Weil die Landesregierung in Niedersachsen die Arbeitszeit der Lehrer um eine Stunde anhebt, weigern sich viele, ihre Schüler auf Reisen zu begleiten.

Hannover. Die neue rot-grüne Landesregierung von Niedersachsen hat sich verschätzt: Eine moderate Anhebung der Unterrichtsverpflichtung auf 24,5 Stunden für alle Gymnasiallehrer sollte helfen, die vielen angepeilten Bildungsreformen zu finanzieren. Jetzt aber machen immer mehr Pädagogen dagegen mobil: Klassenfahrten werden abgesagt, Weihnachtskonzerte gecancelt, Abiturvorbereitungen am Wochenende fallen ersatzlos aus.

Erst nach dem Ende der Herbstferien Ende Oktober wird sich zeigen, ob aus dem Aufstand von Gymnasiallehrern an bis zu 20 Schulen vor allem in der Stadt und Region Hannover ein Flächenbrand wird an den über 250 Gymnasien insgesamt. Ein Facebook-Auftritt von Schülern, die sich solidarisieren, hat inzwischen fast 4500 Freunde. Hier wird bereits für einen Schulstreik getrommelt – gegen die Pläne der Landesregierung. Landeselternrat und Landesschülerrat dagegen zeigen Verständnis für die Verärgerung der Lehrer. Sie betonen dennoch die Wichtigkeit von Klassenfahrten und anderen Veranstaltungen für die Kinder und Jugendlichen.

Ein Vergleich mit den Nachbarländern zeigt, dass die Gymnasiallehrer in Niedersachsen noch vergleichsweise gut dastehen. In Schleswig-Holstein müssen ihre Kollegen sogar 25,5 Stunden pro Woche unterrichten, in Hamburg wird mit einem anderen Arbeitszeitmodell gerechnet mit dem Ergebnis, dass die Lehrer wöchentlich außerhalb der Ferien 46,57 Zeitstunden arbeiten. Die Vergleichszahl für Niedersachsen beträgt derzeit 45,3 Stunden. Im bundesweiten Vergleich gehören die niedersächsischen Gymnasiallehrer auch künftig zur Gruppe mit vergleichsweise wenig Pflichtstunden.

Was die Klassenfahrten angeht, so bekommen die Lehrer aus den Budgets der Schulen einen Teil ihrer Kosten ersetzt. Trotzdem zahlen Lehrer in allen Bundesländern drauf, weil die Budgets nicht ausreichen. Und die Mehrarbeit durch die Rund-um-die-Uhr-Betreuung der Kinder und Jugendlichen auf mehrtägigen Klassenfahrten wird bestenfalls ansatzweise ausgeglichen.

Der Frust sitzt tief bei den Gymnasiallehrern in Niedersachsen – weil nicht nur die Unterrichtsverpflichtung erhöht, sondern zugleich fest versprochene Stunden von Altersermäßigung gestrichen wurden. Wortbruch nennen das Arm in Arm der Philologenverband als konservative Vertretung der Gymnasiallehrer und die eigentlich SPD-nahe Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Gemeinsam haben sie bereits eine Protestdemonstration organisiert, zu der rund 8000 Pädagogen nach Hannover kamen. Das Kultusministerium hat die Lehrer nun zusätzlich gegen sich aufgebracht. In der vergangenen Woche gab es eine Mitteilung heraus, in der es vorrechnete, dass nur 30 Prozent der Lehrer die volle Pflichtstundenzahl unterrichten müssten. Für alle anderen gebe es Abzüge für diverse andere Aufgaben, von der Computerbetreuung bis zur Erstellung von Stundenplänen.

Auch die Tatsache, dass die Klassen langsam kleiner werden, lassen die Pädagogen nicht gelten. Der Stoff habe sich durch das Abitur nach nur acht Jahren stark verdichtet, es gebe außerdem fünf Prüfungsfächer mit anschließender Nacht- und Wochenendarbeit bei den Korrekturen. Die Lehrer fühlen sich verheizt. Zudem ist das Klima zwischen Politik und Pädagogen in Niedersachsen traditionell angespannt, seit der damalige Ministerpräsident Gerhard Schröder sie als „faule Säcke“ bezeichnete – das wirkt auch heute noch nach.

Die GEW sucht den Dialog, der Philologenverband wiederum ist auf Konfrontationskurs. Sein Vorsitzender Horst Audritz spricht inzwischen unverblümt von „übler Schaumschlägerei“, wenn Sprecher des Kultusministeriums aufzählen, was die Politik alles tue, um den Lehrern das berufliche Leben leichter zu machen: „Das ist eine schamlose Verdrehung der Tatsachen.“

Aus der Landesregierung gibt es inzwischen Signale für eine vorsichtige Verhandlungsbereitschaft. Bei den Altersermäßigungsstunden könnte nachgebessert werden, auch bei der Zahl der Prüfungsfächer, die viel Arbeit machen. Dennoch ist die Lage verzwickt, weil ja noch eine andere grundlegende Weichenstellung ansteht: Wirtschaft, Lehrerverbände, Eltern und Schüler fordern fast unisono eine Rückkehr zum Abitur nach neun statt nach acht Gymnasialjahren.

Die Landesregierung hat, um Zeit zu gewinnen, einen umfangreichen und auf mehr als ein halbes Jahr angelegten Dialogprozess angeschoben. Das Problem der Landesregierung: Die Rückkehr zum Abitur nach neun Jahren würde mindestens doppelt so viele Lehrerstellen kosten wie die jetzt durch die Arbeitszeitverlängerung nach Berechnungen des Landesrechnungshofes eingesparten rund 740 Stellen. Insgesamt gibt es rund 19.000 Gymnasiallehrer.

Und dann sind da noch all die anderen Versprechen, die eingelöst werden sollen: noch mehr Ganztagsschulen, mehr Inklusion, kleinere Klassen. Und Lehrerstellen kostet auch, dass die Gesamtschulen bereits zum Abitur nach neun Jahren zurückkehren. Die Kritiker der Landesregierung sind zudem davon überzeugt, dass diese Sonderstellung der Gesamtschulen gewollt ist, um eine neue Gründungswelle für diese Schulform zu befördern. Richtig ist aber auch, dass die neue Landesregierung bei den Bildungsausgaben insgesamt tüchtig draufgesattelt hat – während andere Bundesländer Lehrerstellen abbauen.