Parlamentarier debattieren über marode Verkehrswege. Die CDU wirft der Landesregierung vor, lediglich „Chaos“ auf den Verkehrsegen zu produzieren.

Kiel. „Seit vier Wochen versinkt Schleswig-Holstein im Verkehrschaos“: Mit diesem Satz eröffnete Johannes Callsen (CDU), der Oppositionsführer im Kieler Landtag, am Mittwoch die Debatte über ein Thema, das in den vergangenen Monaten immer größere Bedeutung gewonnen hat. Seit der teilweisen Sperrung der maroden Schleusen des Nord-Ostsee-Kanals, seit der Sperrung der maroden Rader Hochbrücke für Lastwagen, seit der Sperrung einiger Landestraßen fragen sich die Bürger: Schafft es der Staat nicht mehr, die Infrastruktur in Schuss zu halten?

Nein, er schafft es tatsächlich nicht, so der Tenor der Debatte. Nahezu jeder Redner beklagte, dass für diese Aufgabe nicht genug Geld vorhanden sei. Es mangelte allerdings nicht nur am Geld, sondern auch an Vorschlägen, wo es herkommen soll. Eka von Kalben, die Fraktionsvorsitzende der Grünen, wiederholte ihre tags zuvor im Hamburger Abendblatt geäußerte Idee, die Lkw-Maut auf die Landes-, Kreis- und Gemeindestraßen auszuweiten. Die FDP schlug vor, Subventionen abzubauen.

Johannes Callsen nutzte seinen Auftritt, um die Regierungskoalition aus SPD, Grünen und SSW sowie den Ministerpräsidenten Torsten Albig (SPD) frontal zu attackieren. „Ihre Planung endet immer im Chaos“, rief er. „Chaos auf der A7, Chaos im Rendsburger Tunnel, Chaos auf der B5 bei Hattstedt, Chaos bei der Umsetzung des Achsenkonzepts.“ Die Landesregierung müsse alles daransetzen, die Verkehre wieder zum Fließen zu bringen. Dem Ministerpräsidenten Torsten Albig warf er vor, die Rader Hochbrücke aus „Angst vor der Verantwortung“ zu meiden. „Als Regierungschef haben Sie dort zu sein, wo es im Land brennt“, so Callsen. Für den Zustand der Brücke über den Nord-Ostsee-Kanal, die Bestandteil der A7 ist und damit im Verantwortungsbereich des Bundes liegt, machte er die fünf Verkehrsminister verantwortlich, die die SPD gestellt hat – beginnend mit Franz Müntefering, endend mit Wolfgang Tiefensee. „Sie haben es ein Jahrzehnt lang bis 2009 nicht geschafft, ausreichend Mittel für Brückeninstandsetzungen bereitzustellen“, so Callsen.

Der Ministerpräsident konterte mit dem Hinweis, dass die Bürger Debatten um Schuldzuweisungen nicht verstehen würden. „Wir alle haben als politische Klasse in der Vergangenheit Fehler gemacht“, sagte er. In Zukunft müsse man sich schon beim Bau von Verkehrswegen Gedanken über die Kosten der Instandhaltung machen. Dass die Rader Hochbrücke ein Problem darstelle, sei der Landesregierung bewusst. „Deswegen haben wir das Problem sofort angepackt.“ Die Brücke gehöre in den Zuständigkeitsbereich des Verkehrsministers Reinhard Meyer. „Und der macht das hervorragend“, so Albig. Auch ein Ministerpräsident habe keine „heilenden Hände“.

Christopher Vogt, der stellvertretende Vorsitzende der FDP-Landtagsfraktion, sprach sich gegen eine Einführung der Pkw-Maut oder eine Ausweitung der Lkw-Maut zur Finanzierung von Verkehrswegen aus. „Autofahrer und Logistikbranche werden bereits heute massiv finanziell belastet“, sagte er. „Wenn man sich den Subventionsanteil im Bundeshaushalt anschaut, dann stellt man sehr schnell fest, dass es da für ein Umschichten in den Verkehrsetat noch jede Menge Luft gibt.“ Den Sanierungsstau bei den Landesstraßen bezifferte er auf knapp 200 Millionen Euro. Der Landesrechnungshof war unlängst nur auf die Hälfte der Summe gekommen. Die Grünen-Politikerin Eka von Kalben nannte gar einen Betrag von 1,1 Milliarden Euro – wobei sie auch die Sanierungskosten für öffentliche Gebäude eingerechnet hatte. Torsten Albig operierte mit einer ganz anderen Zahl. 1,16 Euro pro Meter Straße und pro Jahr seien zum Erhalt notwendig, das Land habe im Durchschnitt der vergangenen elf Jahre aber nur 55Cent investiert.

Patrick Breyer (Piraten) forderte angesichts der so oder so nicht ausreichenden Mittel, bei der Sanierung von Straßen Prioritäten zu setzen. Lars Harms (SSW) beklagte die „Südlastigkeit bei der Vergabe von Bundesmitteln“. Der Bund müsse nun eigentlich daran gehen, einen Ersatz für die Rader Hochbrücke zu planen. „Aber dazu hört man nichts von Frau Merkel und Herrn Ramsauer“.

Eka von Kalben forderte eine Verkehrswende. „Erhalt statt Neubau" müsse das Motto sein. Im Regierungslager zeigten sich da feine Unterschiede. Albig sprach von „Erhalt vor Neubau“, auf von Kalbens Idee einer ausgeweiteten Lkw-Maut ging er gar nicht erst ein. Man brauche nun eine breite Debatte über die Finanzierung der Infrastruktur, hieß es ausweichend.

Die erstaunlichste Rede des Tages kam vom SDP-Fraktionsvorsitzenden Ralf Stegner. Er machte Wahlkampf -– und spazierte bei dieser Verkehrsinfrastrukturdebatte durch alle Politikfelder, um dann die jeweiligen Verdienste der Regierung herauszustreichen.