Dem Traum vom Neuanfang folgten Millionen Auswanderer. Pastor John Siegmund lebt erneut in Norddeutschland. Eine untypische Geschichte.

Henstedt-Ulzburg . John Siegmund ist Amerikaner, wohnt im Kreis Segeberg, mit Eltern in den USA und Vorfahren aus Deutschland. Seine Geschichte ist nicht untypisch für die rund fünf Millionen Menschen, die über den Hamburger Hafen ausgewandert sind. Und doch ist sie speziell. Johann Heinrich Gustav Siegmund wanderte 1866 von Hamburg in die USA aus. Sein Urenkel kehrte 1975 hierher zurück. Seither ist er ein Sammler seiner Familiengeschichte. "Unsere Familiengeschichten sind die Mosaiksteine für was ganz Großes", sagt er. "Ohne den kleinen Mann oder die kleine Frau wäre die Weltgeschichte nichts."

Ein wichtiges Instrument seiner Forschung liegt im Auswanderermuseum Ballinstadt auf der Veddel. Hier fand John Siegmund den Namen seines Urgroßvaters auf einer Passagierliste nach New York. Die Passagierlisten wurden vom Staatsarchiv Hamburg über Jahre aufwendig digitalisiert und indexiert. Eine Schwierigkeit bestand darin, dass die Listen über den gesamten Zeitraum von 84 Jahren nicht gleich geführt wurden.

Am Anfang der Auflistung, um 1850, war der Vorname oft nur abgekürzt, der Beruf fehlte. Später wurden sogar die Verwandten aufgeführt, mit denen die Auswanderer den großen Schritt wagten. Der Geburtsort ist für die Familienforscher eines der wichtigsten Fundstücke: Damit können sie in den Stadt- und Kirchenarchiven weitersuchen.

Auch Wilson Gotardello Filho wurde in den Listen fündig. Der Brasilianer fand während eines Besuchs in Hamburg den Namen seiner Urgroßmutter. Rosa Auer war zehn, als sie mit ihrer Mutter 1892 nach Brasilien ging. Die Tochter Lucia, Wilsons Großmutter, wuchs in einer deutschen Siedlung auf und lernte erst als Teenager portugiesisch. Als Wilson Gotardello die Liste mit dem Namen seiner Urgroßmutter am PC der Ballinstadt entdeckte, war er ganz aufgeregt, erzählt er. "Ich bin direkt vom Museum ins Archiv gefahren, um das Originaldokument zu sehen."

Wilson Gotardello lebt mittlerweile in Deutschland. Wirklich verbunden fühlt er sich mit dem Land wegen seiner Vorfahren aber nicht. "Ich glaube, die Tatsache, dass ich die Sprache nicht spreche, macht den Unterschied." Aber dank seiner Oma kennt er immerhin einige einheimischen Gepflogenheiten und Gerichte. Im Unterschied zu ihrem Enkel hat sie sich in Brasilien nie als Brasilianerin wahrgenommen.

Dieses Hin- und Hergerissensein zwischen den Kulturen ist vielen Auswanderern gemein - und manchmal auch ihren Nachkommen. John Siegmund ist so einer. "Ich habe mich immer als Brücke betrachtet", sagt der Pastor aus Henstedt-Ulzburg. Sein Urgroßvater fasste in Baltimore Fuß, blieb aber seinen deutschen Wurzeln verbunden. Für die Deutsche Demokratische Partei in Baltimore habe er sogar mal für den Bürgermeistersitz kandidiert, erzählt John Siegmund. Aus den alten Erinnerungsstücken der Familie kramt er ein Bild von Kaiser Wilhelm I. heraus - und gleich dahinter eins von George Washington.

Elke Trieglaffs Mutter ging es auf ihrem Auswanderer-Abenteuer ähnlich. Die Eltern waren Anfang des 20. Jahrhunderts nach Namibia ausgewandert, damals Deutsch-Südwestafrika. Margaretha kam in Kapstadt auf die Welt - in Gefangenschaft, in die sie durch die Wirren des Ersten Weltkriegs geraten waren. Von Afrika ging die Familie erst zurück nach Deutschland, wo der Vater in der Ballinstadt eine Anzeige für Auswanderer entdeckte: Brasilien.

Für Margaretha war das neue Ziel nichts, sie wurde oft krank. Als sie zehn war, schickten die Eltern sie allein mit ihrem sechs Jahre alten Bruder zurück zu den Verwandten nach Deutschland. Hier fühlte sich Margaretha wohl, Bruder Willi nicht. Er ging zu den Eltern zurück, mittlerweile in Uruguay ansässig. Mit ihm stand Margaretha stets in Kontakt, sah ihn aber erst 1988 wieder. Tochter Elke und Willis Sohn Fernando halten den Familienkontakt auch heute noch aufrecht, nach dem Tod ihrer Eltern. Elke Trieglaff würde gerne mal nach Uruguay, um Fernando und die übrige Verwandtschaft zu besuchen und zu erfahren: "Wer sieht wem ähnlich?"

Die Neugier auf die Vorfahren, die entfernte Verwandtschaft, treibt die Familienforscher. "Ich bin kein Zufallsprodukt, ich komme irgendwoher", erklärt John Siegmund, was ihn motiviert. Rebecca Geitner, Historikerin in der Ballinstadt, erreichen täglich rund ein Dutzend Anfragen. "Es macht unheimlich viel Spaß, wenn man rausfinden kann, wo die Vorfahren herkommen", sagt sie. Die schönsten Erlebnisse der Historikerin: Nach erfolgreicher Suche war sie Zeugin manch einer Familienzusammenführung.