Im den Landkreisen rund um Hamburg arbeiten überdurchschnittlich viele Menschen für wenig Geld. Die meisten von ihnen sind Frauen.

Sie gelten als wirtschaftliche Kraftzentren Schleswig-Holsteins: In den Landkreisen rund um Hamburg haben viele internationale Unternehmen ihren Sitz. Die Kaufkraft ist hoch, die Arbeitslosigkeit niedrig. Doch der Schein trügt: Im Hamburger Umland arbeiten überdurchschnittlich viele Menschen für wenig Geld. Etwa jeder vierte Vollzeitbeschäftigte muss sich mit Niedriglohn zufriedengeben und verdient damit maximal 1890 Euro brutto im Monat.

Das ist das Ergebnis einer Studie, die der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) Nord am Montag veröffentlicht hat. Auch im vermeintlichen Speckgürtel seien Dumpinglöhne an der Tagesordnung, sei der Arbeitsmarkt in Unordnung geraten. "Es gibt immer öfter Billiglöhne, Zeitarbeit, Minijobs, prekäre Beschäftigung und Werkverträge - damit aber werden die Arbeitgeber weitere Fachkräfte vertreiben, denn der Norden Deutschlands gilt längst als Lohnkeller der Nation", sagt Uwe Polkaehn, Vorsitzender des DGB Nord.

Die Studie bestätige das: Knapp 27 Prozent der Schleswig-Holsteiner, die Vollzeit arbeiten, bekommen nur Niedriglohn. Als Niedriglohnschwelle gelten nach einer Definition der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) in Westdeutschland 1890 Euro, in den ostdeutschen Bundesländern 1379 Euro, etwa zwei Drittel des Durchschnittslohns. In den westdeutschen Ländern liegt die Quote der Niedriglöhner bei 20,8 Prozent, Hamburg liegt mit 19,1 Prozent knapp darunter.

Unter den Randkreisen schneidet Pinneberg am besten ab: 23,5 Prozent der Vollzeitbeschäftigten verdienen hier maximal 1890 Euro brutto. Es folgen Segeberg mit 24,9 Prozent, Stormarn mit 26, Steinburg mit 26,2 Prozent, Harburg mit 30,1 und Herzogtum Lauenburg mit 30,7 Prozent. Das Schlusslicht bildet Ostholstein mit 34,6 Prozent.

Frauen müssen deutlich häufiger für einen Niedriglohn arbeiten als Männer, lautet eine weitere Erkenntnis der DGB-Studie. In Hamburg liegt der Frauenanteil unter den Billiglöhnern bei 25,5 Prozent, während 13,3 Prozent der Männer unter die Niedriglohnschwelle fallen. Im Landkreis Harburg muss fast jede zweite Frau mit Niedriglohn auskommen, im Kreis Herzogtum Lauenburg liegt die Quote bei 46,8 Prozent, in Pinneberg bei 37,4, in Segeberg bei 37,6, in Steinburg bei 44,8 in Stormarn bei 38,3 und in Ostholstein bei 49,6 Prozent.

In den Städten zeigt sich das gleiche Bild: In Kiel bekommen 28,6 Prozent der vollerwerbstätigen Frauen Niedriglöhne, in Lübeck 37,1, in Neumünster 41,2 und in Flensburg 40,2 Prozent. Damit gibt es fast überall doppelt so viele Frauen wie Männer, die prekär beschäftigt sind. "Frauen arbeiten überdurchschnittlich häufig in Branchen, in denen niedrige Löhne an der Tagesordnung sind", sagt Günther Beling, Sprecher des DGB Nord. Dazu zählten Gastronomie, Einzelhandel, Dienstleistungen und Pflegeberufe. Die Folge: Frauen müssten häufiger als ihre männlichen Kollegen ihren Lohn durch staatliche Leistungen aufstocken oder Zweit- und Drittjobs annehmen, um überleben zu können. Unberücksichtigt blieben in der DGB-Studie die Teilzeitbeschäftigten - darunter sind, so Beling, viele Frauen, die etwa im Einzelhandel tätig sind. Zwei Drittel aller Minijobber seien weiblich.

"Die Studie zeigt auch, wie wichtig eine gute Ausbildung ist", sagt DGB-Sprecher Beling. Die Quote derjenigen, die ohne Abschluss sind und Niedriglohn bekommen, ist etwa doppelt so hoch wie die der Arbeitnehmer mit abgeschlossener Berufsausbildung oder einem Studium.

Uwe Polkaehn, Chef des DGB Nord, leitet aus den Ergebnissen der Studie Forderungen ab: "Es müssen endlich faire Arbeitsverträge und Maßnahmen her, die prekäre Beschäftigung unterbinden und für bessere Entlohnung sorgen. Dazu sind solide Flächentarifverträge nötig, aber auch der gesetzliche Mindestlohn, Auftragsvergaben der Kommunen oberhalb von 8,50 Euro Stundenlohn, die Sozialversicherungspflicht vom ersten Euro Verdienst an, ein besserer Kündigungsschutz und das Verbot sachgrundloser Befristung von Arbeitsverträgen." Tarifflucht müsse unterbunden werden. Tarifverträge müssten für alle Betriebe gelten. Wer weiteres Lohndumping in der Wirtschaftsregion zulässt, verschärfe die Krise und den Fachkräftemangel.

"Diese Ergebnisse erstaunen und überraschen mich", sagt Heinrich Ritscher, Geschäftsführer des Unternehmensverbandes Unterelbe-Westküste und zuständig für die Kreise Steinburg, Pinneberg und die Stadt Norderstedt. Der Kreis Pinneberg sei einer der wirtschaftsstärksten im Norden. Die Unternehmen verdienten gut und zahlten ordentliche Löhne. Dass die im Norden niedriger seien als in Bayern oder Baden-Württemberg, liege an den geringeren Lebenshaltungskosten. "Und wenn die Schlussfolgerungen des DGB so zutreffen, stellt er sich damit selbst ein Armutszeugnis aus. Schließlich handeln die Gewerkschaften die Löhne mit den Arbeitgebern aus", sagt Ritscher.