Nach Sichtung eines Wolfs in Hamburg: Warum die seltenen Tiere auch immer häufiger im Norden auftauchen und wie man sie vertreibt.

Hamburg/Siek . Sie treten einzeln oder im Rudel auf, ihr Gebiss ist eine tödliche Waffe - und sie sind zurück in Norddeutschland. Tatsächlich aber geht von Wölfen für Menschen eine deutliche geringere Gefahr aus, als es so manche Schauermär vermuten lässt.

Umgekehrt sieht es schon anders aus: In der Nacht zum Dienstag starb ein Wolf bei einem Zusammenstoß mit einem Auto auf der A 1 in Höhe der Ortschaft Siek (Kreis Stormarn). Bereits 2007 war ein Wolf bei Süsel (Ostholstein) überfahren worden. "Es ist sehr schade, dass bereits zwei Wölfe in Schleswig-Holstein dem Straßenverkehr zum Opfer gefallen sind", bedauert der schleswig-holsteinische Umweltminister Robert Habeck (Grüne).

Noch unklar ist, ob es sich bei dem getöteten Tier um denselben Wolf handelt, der am Karfreitag in der Nähe eines Bauernhofs in Kirchwerder gesehen worden war. Jens Matzen, ehrenamtlicher Wolfsbetreuer des Landes Schleswig-Holstein, geht nicht davon aus - auch wenn Wölfe ohne weiteres 50 Kilometer am Tag zurücklegen können. "Der Wolf von Kirchwerder hat eine deutlich dunklere Fellfärbung und größere Pfoten als der verendete Wolf bei Ahrensburg", sagt Matzen. Zunächst hatte der Unfallfahrer, ein 35 Jahre alter Pole, das Tier, das ihm vor sein Auto gelaufen war, noch für einen großen Hund gehalten. Eine Polizistin erkannte aber rasch, dass es sich um einen Wolf handeln könnte.

Gegen Mitternacht verständigte sie Matzen und seinen Kollegen Dirk Hadenfeldt. Die beiden Experten sahen den Kadaver auf der Straße liegen, sein Schädel war völlig zertrümmert. Auf ein bis zwei Jahre schätzten sie das Alter des Rüden. Am Morgen brachte Matzen den Wolf mit seinem Auto zum Berliner Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierkunde. Dort wird nun ermittelt, woran das Tier starb. Gleichzeitig untersucht das Senckenberg-Institut für Wildtiergenetik Proben, um zu klären, woher der Wolf stammt.

Dass in kurzer Zeit zwei Wölfe im Hamburger Umland aufgetaucht sind, hält Matzen für puren Zufall. Beide Tiere seien vermutlich gerade geschlechtsreif geworden. In dieser Reifephase sei es üblich, dass Wölfe ihr Rudel verlassen, um sich auf die Suche nach einem eigenen Revier zu machen. Von Osten kommend, wanderten viele Wölfe in Richtung Nordwesten, nicht wenige schafften es gar bis zur deutsch-dänischen Grenze. Der am Karfreitag in Kirchwerder gesichtete Wolf sei "vermutlich die Elbe hochgelaufen und in Hamburg gestrandet", sagt Matzen. "Niederlassen wollte er sich hier mit Sicherheit nicht." So nah am Hamburger Stadtgebiet sei es den scheuen Tiere zu laut, zudem sei die Futterversorgung nicht gesichert.

Henning Beeken vom Biohof Eggers ist der Schnappschuss von dem Wolf gelungen - dem ersten seit womöglich 100 Jahren in Hamburg. "Ich saß am Mittagstisch. Plötzlich sagte mein Neffe, da draußen läuft ein Fuchs - nur ich habe gleich gedacht: Das ist ein Wolf", sagt er. Er habe sich eine Kamera geschnappt und gleich auf den Auslöser gedrückt. Plötzlich flüchtete der Wolf, sprang in die Gose Elbe und schwamm davon. Angst habe er nicht verspürt, sagt Beeken, "eher eine Mischung aus Faszination und Vorsicht".

Auch wenn Wölfe Menschen meiden, so ist die Chance, dem unter Artenschutz stehenden Raubtier zu begegnen, deutlich höher als noch vor zehn Jahren. Seit Ende der 90er-Jahre drängt der Wolf über die polnische Grenze wieder zurück nach Deutschland und macht auch vor dem Norden nicht halt. So ist im Sommer 2012 auf dem Truppenübungsplatz bei Munster ein Rudel entdeckt worden - eine Wölfin, ihr Partner und mindestens drei Welpen. Zur gleichen Zeit wurde ein Wolf im Segeberger Forst beobachtet. Auch in Altengrabow und Ludwigslust haben sich Rudel oder einzelne Tiere angesiedelt. Insgesamt gibt es in Deutschland etwa 20 Rudel und Wolfspaare - vor allem in den fünf östlichen Bundesländern.

Anlass zur Furcht vor den Tieren gebe es nicht. "In der Regel nehmen sie vor Menschen Reißaus", sagt Markus Bathen, Wolfsexperte beim Nabu. "Begegnet man einem Wolf, sollte man keinesfalls weglaufen, sondern stehen bleiben und beobachten. Wer sich unwohl fühlt, kann einen Wolf leicht vertreiben, indem er ihn laut anspricht, in die Hände klatscht oder mit den Armen winkt." Eher ungewöhnlich seien auch Angriffe auf Nutztiere wie Schafe, zumal auf dem Speiseplan von Wölfen vor allem Rehe, Rothirsch, Wildschweine und Hasen stünden. Von 2007 bis 2012 wurden in Mecklenburg-Vorpommern allerdings 120 Angriffe auf Nutztiere registriert. An die betroffenen Viehhalter zahlte das Land rund 25.000 Euro Schadensausgleich. Am Mittwoch forderte die agrarpolitische Sprecherin der CDU-Landtagsfraktion, Beate Schlupp, schnell festzulegen, wie groß eine Wolfspopulation in Deutschland noch als "verträglich" eingestuft werde könne. Für den Nabu-Experten Markus Bathen ist klar, dass den Gefahren eines unwahrscheinlichen Wolfsangriffs durch einen konsequenten Herdenschutz in den neu besiedelten, nördlichen Wolfsgebieten nach sächsischem Vorbild begegnet werden könne. "Solange Schafe gut geschützt sind, meiden Wölfe die Gefahr, mit Elektrozäunen oder Herdenschutzhunden in Kontakt zu kommen", sagt Bathen.