Abendblatt-Reporterin war 18 Stunden freiwillig im Knast. Ein Erfahrungsbericht aus Niedersachsens erstem öffentlich-privaten Gefängnis.

Bremervörde. Üblicherweise geht niemand freiwillig ins Gefängnis. In die nagelneue Justizvollzugsanstalt (JVA) Bremervörde (Landkreis Rotenburg) mit 300 Plätzen kamen am Wochenende gleich scharenweise geladene Gäste aus Politik, Justiz und Wirtschaft sowie Anwohner, die den Aufenthalt bei einer Verlosung gewonnen hatten, um eine Probenacht in den Zellen zu verbringen. 126 Frauen und Männer ließen sich 18 Stunden lang einschließen. Anders als für die Insassen später hätte es für die Gäste aber einen Ausweg gegeben. "Bei Beklemmungen hätte man eine Exit-Karte ziehen können", sagte Nicola Wimmers, die stellvertretende Leiterin der JVA Bremervörde, der ersten in Niedersachsen, die in öffentlich-privater-Partnerschaft betrieben wird.

Bevor die ersten Häftlinge in dieser Woche erwartet werden, hat auch Abendblatt-Reporterin Ines van Rahden eine Nacht im Gefängnis verbracht und schildert hier ihre sehr persönlichen Eindrücke.

14.30 Uhr: Anstaltsleiter Arne Wieben begrüßt jeden Neuankömmling an der Eingangspforte per Handschlag. "Betrachten Sie sich heute als unsere Gäste und nicht als unsere Gefangenen", sagt er. Ein Privileg. Die "echten" Gefangenen, ausnahmslos erwachsene männliche Straftäter, werden vom 31. Januar an aus der JVA Uelzen/Stade nach Bremervörde verlegt.

14.40 Uhr: 50 Meter weiter geradeaus nimmt mir ein Wärter Handy und Personalausweis ab. "Bei guter Führung bekommen Sie das morgen wieder", sagt der junge Mann mit dem Justiz-Emblem auf der Brust - und schickt mich mit einem Lächeln auf die Magistrale. Wie schön das klingt. Doch meine Begeisterung über das schwungvolle Wort, ist von kurzer Dauer. Denn der Gang über den 250 Meter langen Verbindungsweg zwischen den einzelnen Hafthäusern ist bei minus acht Grad Celsius wahrlich kein Spaziergang. Die haben doch wohl dicke Decken hier? Vorsichtshalber habe ich Wollsocken für die Nacht eingepackt.

15 Uhr: In der Sporthalle gibt es ein kleines Begrüßungsbüffet. Im Angebot: Butterkuchen. Wahlweise mit Guss, Zucker oder Streuseln. Und es gibt Kaffee. "Für Sie extra frisch aufgebrüht", sagt ein Sicherheitsbeamter, der den Ausschank dirigiert. "Die echten Gefangenen kriegen nur Kaffeekonzentrat."

15.30 bis 17.30 Uhr: Auf geht's zum Rundgang. Meine Stationsverantwortliche zeigt mir die Anstalt. Neben der Küche und den Werkräumen befindet sich auf dem Gelände auch ein "Haus der Bildung". Gefangene können dort vor brombeerfarbenen Wänden musizieren, Religion praktizieren, einen höheren Schulabschluss erwerben und in der hauseigenen Bibliothek nach Büchern stöbern.

18 Uhr: Mit zwei Handtüchern, einem Becher, Besteck und Bettzeug ausgestattet, beziehe ich meine Zelle. Haus B, dritter Stock, Nummer B.3.15. Insgesamt gibt es auf der Station 20 Einzelzellen. Alle Räume sind etwa zehn Quadratmeter groß. In jedem gibt es eine separate Nasszelle. Das Waschbecken ist winzig, der Hahn dafür aber so überdimensional, dass ich beim Versuch, mein Gesicht zu waschen, das halbe Badezimmer unter Wasser setze.

Rechts an der Wand steht ein Kleiderschrank. Davor das Bett. Darüber ist ein kleines Regal mit Leselampe angebracht. Auf der gegenüberliegenden Seite stehen ein Schreibtisch, ein Stuhl, ein Schrank ohne Türen und ein Kühlschrank. Und es gibt zu meinem Erstaunen tatsächlich einen Fernseher. Klein, aber immerhin. Doch umsonst ist auch im Knast nichts. Wer das Gerät nutzen will, zahlt 6,50 Euro pro Monat für Strom und Satellitenempfang. Zimmerservice gehört nicht zum Angebot. Das Bett muss ich selbst beziehen. Wie damals auf der Jugendfreizeit, denke ich, und mache mich an die Arbeit.

18.30 Uhr: Essensausgabe. Für jeden steht eine "Menage" auf einem Schiebewagen bereit. Wieder so ein tolles Wort. Diesmal umschreibt es ein Tablett aus Plastik, in das Löcher für Teller und Tassen gestanzt wurden. Es gibt vier Scheiben Brot, zweimal Vollkorn, zweimal Weizen. Dazu Halbfettmargarine, eine in Häppchen geschnittene saure Gurke, drei Scheiben Käse. Außerdem zwei kleine Stücke Schmierkäse sowie eine Tomate, eine Gurkenscheibe, Petersilie und ein Salatblatt als Garnitur obendrauf. Der Schmierkäse lässt sich übrigens nicht verschmieren, ohne dass das Brot darunter ungewollt in kleine Fetzen reißt. Mein Magen knurrt. Und draußen vor meinem Fenster leuchtet das goldene M einer Fast-Food-Kette.

18.45 Uhr: Einschluss. Die 300 Kilogramm schwere Eisentür fällt hinter mir ins Schloss. Kein Türgriff. Dann bin ich allein. Nach der ersten Scheibe Brot stört mich das grelle Licht der Deckenleuchte. Ich mache die Halogenlampe aus, schalte die Tischleuchte ein. Besser. Als würde man sich eine Kerze anzünden. Draußen fahren Autos vorbei. Wohin die Menschen wohl unterwegs sind? Ins Kino? Einkaufen? Oder einfach nur nach Hause? Nach Hause. Was macht meine Familie wohl gerade? Bei dem Gedanken an ein gemeinsames Abendbrot habe ich keinen Hunger mehr.

19.15 Uhr: Mist. Fingernagel abgebrochen. Eine Feile durfte ich nicht mit in Gefängnis bringen. Aus Sicherheitsgründen.

19.45 Uhr: Die Tür öffnet sich. Vorträge in der Sporthalle stehen auf dem Programm. Anstaltsleiter Arne Wieben erklärt, wie ein Gefängnis funktioniert. Die Sicherheitsvorkehrungen sind beeindruckend: 6,5 Meter hohe Mauern, Zäune mit Stacheldraht, Mehrfachschleusen, Videoüberwachung und Fenster mit Sprengwirkungshemmung.

22 Uhr: Zurück im Haftraum. Wieder wird die Tür verschlossen. Nachtruhe. Ich lege mich ins Bett und versuche, zur Ruhe zu kommen. Meiner Nachbarin kann ich noch eine Weile beim Fernsehen zuhören. Das Haus ist hellhörig. Abgehängte Decken gibt es nicht. Darf es nicht geben. Zu unsicher, hatte Wieben in seinem Vortrag gesagt, und ein zu guter Platz für Verstecke.

Die Lüftung in der Nasszelle nervt noch 15 weitere Minuten. Liege ich eigentlich wirklich auf einer Matratze? Das Ding unter meinem Rücken ist steinhart. Ich habe keine Ahnung, wie ich darauf überhaupt schlafen soll. Und dann ist auch noch Vollmond - und der Vorplatz mit Strahlern hell erleuchtet. Die dünne Gardine vor dem Fenster reicht nicht, um den Raum abzudunkeln. Und so dauert es eine ganze Weile, bis mir endlich die Augen zufallen.

2.30 Uhr: Ist schon Morgen? Ach nein, die Strahler und der Vollmond ...

6 Uhr: Ich kann nicht mehr schlafen. Es ist immer noch so hell in der Zelle wie vor sechs Stunden. Mein Rücken schmerzt.

7.30 Uhr: Der Weckdienst kommt. Die Einschlusszeit ist beendet. In der Sporthalle wird Frühstück serviert. Wieben informiert uns, dass niemand seine vorzeitige Entlassung verlangt habe. Wäre ich um 2.30 Uhr gefragt worden, hätte ich "Ja" gesagt.

10.30 Uhr: Meine Haftzeit ist vorbei. An der Pforte händigt mir der Wärter Handy und Personalausweis aus. Ich verabschiede mich mit einem "Tschüs" - "Auf Wiedersehen" erscheint mir unangebracht. Nach 18 Stunden Freiheitsentzug hat mich das Leben wieder. Ja, tatsächlich fühlt es sich genauso an.