Der legendäre Politiker war Niedersachsens erster Ministerpräsident nach 1945 – und in Naziverbrechen verstrickt. Hinrich Wilhelm Kopf war offenbar an der Ausplünderung von Juden und Polen beteiligt.

Hannover. Aus der Sicht des Philosophen Theodor W. Adorno ist die Sache klar: „Es gibt kein richtiges Leben im falschen.“ Mit genau dieser Frage wird sich in den kommenden Monaten die Historische Kommission des Landes Niedersachsen auseinandersetzen müssen. Der Sozialdemokrat Hinrich Wilhelm Kopf (1893–1961) war nicht einfach der erste Ministerpräsident des Landes Niedersachsen, sondern dessen legendärer Gründungsvater. Aber er war, wie die Doktorarbeit der Historikerin Teresa Nentwig von der Uni Göttingen eindeutig belegt, in der Zeit des Nationalsozialismus ein Geschäftsmann, der nach 1933 an der Notlage seiner jüdischen Mandanten kräftig verdiente. Im besetzten Polen war er beteiligt an der systematischen Ausplünderung von Juden und Polen nach dem Einmarsch der Wehrmacht.

Landtagspräsident Bernd Busemann (CDU) hat das Thema nach Bekanntwerden dieser neuen Faktenlage in Absprache mit dem Ältestenrat sofort an die Historische Kommission weitergereicht. Seine Bitte: Man möge einen Kriterienkatalog erarbeiten, wie man mit einer solchen Biografie umgehen soll, und vor allem, wie denn die Politik („die entscheidungsbefugten öffentlichen Stellen“) jetzt reagieren kann oder muss.

Es geht dabei nicht nur um die Frage einer Distanzierung, sondern ganz konkret darum, ob der Landtag im Leineschloss in Hannover weiter am Hinrich-Wilhelm-Kopf-Platz liegen darf oder ob dieses gepflasterte Areal wie zahlreiche weitere Straßen und Schulen umbenannt werden sollten.

Der gelernte Landwirt und Jurist Kopf war in der Notzeit nach dem Zweiten Weltkrieg, so hat es Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) bei der Vorstellung der Doktorarbeit formuliert, ein engagierter, legendärer Landesvater: jovial, freundlich, allen Freuden des Lebens zugewandt. „Er hat perfekt dem Bedürfnis der Zeit nach einer Vaterfigur entsprochen.“Und er hat zudem in der Gründungsphase des Landes ein politisches Kunststück fertiggebracht, indem er Hannoveraner, Braunschweiger und Oldenburger dazu brachte, den Karren gemeinsam aus dem Dreck zu ziehen.

Aber an der Arbeit von Teresa Nentwig kommt künftig niemand vorbei. Als Mitarbeiter der Haupttreuhandstelle Ost (HTO) war Kopf im besetzten Polen ein effizientes Werkzeug der Nationalsozialisten. Als Verwalter des jüdischen Vermögens des Dorfes Czieschowa teilte er seinen Vorgesetzten stolz mit, er habe sogar Grabsteine des jüdischen Friedhofs für 6000 Reichsmark verkaufen können – für den anschließenden Einsatz im Straßenbau. Für seinen Einsatz bekam er zudem hohe Provisionen.

Wie Landtagspräsident Busemann hofft auch Ministerpräsident Weil jetzt auf so etwas wie ein moralisches Treppengeländer bei der Bewältigung des Problems durch die Historische Kommission. „Ich bitte die Kommission um Unterstützung und Beratung bei dem jetzt anstehenden schwierigen Prozess“, so Weil. Diese Einrichtung machte zuletzt 2009 Schlagzeilen. Da beauftragte Landtagspräsident Hermann Dinkla das Gremium, die Frage zu klären, wie viele Landtagsabgeordnete nach 1946 eine braune statt einer weißen Weste hatten.

Ausgelöst hatte diese Untersuchung die Linksfraktion als Reaktion auf eine Äußerung des CDU-Politikers Bernd Althusmann. Der hatte für seine Partei reklamiert, sie habe ihre „geistigen und politischen Wurzeln im christlich motivierten Widerstand gegen den Terror des Nationalsozialismus“.

Die Linke beauftragte einen Historiker, und der förderte zutage, dass mindestens 71 Landtagsabgeordnete aus der Zeit nach 1946 zuvor Mitglieder der NSDAP gewesen waren. Daraufhin schaltete der Landtag die Historische Kommission ein, und deren Ergebnisse waren noch niederschmetternder: 204 Abgeordnete hatten Parteibücher der NSDAP.

Kopf gehörte nicht dazu. Aber er, der Niedersachsen von 1946 bis 1955 und von 1959 bis 1961 regierte, hat über seine Vergangenheit stets geschwiegen. Ministerpräsident Weil: „Sagen wir es klipp und klar – Kopf hat den Landtag angelogen.“