Das Dorf Winsen im Kreis Segeberg feiert seinen „Robin Hood“, der nachts das Ortsschild zum Ursprungsplatz zurückbringt. Eine Dorfposse mit Ortsschild, Kamera, Metallsäge und Spaten in den Hauptrollen.Kurt Bonekamp, Bürgermeister von Winsen, am Tatort am Ortseingang

Winsen. Ein kleines Dorf kämpft gegen den Kreis Segeberg – und dieser Kampf hat längst groteske Züge angenommen: Wie die tapferen Gallier bei Asterix und Obelix widersetzen sich die meisten der 433 Bewohner der Gemeinde Winsen der Obrigkeit. „Robin Hood“, „Don Camillo“, ein Ortsschild, eine heimlich aufgestellte Kamera, eine Metallsäge und ein Spaten spielen die Hauptrollen in einer Dorfposse, in der es um Recht, Unrecht und vermeintliche behördliche Willkür geht. Inzwischen beschäftigt sich auch die Polizei mit dem Fall.

Seit 1959 stand das Ortsschild von Winsen am Ortseingang – eben dort, wo es nach Ansicht der Winsener eigentlich auch hingehört. Die Verkehrsaufsicht des Kreises Segeberg sah es nach 54 Jahren aber plötzlich ganz anders: Der alte Standort sei nicht rechtmäßig, weil dort keine geschlossene Bebauung zu erkennen sei, beschied Michael Krüger, Leiter der Kreisverkehrsaufsicht und ließ das Schild etwa 150 Meter in Richtung Ortsmitte versetzen.

Mit dieser Aktion entfachte er den Zorn der Dorfbewohner, die sich als unbeugsam erwiesen. Nach der Versetzung des Ortsschildes stand es am nächsten Tag plötzlich an der alten Stelle: „Robin Hood“, so nennen die Winsener jenen Unbekannten, der sich aufgemacht hatte, den Kampf gegen die Obrigkeit mit dem Spaten in der Hand aufzunehmen, hatte zugeschlagen.

Der Kreis Segeberg ließ nicht locker und wiederholte die Umsetzung des Schildes hin zur Ortsmitte. Und wieder schritt „Robin Hood“ zur Tat – Ortsschild zurück. Das wiederholte sich mehrere Wochen. 14-mal wurde das Schild tags von offizieller Seite versetzt, nachts von inoffizieller Seite wieder zurückversetzt. Auch das schließlich einbetonierte Ortsschild konnte den Unbekannten nicht stoppen: Er griff zur Metallsäge, um sein Werk zu vollenden.

Bürgermeister Kurt Bonekamp weiß bis heute nicht, wer jener „Robin Hood“ ist. Vielleicht weiß es inzwischen die Polizei. Denn die installierte auf Anweisung der Staatsanwaltschaft Kiel eine Kamera und versteckte sie im Gebüsch, weil dem Kreis Segeberg inzwischen ein Sachschaden von rund 2300 Euro entstanden war. Ausgerechnet in der Hecke, die das Grundstück von Bürgermeister Bonekamp begrenzt, steckte die getarnte Kamera, als sie von Dorfbewohnern entdeckt wurde. Bonekamp nahm die Kamera an sich und stellte 1311 festgehaltene Bewegungen fest.

Nach einigem Zögern übergab der Bürgermeister, der hauptberuflich Leiter des katholischen Senioren- und Pflegeheims St. Bernhard in St. Georg ist, die Kamera der Polizei. Ob der nächtliche Schilderumsteller darauf zu erkennen ist, weiß bis jetzt noch niemand. Die Polizei hält sich bedeckt.

Für Kurt Bonekamp ist die hartnäckig betriebene Versetzung des Ortsschildes durch den Kreis Segeberg reine Behördenwillkür: „In anderen Orten werden die Schilder weiter vor dem Ort aufgestellt, bei uns ist es umgekehrt.“ Jetzt steht das Schild an der neuen Stelle, aber der Bürgermeister hat einen Antrag auf Rückführung beim Kreis gestellt. Er und die anderen Dorfbewohner haben festgestellt, dass die Autofahrer jetzt praktisch bis zur Dorfmitte mit unverändert hoher Geschwindigkeit rasen. „Die Fußgänger und vor allem die Kinder sind gefährdet.“

Einen tatkräftigen Mitstreiter hat Kurt Bonekamp in seinem Bruder Berthold Bonekamp-Kerkhoff gefunden. Der katholische Pfarrer aus Winsen, der für den Pfarrbezirk Bad Bramstedt-Kaltenkirchen zuständig ist, steht an der Spitze einer Bürgerinitiative, um den Winsenern zu helfen. Wie einst der Film-Pfarrer Don Camillo hat er den Kampf gegen die Obrigkeit aufgenommen. „Am neuen Platz ist das Ortsschild von den Autofahrern erst im letzten Augenblick zu sehen“, sagt der Geistliche. „Und immerhin mündet kurz hinter dem Schild eine Straße mit Tempo-30-Zone in die Kreisstraße.“ Sein Bruder Kurt, der Bürgermeister, hat festgestellt, dass viele Eltern ihre Kinder nicht mehr mit dem Fahrrad zur Schule fahren lassen, weil sie Angst um deren Gesundheit haben.

Landrätin Jutta Hartwieg nahm am Donnerstag Kontakt mit den Winsener Rebellen auf – allerdings nicht mit dem Bürgermeister, der den Kreis mit einer Klage bedroht, sondern mit seinem Bruder, dem Pfarrer. Sie rief ihn an, um die Sachlage aus ihrer Sicht zu erklären. Kurz danach informierte sie auch die Öffentlichkeit. Sie zeige Verständnis für die Verärgerung der Winsener, heißt es in einer Presseerklärung. Gleichwohl weist sie darauf hin, dass sie bei ihren Entscheidungen an „Recht und Gesetz“ gebunden sei. Es sei ihr bewusst, dass der Eindruck entstehen könne, hier werde formalistisch vorgegangen. „Ich erkenne in Winsen aber keinen sachlichen Grund, die Gemeinde gegenüber anderen kreisangehörigen Gemeinen anders zu behandeln“, schreibt die Landrätin. „Ein irgendwie gearteter Bestandsschutz oder Gewohnheitsrecht zu Gunsten eines früheren rechtswidrigen Zustandes gibt es im Straßenverkehr nicht.“

Bürgermeister Bonekamp hat immer noch kein Verständnis für die Entscheidung des Kreises. „Von wegen keine geschlossene Bebauung, hier stehen immerhin fünf Häuser hinter hohen Hecken“, sagt er. „Für Winsener Verhältnisse ist das sehr wohl eine geschlossene Bebauung.“