesondere die Einlassungen des Angeklagten Groenewold gewesen. Auch das Nichtzulassen von Nachfragen an die Angeklagten durch die Verteidiger wertete Chefankläger Clemens Eimterbäumer als Schuldindiz. Einem vorzeitigem Ende der Beweisaufnahme entgegenstünden darüber hinaus gefälschte und anonymisierte Rechnungen.

Wulffs Verteidiger reagierten prompt auf diese Philippika der Ankläger, die an eine Gerichtsschelte grenzte. Sie würden ihrem Mandanten nahelegen, für einen bedingungslosen Freispruch zu kämpfen. Die Vorwürfe der Staatsanwälte gegen Groenewold und Wulff, diese hätten die Wahrheit verleugnet, seien „ehrabschneidend“. Ende des Prozesstages, Fortsetzung des Verfahrens im neuen Jahr, wie und wie lange bleibt bis zum 2. Januar offen.

Der gut gemeinte, pragmatisch veranlasste Vorstoß des Landrichters Frank Rosenow, den Prozess möglichst zügig, vielleicht sogar revisionsfest zu beenden, war damit verpufft. Dabei hatte Rosenow zuvor sehr ausführlich vorgetragen, warum er nach dem bisherigen Prozessverlauf und den bisherigen Zeugenvernehmungen nicht davon ausgehe, den beiden Angeklagten ein Korruptionsdelikt nachweisen zu können.

So lasse sich voraussichtlich nicht beweisen, dass Wulff durch die Oktoberfesteinladung Groenewolds und dessen Kostenübernahmen tatsächlich ein Vorteil erwachsen sei. Auch wenn die Erinnerung vieler Zeugen lückenhaften und die Aussage der Zeugin Bettina Wulff von dem Vorsatz geprägt gewesen sei, ihren Mann zu entlasten, habe das bisherige Verfahren eher die Aussagen der Angeklagten untermauert, so Rosenow in seinem Fazit.

Alle vier untersuchten Vorteile – ein Oktoberfestbesuch, die teilweise Übernahme von Übernachtungskosten, ein Restaurantessen und die Babysitterkosten der Wulffs – könnten den Angeklagten aus Sicht des Gerichts nicht mit letzter Sicherheit negativ ausgelegt werden. So sei der gemeinsame Restaurantbesuch mangels Zeugen nicht beweisbar; die Verköstigung der Wulffs auf dem Oktoberfest sei sozialadäquat, halte sich also im Rahmen dessen, was unter Freunden üblich sei.

Eine Verurteilung wegen Vorteilsannahme, so das vorläufige Fazit, werde deshalb aus seiner Sicht auch nicht wahrscheinlicher, wenn man den Oktoberfestbesuch in den größeren Zusammenhang der privaten und dienstlichen Kontakte der beiden Angeklagten stelle. Genau der Ausleuchtung dieses allgemeinen Umfelds aber sollten die im neuen Jahr geplanten Zeugenvernehmungen dienen. Rosenow, keine Frage, würde auf den damit verbundenen Marathon nur allzu gerne verzichten.

Die Strategie der Verteidigung ist aufgegangen. Strafrechtsprofessor Müssig und Kollege Michael Nagel hatten von Beginn an darauf gesetzt , dass es zum zweiten Teil der Verhandlung nicht mehr kommt.

Eine frühere Oktoberfestkellnerin wurde per Video zugeschaltet

Die Staatsanwaltschaft zielte dagegen darauf, dass insbesondere in diesem zweiten Teil, der die Verbindungen zwischen Wulffs Staatskanzlei und Groenewolds Filmunternehmen herausarbeiten sollte, auch der korrupte Charakter des Oktoberfestbesuchs deutlich wird.

Vor seiner Zwischenbilanz hatte Richter Rosenow eines der eher unterhaltsamen Kapitel dieses Gerichtsverfahrens aufschlagen lassen. Per Videoübertragung aus Innsbruck zugeschaltet wurde eine 30 Jahre alte Immobilienmaklerin, die auf dem Oktoberfest in München als Kellnerin arbeitet und 2008 auch die Gesellschaft Wulff/Groenewold bedient hatte. Sie berichtete, dass sie den sechs bis acht Personen in dieser VIP-Box unter anderem fünf Flaschen Champagner der Marke Dom Perignon serviert hatte. Auf Wunsch der Gäste wurden die Kübel unter dem Tisch platziert. Man wollte den Saus und Braus lieber nicht allzu deutlich dokumentieren. Ansonsten, so die Zeugin, sei es an Wulffs Tisch „gegenüber anderen Tischen“ sehr gesittet zugegangen.