Initiative behält sich trotz Endlagersuchgesetzes „kritische Begleitung“ vor. Polizei gibt ihre angemieteten Kasernen auf. Es kehrt nach 36 Jahren erstmals so etwas wie Ruhe ein im Wendland.

Gorleben. CDU, SPD, Grüne und FDP haben jetzt im Bundesrat das neue Endlagersuchgesetz abgesegnet – 36 Jahre, nachdem die Politik mit fragwürdigen Argumenten allein Gorleben als potenzielles deutsches Endlager für hoch radioaktiven Müll auswählte. Nun beginnt die Suche von vorn: Zwar unter Einschluss von Gorleben, aber eben auch erstmals mit Prüfung alternativer Standorte auch in anderen Formationen wie Ton und Granit und nach Kriterien, die eine hochkarätige Kommission noch festlegen soll.

1977 hat die damalige niedersächsische CDU-Landesregierung dem Drängen der SPD-geführten Bundesregierung entsprochen, einen Standort verbindlich festzulegen. Drei Jahre später wurde als Reaktion die legendäre „Republik Freies Wendland“ gegründet, mit eigenem Pass und eigenem Friseursalon. Nach gut einem Monat räumten am 4. Juni 1980 mehr als 3000 Polizisten das Camp, seither hat in dieser Region der Widerstand Tradition bis hinein in bürgerliche Kreise. 1995 rollte dann der erste Castortransport ins Zwischenlager, nur einen Steinwurf entfernt vom Erkundungsbergwerk im benachbarten Salzstock. Jeder Transport war eine Provokation, weil er als Vorfestlegung auch auf Gorleben als Endlagerstandort verstanden und bekämpft wurde. Nun verordnet der Bundesgesetzgeber einen Stopp für die Erkundung, und um des lieben Friedens willen hat er sogar ins Gesetz geschrieben, dass die letzten 26 Castoren aus England und Frankreich woanders untergebracht werden müssen. Für weniger war das Einverständnis der niedersächsischen rot-grünen Landesregierung nicht zu kriegen im Bundesrat.

Der Polizeipräsident zollt den Demonstranten seinen Respekt

Es kehrt also nach 36 Jahren erstmals so etwas wie Ruhe ein im Wendland, wo doch inzwischen fast zwei Generationen groß geworden sind und häufig im Widerstand mit dem großen gelben X aus gelb angemalten Holzlatten als fast obligatorischem Bekenntnis vor der Haustür. „Fünfte Jahreszeit“ so haben sie im Wendland mit einer Mischung aus Humor und Sarkasmus die Woche meist Ende November genannt, wenn fast 20.000 Polizisten den inzwischen 113 Castoren den Weg bahnten, wenn der Ausnahmezustand herrschte im Landkreis Lüchow-Dannenberg, wenn der Zugverkehr eingestellt war, wenn per Allgemeinverfügung rund um Schienen- und Straßenstrecke der Castoren ab Lüneburg das Demonstrationsrecht ausgehebelt wurde.

Wolfgang Ehmke, Sprecher der Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg, traut dem Frieden nicht: „Gesetze kann man auch wieder ändern“. Und zum Demonstrieren braucht es aus seiner Sicht auch keine Castoren: „Die Arbeit verlagert sich nur auf die weitere kritische Begleitung der politischen Diskussion, wir wollen die Debatte vorantreiben.“

Über die Frage, ob denn ohne neue Castoren der Widerstand in eine Sinnkrise rutsche, kann Ehmke nur lachen. Die Transporte, so räumt er ein, seien auch immer „die Bühne für Massenproteste“ gewesen: „Aber das stimmt uns nicht traurig“. Friedrich Niehörster, Präsident der Polizeidirektion Lüneburg, hat schon siebenmal an den Großeinsätzen teilgenommen, die Aufgabe auch schon mal „ätzend“ genannt. Er bestätigt den Atomkraftgegnern jetzt in der Rückschau: „Das Wendland war nie bereit, Gewalt zu akzeptieren.“

Er erinnert sich gut an die immer neuen Blockadetechniken, die die Polizei zwangen, eine eigene technische Abteilung aufzubauen, um etwa Ankett-Aktionen zu beenden: „Die hatten Fantasie, wollten mit möglichst langen Stopps in die Medien, und das ist ihnen in meinen Augen durchaus gelungen.“ Wenn in einigen Wochen der Gesetzestext im Bundesgesetzblatt veröffentlicht wird, ist das für Niehörster ein guter Tag: „Aus unserer Sicht war das ein ungeliebter Einsatz.“

Niehörster ist auch mit den Konsequenzen der neuen Lage beschäftigt, weil die angemieteten Kasernen und Container für die Unterbringung der Polizisten nicht mehr gebraucht werden: „Wir wollen die Liegenschaften vernünftig loswerden.“