47-jähriger Lkw-Fahrer war offenbar betrunken, ihm droht eine Haftstrafe. ADAC fordert gelbe Warnschilder an kritischen Autobahnauffahrten.

Stuhr. Er hinterließ ein Trümmerfeld, am Ende seiner Geisterfahrt hatte der betrunkene Lasterfahrer zwei Menschen in den Tod gerissen. Es war gegen 21 Uhr am Neujahrsabend, als der 47-Jährige am Dreieck Stuhr eine Autobahnausfahrt in entgegengesetzter Fahrtrichtung genommen hatte. Als der Mann aus Lettland seinen Irrtum bemerkte, wendete er den 40-Tonner mitten auf der Autobahn - bei dem Manöver krachten mehrere Autos in den Laster. Ein 26-Jähriger und seine 20-jährige Beifahrerin aus Hannover hatten keine Chance. Sie starben noch am Unfallort. Der Geisterfahrer flüchtete unterdessen Richtung Hamburg, er wurde aber nach 25 Kilometern in der Nähe von Bremen festgenommen. Nach Angaben der Polizei Delmenhorst war er betrunken. "Wie hoch der Alkoholgehalt war, wird noch ermittelt", sagte ein Sprecher. Elf Fahrzeuge waren in die Karambolage verwickelt, zwei weitere Menschen wurden leicht verletzt. Die A 1 blieb bis zum frühen Morgen gesperrt. Der Schaden beträgt laut Polizei mindestens 85.000 Euro. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft Verden ist am Mittwoch ein Untersuchungshaftbefehl gegen den Mann erlassen worden.

Die folgenschwere Geisterfahrt des lettischen Lasterfahrers ist kein Einzelfall. In den vergangenen Wochen häuften sich schwere Unfälle nach Falschfahrten auf deutschen Autobahnen. Erst am vergangenen Sonntag starben zwei Menschen bei Dorsten nach der Kollision mit einem Geisterfahrer. Im Raum Hamburg sind nach Angaben des ADAC Hansa besonders viele Geisterfahrer unterwegs. Jährlich würden rund 40 Fälle pro 100 Kilometer Autobahn gemeldet - bundesweit sind es im Durchschnitt nur 13,5. Der Wert sei für Stadtstaaten und Ballungsräume aber nicht unüblich, sagt der Verkehrsexperte des ADAC Hansa, Carsten Willms.

Den traurigen Rekord hält in Hamburg die A 255 zwischen Hamburg Süd und den neuen Elbbrücken. Hier gab es 2011 auf einer Länge von 2,4 Kilometern acht Warnmeldungen. Allerdings müsse man diese Zahlen in Relation setzen zum hohem Verkehrsaufkommen, der Vielzahl an Anschlussstellen und dem kleinen Straßennetz. "Rund 90 Kilometer Autobahn gibt es im Hamburger Stadtgebiet, über die sehr viel Verkehr fließt", sagt Willms. So seien auf dem Abschnitt der A 255 täglich 100.000 Autofahrer unterwegs. 1914 Geisterfahrer auf deutschen Autobahnen hat der ADAC in einer eigenen Erhebung 2011 registriert, fünf Jahre zuvor gab es noch rund 100 Meldungen weniger. Die Zahl der Todesopfer ist mit etwa 20 pro Jahr (drei Prozent der Verkehrstoten auf Autobahnen) allerdings relativ konstant.

Auf die falsche Fahrbahn geraten Menschen nicht selten nach Drogen- oder Alkoholkonsum, so Willms. Das erklärt, warum Geisterfahrten an Wochenenden und nachts häufiger vorkommen als tagsüber oder an Werktagen. Die meisten Geisterfahrer seien männlich und tendenziell unter 35 Jahre alt. Nicht belegt sei, dass in fast der Hälfte aller Fälle ältere Menschen über 65 Jahren in die falsche Richtung fahren. Häufig verirrten sich Falschfahrer auf Zubringerautobahnen, weil die Verkehrsführung verwirrend sei. Unklar sei auch, wie viele Menschen nicht versehentlich in die falsche Richtung fahren, sondern in Selbstmordabsicht eine Kollision provozieren und den Tod Unbeteiligter in Kauf nehmen. "Gegen sie wird man auch mit allen möglichen verkehrspolitischen Maßnahmen nichts ausrichten können", sagt Willms.

Erst Mitte November hatte ein schrecklicher Unfall auf der A 5 bei Offenburg (Baden-Württemberg) eine erneute Diskussion über Konzepte gegen Geisterfahrten ausgelöst. Ein 20-Jähriger (Blutalkoholwert 1,9 Promille) kollidierte frontal mit einem anderen Wagen, sechs Menschen starben. Der hessische Verkehrsminister Florian Rentsch (FDP) forderte darauf die Installation von Asphaltkrallen an Autobahnauffahrten, die die Reifen falsch fahrender Wagen zerschlitzen. "Fordern kann man viel", sagt Willms, "aber so ein System bundesweit zu etablieren, würde die Kosten sprengen und das reinste Baustellenchaos produzieren."

Um die Sicherheit zu erhöhen und das Risiko von Falschfahrten zu reduzieren, setzt der ADAC vielmehr auf gut sichtbare, neongelbe Warnschilder, auf denen in großen Lettern "Stop falsch" prangt. Aktuell werden die Tafeln in Bayern getestet. Sie sollen, so der ADAC, an den gefährdeten der bundesweit 4000 Autobahnanschlussstellen aufgestellt werden, zumal die üblichen "Einfahrt verboten"-Schilder leicht übersehen würden. 30 besonders auffällige Autobahnabschnitte hat der ADAC bisher identifiziert.

In der Hansestadt gelten neben der A 255 vor allem die A 25 zwischen Hamburg und Geesthacht mit 14 gemeldeten Falschfahrern in 2011 als Gefahrenpunkte. Vernetzte Assistenzsysteme, die Autofahrer durch akustische Signale warnen, wenn sich ein Geisterfahrer in ihrer Nähe befindet, seien zwar sinnvoll. "Aber bis zu einer flächendeckenden Abdeckung könnten noch gut 30 Jahre vergehen", sagt Willms.

Bleibt der Fahrfehler folgenlos, kommen Geisterfahrer mit einem Bußgeld in Höhe von 200 Euro und einem Monat Fahrverbot davon. Den 47-jährigen Lkw-Fahrer von Stuhr hingegen erwartet nach Einschätzung von Verkehrsstrafrechtler Christian Demuth eine Anklage wegen Straßenverkehrsgefährdung und fahrlässiger Tötung. Demuth: "Angesichts der erheblichen Folgen und der Alkoholisierung ist hier eine Haftstrafe wahrscheinlich."