Am 6. Mai soll über eine Verordnung abgestimmt werden, die die Vielfalt bei Obst- und Gemüsesorten weiter einschränkt. Hobbygärtner und Agrarminister protestieren gegen die Initiative.

Hannover. Die Europäische Kommission will den Landwirten und Gärtnern in Zukunft die Verwendung von einheitlichem Saatgut vorschreiben. Am 6. Mai soll über eine Verordnung abgestimmt werden, die die Vielfalt bei Obst- und Gemüsesorten weiter einschränkt. Alte und seltene Sorten haben so kaum noch Chancen auf dem Markt. Bisher wurden die in althergebrachter Tauschwirtschaft gezüchtet und in meist kleinen Mengen gehandelt. Nun soll das nur noch mit amtlicher Zulassung erlaubt werden. Das aber ist teuer und kostet Zeit. Ein Nachteil besonders für Klein- und Hobbygärtner, die die alten Sorten bevorzugen und erhalten wollten.

Jetzt schlagen auch Agrar- und Umweltverbände Alarm. "Es darf nicht sein, dass man nur noch drei oder vier Apfel- oder etwa Kartoffelsorten im Supermarkt kaufen kann", sagte auch Niedersachsens Agrarminister Christian Meyer (Grüne) in Hannover. Er will in Brüssel Druck gegen die Reformpläne machen, unter anderem in Gesprächen mit Verbraucherkommissar Tonio Borg und dem Kabinettschef von Agrarkommissar Dacian Ciolos. Für Meyer steht fest: "Wir brauchen nicht weniger, sondern mehr Vielfalt." Deshalb müsse sich die Politik gegen die von der Saatgut-Industrie gewünschten Normierungen zur Wehr setzen.

Auch von der Piratenpartei Hamburg wird Kritik laut: „Obst- und Gemüsesorten registrieren zu müssen, bedeutet für viele lokale und einzigartige Sorten das Aus“, sagt Hamburgs Landesvorsitzender Thomas Michel. „Sorten wie der Altländer Pfannkuchenapfel dürften kaum eine Chance auf Zulassung haben. Vielmehr spielt das Vorhaben der EU globalen Vermarktern wie Monsanto in die Hände, die Saatgut in marktrelevanten Mengen verkaufen und sich den teuren Prozess leisten können. Unserer Ansicht nach sollte Saatgut, das frei von künstlichen Genveränderungen ist, überall angebaut werden dürfen.“

Die Pläne der EU-Kommission sehen für den Grünen-Politiker stark nach dem Versuch der Saatgut-Industrie aus, Konkurrenz wegzudrängen. Bisher sind alte und seltene Sorten von einer EU-Reglementierung ausgenommen, sofern sie traditionell gezüchtet und gehandelt werden.

"Das ist ja nicht der erste Vorstoß zur Einschränkung unseres Saatgutes, wenn ich etwa an die Linda-Kartoffel denke", sagte Meyer. Damit spielt er darauf an, dass 2009 ein Kartoffelzüchter aus Lüneburg erreicht hatte, dass das von der Saatgut-Industrie verlangte Zuchtverbot für die Sorte aufgehoben wurde. "Ich hoffe, dass es ähnlich starken Druck auch jetzt geben wird von Hobbygärtnern, Landwirten, Umwelt- und Verbraucherverbänden. Denn wir brauchen weiter eine Freiheit für das, was wir aussäen, was wir vermehren und im Sinne von Vielfalt und klein strukturierter Landwirtschaft auf den Feldern haben wollen."

Auch Obst-Experte Ulrich Kubina vom Pomologenverein Schleswig-Holstein/ Hamburg ist über die geplante Neuregelung entsetzt. "Die EU-Pläne bedrohen die Vielfalt der Obstsorten ", sagt er. "Verschollene Sorten wie die Hamburger Stopfbirne oder der Holsteiner Rosenhäger können nicht ohne ein Zulassungsverfahren weiterverbreitet werden, sollten sie wieder auftauchen." Das aber könne bis zu vier Jahre dauern und koste mehrere Tausend Euro - ein finanzieller und zeitlicher Aufwand, der Züchtern, Klein- und Hobbygärtnern nicht zumutbar sei.

Die geplante Saatgutreform verfolge sehr eng die Interessen und Vorgaben der Saatgut-Industrie und greife zudem auch den Ökolandbau an, sagt Susanne Gura vom Verein für Erhaltung der Nutzpflanzenvielfalt. "Gerade dort brauchen wir die genetische Vielfalt, die mit der Vereinheitlichung der EU verloren gehen wird", sagt die Ernährungswissenschaftlerin. Die Ökozüchter würden häufig eigene Sorten auf den Markt bringen, da nicht mit Chemie behandelte Pflanzen auf unterschiedliche Umweltbedingungen reagieren können müssten. Durch die EU-Neuregelungen würde das erschwert.

Niedersachsen will die Bestrebungen von Hobbyzüchtern und Landwirten, alte und seltene Saatgut-Sorten vor dem Aussterben zu bewahren, mit Landesgeldern unterstützen. Minister

Christian Meyer hofft, dass sich auch die Bundesregierung mit Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner (CSU) gegen die Neuregelung starkmachen wird. Diese hatte sich bereits am Dienstag für den Erhalt der Vielfalt ausgesprochen. "Es darf nicht so weit kommen, dass Privatgärtner für ein paar Samenkörnchen eine amtliche Zulassung vorzulegen haben", sagte Aigner dem "Handelsblatt". Und weiter: "Kleine Züchter müssen von der Zulassungspflicht befreit werden."

Die EU-Kommission hingegen betont, dass die Regulierungspläne für den Obst- und Gemüseanbau Hobbygärtner nicht beträfen. Diese könnten auch in Zukunft ihr Saatgut wie bisher verwenden. Die Saatgut-Neuregelung gelte ausschließlich für kommerzielle Akteure wie Landwirte oder Gartenbaubetriebe, die Saatgut erzeugen. Dazu sagt Susanne Gura: "Hobbygärtner sind sehr wohl betroffen, wenn alte Sorten gar nicht auf dem Markt erhältlich sind."