Die Feierstunde zum 150-jährigen Bestehen der SPD gerät zu einer rührseligen Verneigung vor Altkanzler Schröder. Die Überhöhung ist dabei sorgfältig inszeniert.

Wennigsen. Die frühere EU-Kommissarin Monika Wulf-Mathies preist reichlich länglich den genialen Verhandlungsstil des damaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder in Brüssel. Da schweift der Blick ab im Klostersaal von Wennigsen, bleibt an einem Bild von der Himmelfahrt Christi hängen, und das passt: Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands hat am Sonnabend in dem alten Kloster bei Hannover nicht nur rührselig ihrer Vergangenheit gedacht und den Altkanzler für 50 Jahre Mitgliedschaft in der SPD geehrt. Sie hat ihn quasi zeitgleich in den Olymp der Partei erhoben.

Der zu Ehrende sitzt in Erwartung von Urkunde und Anstecknadel zweieinhalb Stunden lang tapfer neben Ehefrau Doris Schröder-Köpf, unten vor dem Podium, während sich ihm von dort erst der örtliche Bundestagsabgeordnete Matthias Miersch, dann der Landesvorsitzende und Ministerpräsident Stephan Weil und letztendlich der amtierende Parteivorsitzende Sigmar Gabriel verbal zu Füßen werfen.

Die Überhöhung ist sorgfältig inszeniert. Gefeiert wird in Wennigsen; 1945 hatte dort, im Saal des örtlichen Gasthofes, der damals wichtigste überlebende Sozialdemokrat Kurt Schumacher alte und neue Weggefährten um sich geschart, um eine neue Demokratie aufzubauen.

Der Gasthof ist 1977 abgebrannt und nie wieder aufgebaut worden, also konnte die SPD ohne vorwerfbaren Verzicht auf Authentizität ins nahe Kloster ausweichen – mit höchst repräsentativen Räumen. Als Ölbild auf dem Podium schaut Kurt Schumacher nun höflich-interessiert zu, wie der Bundestagabgeordnete Miersch den Ehrengast als einen Mann charakterisiert, der die sozialdemokratische Tradition mitgeprägt hat.

Danach erklimmt Ministerpräsident Stephan Weil das Podium und verkündet: „Er ist einer in einer stolzen Kette, die der Sozialdemokratie zur Ehre gereicht“. Und damit nun wirklich jeder den lebenden Altkanzler angemessen in die Geschichte einzuordnen weiß, kündigt der Ministerpräsident eine Quizfrage an. Wer denn hier überhaupt noch wisse, wie viele sozialdemokratische Kanzler es gegeben hat? Vorsichtshalber gibt er die Antwort gleich selbst: sechs seit Beginn der Weimarer Republik.

Der frühere SPD-Landesvorsitzende Wolfgang Jüttner, ein belesener Mann, darf dann erläutern, dass sich die SPD 150 Jahre über das Thema Arbeit und Gerechtigkeit definiert hat. Was dem amtierenden Parteichef Gabriel später die Sache leichter macht, Schröder den Kranz zu winden. Jüttner hat inzwischen erfolgreich verdrängt, wie ihn Schröder einmal am Rande eines Bundesparteitages anbrüllte – er hatte es gewagt, eine andere Meinung zu haben als der Kanzler. Auch Gabriel wird später launig über frühere Meinungsverschiedenheiten hinweglächeln. Dass der Bundeskanzler Schröder den gescheiterten niedersächsischen Ministerpräsidenten Gabriel im Jahr 2003 zum Pop-Beauftragten ernannt und als Sigi Popp zum allgemeinen Gespött gemacht hatte – auch das ist draußen geblieben, fern gehalten von den dicken alten Mauern des Klosters.

Zwischendurch singt der hannoversche Mädchenchor, Deutschlands Spitzenensemble, das Ehepaar Schröder gehört zu den wichtigsten finanziellen Förderern. Apropos Finanzen: Für des Altkanzlers lukrativen Job bei einem Tochterunternehmen des russischen Wirtschaftsriesen Gazprom interessiert sich hier heute niemand.

Stattdessen erklimmt erneut der Parteivorsitzende Gabriel das Rednerpult und preist: „Du bist für mich ein ganz traditioneller Sozialdemokrat, es ging immer um das Thema Arbeit“. Und wie alle Redner zuvor hebt er Schröders klare Ablehnung des Irakkrieges hervor, ganz in der Tradition der SPD als Friedenspartei. Er erinnert an Schröders Aufstieg aus kleinsten Verhältnissen, und wenn er nicht so lange geredet hätte, wäre vielleicht dieser eine schöne Satz besser haften geblieben: „Herkunft hat nichts mit Haltung zu tun“.

Der so aufgesockelte 69-jährige Altkanzler dagegen macht es kurz, anders als früher kommt er (fast) ohne Ironie aus: „Ich habe es genossen, Genossen“. Nur 30 der 150 Jahre SPD hat die Partei die Kanzler in Deutschland gestellt. Aber Schröder rückt gerade: „An den Wendepunkten waren immer Sozialdemokraten gefragt.“ Er nimmt die dicke Brille ab, setzt sie wieder auf, agiert älter, aber nicht alt, zitiert den legendären IG-Metall-Mann Willi Bleicher: „Du sollst dich nie vor einem anderen Menschen bücken“. Und im Zusammenhang mit der Agenda 2010 und den Hartz IV-Gesetzen bedauert er, dass es damals nicht gelungen ist, die „Philosophie“ besser zu kommunizieren: dass der Sozialstaat nur dann eine Zukunft hat, wenn erst einmal jeder für sich selbst Verantwortung übernimmt.

Am Ende gibt er Gabriel noch mit auf den Weg, sich Gedanken zu machen, ob er denn überhaupt noch steigerungsfähig ist für spätere Jubiläen von Schröder als Parteimitglied: „Ich habe mit gerade vorgestellt, wie das endet, wenn ich so alt werde wie Helmut Schmidt.“