Angesichts der erdrückenden Finanznot der Kommunen scheint in Niedersachsen eine Gebietsreform nach der Wahl unumgänglich.

Hannover. Als vor wenigen Wochen für zehn niedersächsische Kommunen die historischen Autokennzeichen wieder zugelassen wurden, standen die Lokalpatrioten in Städten wie Einbeck (Kennzeichen EIN) Schlange, um für ihre Stadt künftig vorn und hinten am eigenen Auto Flagge zu zeigen. 40 Euro kostet der Spaß. Aber nach der Landtagswahl wird es ernst für die 38 Landkreise und acht kreisfreien Städte im Land: Mehr als 40 Jahre nach der letzten kommunalen Gebietsreform erzwingt die pure Finanznot einen neuen Anlauf für größere Einheiten.

Mehr als fünf Milliarden Euro an Kassenkrediten hat die kommunale Ebene in Niedersachsen angehäuft, die eigentlich nur für die kurzfristige Deckung von Liquiditätsproblemen erlaubt sind, aber vom Innenministerium seit Jahren geduldet werden, weil die Einnahmen vorne und hinten nicht reichen. Dies gilt vor allem in den Regionen, die wie der Landkreis Lüchow-Dannenberg, das Weserbergland und der Vorharz mit einem besonders starken Rückgang der Einwohner und damit der Einnahmen rechnen müssen.

Innenminister Uwe Schünemann (CDU) hat schon vor Jahren die Notwendigkeit der Fusion von Kreisen gesehen, wurde aber vom Ministerpräsidenten Christian Wulff ausgebremst. Inzwischen philosophiert der Landesrechnungshof aber öffentlich über die Frage, ob Kommunen pleitegehen können. Um dieses Gespenst zu bannen, hat die Landesregierung ein Zukunftsprogramm aufgelegt, mit dem hoch verschuldete Gemeinden und Landkreise sich wenigstens teilweise sanieren können. Land und Kommunen stellen gemeinsam 70 Millionen Euro jährlich zur Verfügung, kommunale Körperschaften können damit bis zu 75 Prozent ihrer Schulden tilgen, wenn sie im Gegenzug ein Sparkonzept realisieren, um auch den Rest der Schulden zu tilgen. Inzwischen sind aus diesem Programm fast 800 Millionen Euro geflossen an Landkreise wie Lüneburg oder Goslar und über 30 Kommunen. Fusionen gab es nur auf Gemeindeebene.

Das Programm läuft im kommenden Frühjahr aus und am Grundproblem in strukturschwachen Gebieten mit steigenden Defiziten ändert auch das Programm wenig. Nur die CDU hat ansatzweise den Mut, in ihr Wahlprogramm zu schreiben, dass der Gesetzgeber notfalls eingreifen und Zwangsfusionen anordnen wird, wenn die betroffenen Gemeinden, Städte und Landkreise nicht freiwillig zusammengehen: "Droht Handlungsunfähigkeit, wird die Landesregierung Verantwortung übernehmen und handeln." In den Wahlprogrammen von SPD, Grünen, FDP und Linken dagegen wird das Prinzip der Freiwilligkeit beschworen. Der einwohnerschwächste und am höchsten verschuldete niedersächsische Landkreis Lüchow-Dannenberg ist ein Beispiel dafür, dass es kommunale Körperschaften gibt, in denen Lokalpatriotismus über Grundrechenarten triumphiert.

Ob nach der Landtagswahl am 20. Januar eine Koalitionsregierung sich den Realitäten stellt, ist ungewiss. In Mecklenburg-Vorpommern hat die Landesregierung vor zwei Jahren eine Kreisreform durchgesetzt mit erwartbaren mittelfristigen Einspareffekten - dort allerdings regiert eine große Koalition. In Schleswig-Holstein mit der Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und SSW gilt das Freiwilligkeitsprinzip.

Wenn CDU und FDP in Hannover auch nach der Wahl weiter regieren können, muss Ministerpräsident David McAllister (CDU) sich erst von seinem Innenminister von der Notwendigkeit von Zwangsfusionen überzeugen lassen, dann die FDP ins Boot holen. Kommt es zum Regierungswechsel, wird der hannoversche Oberbürgermeister und SPD-Spitzenkandidat Stephan Weil zeigen müssen, ob er den Sprung zum Ministerpräsidenten auch inhaltlich schafft und anpackt, was überfällig ist. Dass die Kreise größer werden müssen, hat Weil im Wahlkampf nicht verschwiegen, ob er aber Großkreise mit der Brechstange durchsetzen will, wie es die CDU vermutet, muss sich noch zeigen. Sollte er den Mut zu zwangsweisen Kreisfusionen aufbringen, kann er sich immerhin auf den CDU-Oberbürgermeister von Braunschweig, Gert Hoffmann, berufen, der seit vier Jahren die Notwendigkeit zur Bildung großer Einheiten predigt. Unabhängig von einer Kreisreform würde ein Regierungswechsel Auswirkungen für viele Landkreise und kreisfreie Städte haben. Als SPD und Grüne 1990 an die Macht kamen, schafften sie den Flächenfaktor ab, mit der CDU und FDP zuvor ihre Stammklientel im ländlichen Raum bedient hatten. Als dann CDU und FDP 2003 die Mehrheit stellten, führten sie den Flächenfaktor wieder ein. SPD-Spitzenkandidat Weil hat bereits angekündigt, ihn wieder abschaffen zu wollen. Die SPD will den kommunalen Finanzausgleich, also die Verteilung der Anteile der Kommunen an den Steuereinnahmen, an Faktoren wie Strukturschwäche koppeln.