Im Norden hat sich die Zahl der Asylbewerber gegenüber 2012 verdoppelt. Im Hamburger Umland fehlen Unterkünfte. Der starke Anstieg bei der Zuwanderung hat verschiedene Ursachen.

Kiel/Hannover. Die Zahl der Flüchtlinge, die in Norddeutschland ankommen, steigt stetig. In Niedersachsen ist die Zahl der Asylanträge in den ersten sieben Monaten um knapp 100 Prozent auf 5097 gestiegen. In Schleswig-Holstein wurden in der ersten Hälfte dieses Jahres 1516 Menschen aufgenommen. Das ist eine Zunahme von 96 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum (774 Flüchtlinge). „Die Lage bei der Unterbringung spitzt sich zu“, sagt Schleswig-Holsteins Innenminister Andreas Breitner (SPD). „Die aktuelle Entwicklung gibt Grund zu der Annahme, dass wir in diesem Jahr die Gesamtzahl von 100.000 Erstantragstellern in Deutschland erreichen“, sagt Breitner. Sie werden nach einem festgelegten Schlüssel auf die Bundesländer verteilt, 3350 von ihnen müsste Schleswig-Holstein aufnehmen.

Auch in Niedersachsen und Hamburg wird Wohnraum knapp. Hamburg lässt bereits prüfen, ob es möglich ist, Flüchtlinge in den Nachbarbundesländern unterzubringen. „Diese Herausforderung stellt sich bundesweit, sodass Gespräche mit anderen Bundesländern sinnvoll sind“, sagt Nicole Serocka, Sprecherin der Hamburger Sozialbehörde. Die Kooperationsbereitschaft der Nachbarn hält sich in Grenzen. Thomas Giebeler, Sprecher des Kieler Innenministeriums: „Wir haben keine freien Plätze in Unterkünften.“

In Niedersachsen reagiert man zurückhaltend auf die Hamburger Begehrlichkeiten. Eine Sprecherin des Innenministeriums in Hannover sagt: „Das Ansinnen von Hamburg, Flüchtlinge in Niedersachsen unterzubringen, ist uns nicht bekannt. Es gibt kein offizielles Ersuchen, insofern können wir uns dazu nicht äußern.“ Das Ministerium will die Lage nicht dramatisieren. Die Aufnahmezahlen, so der Hinweis, lägen immer noch „deutlich unter den Zahlen der 90er-Jahre“. Es handele sich um eine „schwierige, aber beherrschbare Situation“.

Der Landkreis Harburg wird in diesem Jahr 490 Asylbewerber aufnehmen

Im Hamburger Umland wird es allerdings zunehmend schwieriger, den Flüchtlingen eine Wohnung zu besorgen. „Wir stehen unter Druck“, sagt Johannes Freudewald, Sprecher des Landkreises Harburg. 565 Asylbewerber leben derzeit im Kreisgebiet. Die Verwaltung in Winsen sucht derzeit Unterkünfte für weitere Bewerber. In diesem Jahr gab es bislang 204 Neuankömmlinge, die in Winsen, Seevetal, Rosengarten, Salzhausen und Neu Wulmstorf untergebracht worden sind. Übergangsweise müssen einige in Hotels untergebracht werden. Der Landkreis Harburg wird in diesem Jahr 490 Asylbewerber aufnehmen. Das Land Niedersachsen arbeitet wie auch Schleswig-Holstein bei der Verteilung mit einer Quote, die sich an der Einwohnerzahl der Kreise und kreisfreien Städte orientiert.

Grundregel: Je mehr Einwohner, desto mehr zugewiesene Flüchtlinge.

Im Kreis Stormarn leben zurzeit 450 Asylbewerber. Es gibt eine Gemeinschaftsunterkunft in Bad Oldesloe, die Platz für etwa 60 Bewohner bietet. Die übrigen werden dezentral in einzelnen Wohnungen untergebracht. Eine Kooperation mit der Stadt Hamburg hält Jan-Christian Heth, Fachdienstleiter der Stormarner Kreisverwaltung, für unwahrscheinlich. „Wir sind froh, wenn wir die Asylbewerber unterkriegen, die uns vom Land Schleswig-Holstein zugewiesen werden“, sagt er.

Dasselbe Bild im Kreis Segeberg. „Es besteht keine Möglichkeit, bei uns weitere Flüchtlinge unterzubringen“, sagt Rolf Meenen, Leiter des Fachdienstes Ausländer- und Asylangelegenheiten. Pro Woche werden dem Kreis sechs bis zehn Flüchtlinge zugewiesen, die in der Gemeinschaftsunterkunft für Asylbewerber in Schackendorf oder in Schlichtwohnungen in Norderstedt, Kaltenkirchen und Henstedt-Ulzburg untergebracht werden. Insgesamt werden es in diesem Jahr wohl 280 werden. „Wir stoßen an unsere Grenzen“, sagt Rolf Meenen.

Der Kreis Pinneberg rechnet laut Sprecher Marc Trampe damit, 2013 doppelt so viele Asylbewerber zugewiesen zu bekommen wie im Vorjahr. 337 Asylsuchende leben derzeit im bevölkerungsreichsten Landkreis Schleswig-Holsteins, der laut Verteilquote 10,4 Prozent der Asylbewerber im Bundesland aufnehmen muss. „Allein im Juni wurden uns weitere 24 Personen zugewiesen“, sagt Trampe. „Die Wohnraumsituation ist kritisch. Vielerorts stehen keine Unterkünfte mehr zur Verfügung, und es müssen Wohnungen angemietet werden.“

Viele Asylbewerber hoffen in Deutschland auf ein besseres Leben

Der starke Anstieg bei der Zuwanderung hat verschiedene Ursachen. Christiane Germann, Sprecherin des Bundesamtes für Migration, sagt: „Es liegt zunächst an der instabilen Lage in Krisenstaaten wie Syrien, Irak, Afghanistan und Pakistan.“ Im vergangenen Jahr seien Westbalkanstaaten wie Serbien und Mazedonien, in diesem Jahr sei Russland dazugekommen, dort der Nordkaukasus mit Tschetschenien. Germann: „Angesichts der Armut in den Nordkaukasusrepubliken kann bei der Wahl Deutschlands als Zielstaat auch die mit der Asylantragstellung verbundene Hoffnung auf ein besseres Leben eine Rolle spielen. Auch erhöhte Aktivitäten krimineller Schleuserbanden kommen als Faktor in Betracht. Etwa 90 Prozent der Antragsteller aus den Westbalkanstaaten gehören der Volksgruppe der Sinti und Roma an“, sagt Germann.

2007 wurden in Deutschland 19.164 Asylanträge gestellt. Im Jahr 2012 waren es 64.539, in den ersten sieben Monaten dieses Jahres waren es 52.754 Anträge.