Acht Frauen wohnen und arbeiten im ehemaligen Benediktinerinnenkloster in Lüneburg. Die Gottesdienste sind öffentlich.

Lüneburg. Der Grieche am Kloster Lüne hat noch geschlossen, aber das Café ist bereits an diesem Morgen geöffnet. Einige Besucher stapfen durch den Schnee, der sich sanft über das Kopfsteinpflaster gelegt hat. Zwei Tage vor Weihnachten wollen sie die historische Anlage in Lüneburg besichtigen, die Nonnenzellen, die Kapelle, das Textilmuseum und vor allem die Klosterkirche. Vor dem Altar steht bereits der Weihnachtsbaum, davor schwebt über allem ein Adventskranz mit roten Schleifen und roten Kerzen.

Weihnachten hinter Klostermauern - das ist eine Reise in die Epoche der alten gotischen Kreuzgänge, als Benediktinerinnen im zwölften Jahrhundert hier lebten. Seit der Reformation ist es ein evangelischer Konvent.

Das Kloster mit seinem Gebäudekomplex aus dem 14. Jahrhundert ist allerdings kein Museum, sondern auch heute noch höchst lebendig. Acht Frauen, Konventualinnen genannt, wohnen und arbeiten im evangelischen Kloster. An diesem Montag feiern auch sie gemeinsam den Heiligen Abend. Wie in einer großen Familie. Den Rhythmus für den Tag und die Heilige Nacht geben die Glocken vor, die mehrmals täglich die Stille unterbrechen und jetzt zu den Christvespern und zur Christmette rufen. Zuletzt um 22.55 Uhr.

Äbtissin Reinhild Freifrau von der Goltz legt im Konventszimmer ein paar Holzscheite in den brennenden Kamin. Den Raum hat die gelernte Pharmazeutin mit goldenen Kugeltrauben und mit Engeln ihrer Großmutter geschmückt, die ihren Platz auf dem Kamin gefunden haben. Nebenan, im privaten Wohnzimmer, steht bereits der Weihnachtsbaum; unter den grünen Zweigen befindet sich vor einer brennenden Kerze die Krippe. Auch eine riesige alte Bibel liegt bereit. "Daraus werde ich uns am Heiligen Abend die Weihnachtsgeschichte des Evangelisten Lukas vorlesen", sagt die 64-Jährige.

Doch vorher muss richtig geheizt werden. Wenn sich die Konventualinnen an diesem Montag gegen 15.30 Uhr in der Vordiele zum Weihnachtskaffee treffen, muss der Kachelofen glühen. Damit keiner friert, wenn die Damen Stollen und selbst gebackenen Rehrücken speisen. "Das ist ein Gebäck aus unserer Familientradition", sagt die geistliche und wirtschaftliche Leiterin des Frauenklosters. "Ganz ohne Mehl, dafür aber mit reichlich Mandeln und Eiern wird es zubereitet." Und so beginnt das eigentliche Fest zwei Tage vorher, indem die Äbtissin für behagliche Wärme sorgt.

Bei weihnachtlichem Gebäck können die evangelischen Klosterfrauen ein wenig zur Ruhe kommen. Auch sie unterbrechen mit dem Fest der Geburt Christi den Alltagsstress und ihre geistlichen, kulturellen, künstlerischen und sozialen Aktivitäten. Außerdem müssen sie sogar im Winter immer mehr Touristen betreuen. Die wollen das Kloster unter sachkundiger Führung und bei rechtzeitiger Voranmeldung selbst in dieser Jahreszeit besichtigen. "Und das, obwohl ich ihnen sage, dass es bei uns sehr kalt ist", erzählt die Äbtissin, und legt neues Kaminholz nach.

In dieser gemütlichen Runde am Nachmittag gehen die Gedanken zurück ins vergangene Jahr. Froh sind die Stiftsdamen, dass neue Wohnungen für Konventualinnen entstanden sind. Zum Weihnachtsfest 2012 können sie sogar eine kleine Premiere feiern. 121 Jahre lang befand sich eine historische Figur aus der Klosterkirche - Christus als Salvator (Retter) - im Besitz des Museums für das Fürstentum Lüneburg. "Nun aber ist es uns nach langen Verhandlungen gelungen, die Holzfigur an ihren ursprünglichen Ort im Kloster aufzustellen", freut sich die Äbtissin.

Vier öffentliche Gottesdienste werden heute in der historischen Klosterkirche gefeiert: um 14 Uhr mit einem Krippenspiel, um 15.30 Uhr mit einem Musical, um 17 Uhr mit einer Predigt und um 23 Uhr als traditionelle Christmette. Die acht Klosterfrauen werden, festlich gewandet auf der Empore Platz nehmen und mit der ganzen Gemeinde zum Abschluss "Stille Nacht" singen. Zu den Gottesdiensten werden insgesamt gut 1000 Besucher erwartet, die teilweise aus Hamburg anreisen.

Einige Stunden vor Beginn der Christmette treffen sie sich ein weiteres Mal. Jetzt stehen die Bescherung und das gemeinsame Essen im Mittelpunkt. So wie es in den deutschen Familien Brauch ist. Die Äbtissin wird die Kerzen am Weihnachtsbaum entzünden und danach das verschlossene Weihnachtszimmer öffnen. Alle werden, wie jedes Jahr, den leuchtenden Tannenbaum bestaunen. "Auch mein Sohn mit seiner Frau ist diesmal mit dabei", sagt die Witwe und Mutter von vier Kindern.

Zum Fest gibt's Salat, Entenbrust, Rotkohl, Kartoffeln und als Dessert eine Himbeer-Kreation. Jede Einzelne der Konventualinnen trägt etwas zum Menü bei, damit nicht alles auf der Äbtissin lastet. So werden sie dinnieren und diskutieren und singen, bis es kurz vor 23 Uhr ist. Dann muss wieder gearbeitet werden. Drei Frauen und der Äbtissinnen-Sohn läuten per Hand die vier Glocken, am besten in dicke Wintermäntel gehüllt. Gut, dass der Mann mithilft, denn eine der Glocken ist sehr schwer in Gang zu setzen. Fünf Minuten lang erklingt das Geläut in der Stillen, Heiligen Nacht, bis danach die Orgel fulminant in die Festfreude einstimmt.

So besinnlich die nächtlichen Klosterstunden sind, am nächsten Morgen rufen erneut die Glocken zum Gebet. Um 9.55 Uhr, kurz vor dem Gottesdienst, müssen sie wieder per Hand zum Klingen gebracht werden. So ist es Brauch. Wie an den Werktagen wird die Äbtissin auch an den Festtagen durch die Kreuzgänge schreiten und in den einzelnen Bereichen des Klosters danach sehen, ob alles in Ordnung ist. Selbst zum Christfest kennt das Frauenkloster Lüne keine lange Pause.