Ingeborg Langsch kümmert sich um Nachlässe, die an Schleswig-Holstein fallen. 150 waren es im vergangenen Jahr. Längst nicht immer geht es bei ihrer Arbeit um Grundstücke und Häuser.

Kiel. Am Freitag war sie wieder unterwegs in Schleswig-Holstein. In Ahrensburg im Kreis Stormarn hat sie sich ein Haus angeschaut. Die Stadt im Hamburger Speckgürtel zählt zu den Gegenden, in denen die Immobilienpreise steigen und steigen. Ein Haus in Ahrensburg kann richtig viel Geld einbringen. Aber ob sich das Erbe lohnt? Ingeborg Langsch hat so ihre Zweifel. „Das Haus ist mal wieder überschuldet“, sagt sie. „So viel wird da nicht bei rumkommen.“

Ingeborg Langsch hat schon oft geerbt. Mal sind es 50 Nachlässe pro Jahr, mal 150. Die Mitarbeiterin des Kieler Finanzverwaltungsamtes erbt nicht persönlich, sondern gewissermaßen stellvertretend. Sie bearbeitet all die Fälle, bei denen nach dem Tod eines Schleswig-Holsteiners keine Erben gefunden werden können. Tod ohne Erbschaft ist in Deutschland rechtlich nicht möglich, die Gerichte setzen deshalb am Ende das Land als Nachlassverwalter ein. Die Standardformulierung im Gerichtsbeschluss lautet: „Ein anderer Erbe als das Land Schleswig-Holstein ist nicht vorhanden.“ Und schon kommen Ingeborg Langsch oder ihre Kollegin Ortrud Büchmann ins Spiel. Sie sichten Nachlässe, verkaufen, was wertvoll ist, und begleichen damit die Schulden des Verstorbenen – so weit das Geld reicht. Bleibt etwas übrig, fließt es in die Landeskasse. 306.703,91 Euro waren es im Jahr 2012.

Wenn alle staatlichen Handlungen so viel Gewinn abwerfen würden, bräuchte sich das hoch verschuldete Bundesland keine Sorgen zu machen. Leicht verdientes Geld ist es dennoch nicht. Die Nachlassbetreuung steckt voller Tücken, Hindernisse und Unwägbarkeiten. Und am Ende kann dem Land ein bereits für sicher gehaltener Gewinn durchaus wieder flöten gehen. Das liegt an den Besonderheiten des Erbrechts. „Noch 30 Jahre nach dem Tod können eventuelle Erben ihre Ansprüche geltend machen. Selbst Verzichtserklärungen können wieder zurückgenommen werden“, sagt Tjark Kunstreich, beim Finanzverwaltungsamt für die rechtliche Seite der – Vorsicht, Fachbegriff – „Fiskalerbschaften“ zuständig.

So geschehen in einem weiteren Fall aus dem Speckgürtel – in einem tragischen zudem. Ein Mann hatte seine Frau und seinen Sohn umgebracht und sich dann erhängt. Zurück blieb eine Doppelhaushälfte – und Verwandte, die das Erbe ausschlugen. Offenbar hatten sie Angst, dass die Schulden des Mannes größer als die Vermögenswerte waren. Also erbte das Land Schleswig-Holstein. Dann, das Haus war noch nicht verkauft, besannen sich die Erben eines Besseren. Nun zogen sie plötzlich ihre Verzichtserklärung zurück. Ein Rechtsstreit schloss sich an. „Am Ende haben sie die Haushälfte zurückbekommen“, sagt Langsch. In der Zwischenzeit hat das Finanzverwaltungsamt die Immobilie in Schuss gehalten. „Sie war vermietet, und wir haben alles getan, was ein Vermieter auch macht“, sagt die 50-Jährige.

Erbstücke werden über die Internetseite „Zoll-Auktion.de“ versteigert

Längst nicht immer geht es bei ihrer Arbeit um Grundstücke und Häuser. Viel häufiger sind es Mietwohnungen voller Dinge, die einen ideellen, aber kaum einen materiellen Wert haben. Was noch etwas einbringen könnte, wird über die Internetseite „Zoll-Auktion.de“ versteigert. „Das ist unser Behörden-Ebay“, sagt Langsch. Ein paar Einschränkungen gibt es allerdings. „Waffen und religiöse Gegenstände dürfen wir dort nicht anbieten“, erläutert Tjark Kunstreich. Ein paar Jagdwaffen, die das Land neulich geerbt hat, mussten deshalb verschrottet werden. Auch Kopien von Ikonen, die zu einem Nachlass gehörten, waren nicht zu verwerten.

Manchmal sind die wertvollen Dinge auch schon weg. „Ich habe mal in einer Wohnung ganz viele leere Portemonnaies gefunden“, sagt Langsch. „Das ist dann schon merkwürdig.“ Wenn ein Mensch mit Schulden stirbt, dann sind die rechtmäßigen Erben oft wenig interessiert am Nachlass. Denn anders als der Staat erben sie auch die Schulden. Aber es gibt einen illegalen Weg, trotzdem vom Tod des Verwandten oder Freundes zu profitieren. Man schlägt die Erbschaft aus und versucht, sich ein paar wertvolle Dinge zu sichern. Zu beweisen ist das kaum. Der Dumme ist am Ende derjenige, dem der Verstorbene noch Geld schuldet.

Manchmal ist es auch schwierig, das Wertvolle zu finden. „Wenn das Auto, das zum Erbe gehört und dessen Papiere und Schlüssel wir in der Wohnung gefunden haben, nicht vor der Tür oder in den Nachbarstraßen steht, haben wir ein Problem“, sagt Langsch. Hin und wieder hat sie schon Fahrzeuge abgemeldet, ohne sie je gesehen zu haben. Damit wenigstens keine Versicherung mehr bezahlt werden muss. „Da stehen jetzt irgendwo Autos am Straßenrand, die vor sich hin rosten.“

Die Nachlass-Arbeit lässt nicht nach. 83 Erbschaften hat das Land in diesem Jahr angetreten. Gibt es Menschen, die das Land absichtlich im Testament bedenken? Aus lauter Zuneigung zu Schleswig-Holstein? Tjark Kunstreich überlegt: „Nein, ich glaube, das ist noch nie passiert.“