15 Jahre Haft für den Angeklagten, der seine drei Söhne und die Tochter mit Teppichmesser getötet hat

Hildesheim. Ulrich Pohl ist seit mehr als zehn Jahren Vorsitzender des Schwurgerichts am Landgericht Hildesheim, ein im Umgang mit den Angeklagten oft harter Mann. Aber gestern rang auch er nach Worten, wie zuvor schon die anderen Prozessparteien, die an insgesamt fünf Verhandlungstagen versucht haben, der Frage auf den Grund zu gehen: Wie kann aus einem besonders liebevollen Vater über Nacht ein unvorstellbar gnadenloser Mörder werden, der in einem Amoklauf seine vier eigenen Kinder umbringt?

Andreas S., 37, hat am Abend des 14. Juni in dem kleinen Ort Ilsede im Landkreis Peine seine drei Söhne Lio, 5, Lean, 7, und Noah, 9, sowie seine zwölfjährige Tochter Pia mit einem Teppichmesser getötet, hat den drei schlafenden Jungen und dem sich wehrenden Mädchen mit ungezählten Schnitten die Kehlen durchgeschnitten.

Es gab, anders als in vielen ähnlichen Prozessen, keine Proteste im Saal, als Richter Pohl gestern das vordergründig milde Urteil verkündete: 15 Jahre Haft und Unterbringung in der Psychiatrie. Der psychiatrische Sachverständige Johannes Pallenberg hat Andreas S. im Prozess eine schwerwiegende Persönlichkeitsstörung und Depressionen bescheinigt und seine Tat als erweiterten Suizid gewertet.

Damit waren die Weichen gestellt für das Urteil, das Gericht folgte weitgehend dem Antrag der Anklage, die 15 Jahre gefordert hatte. Weil alle Prozessbeteiligten auf Rechtsmittel verzichteten, wurde das Urteil noch am selben Tag rechtskräftig.

Er glaubte, ohne die Kinder nicht sein zu können, und wollte mit ihnen lieber im Tod verbunden sein, statt ohne sie zu leben. So hat es Andreas S. unmittelbar vor seinem eigenen Selbstmordversuch in einem Abschiedsbrief geschrieben. Richter Pohl fand dafür deutliche Worte: "Das ist so etwas von niedrig, noch eigennütziger kann man Kinder nicht umbringen."

Der Richter zeichnete in der Urteilsbegründung die Abläufe nach, die zur Bluttat führten. Ein gehemmter junger Mann ohne jedes Selbstwertgefühl mit bereits deutlich depressiven Zügen lernt mit 22 Jahren beim Zelten zufällig eine junge Frau kennen, die sich sofort in ihn verliebt: "Der ist ja süß, den will ich heiraten." So kommt es, der frischgebackene Ehemann blüht auf, den vier Kindern ist er nicht einfach ein guter, sondern ein ungewöhnlich liebevoller, zugewandter Vater. Er hat alle Zeit der Welt für sie, in bescheidenen Verhältnissen richtet sich die Familie klaglos und fröhlich ein, ein kleines Idyll mit einem Garten, der ein einziger großer Spielplatz ist. Eine Bilderbuchehe, so schildern es die Nachbarn am Tag nach dem Tod der vier Kinder.

Dass er, beschäftigt bei der örtlichen Autobahnmeisterei, auch angesichts knapper Finanzen überfordert war, das hat nur Ehefrau Tanja bemerkt - offenkundig ohne zu ahnen, wie tief die Ursachen zurückreichen und wie folgenschwer dies werden kann. Von der Rückkehr der Depressionen, die mit der Heirat überwunden schienen, erfahren die Nachbarn lange Zeit nichts. Auch nichts von Alkoholabhängigkeit, von Streitereien der Eheleute, von psychiatrischer Behandlung, einer Entziehungskur mit Rückfall.

Ehefrau Tanja hat im Prozess von ihrem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch gemacht, wohnt weiter in dem Reiheneigenheim, in dem ihre Kinder gestorben sind. Die Nachbarn in Ilsede haben sich nicht mit dem inzwischen nach solchen Familiendramen fast ritualisierten Kerzen am Straßenrand begnügt, sondern Geld gesammelt, für sie das Reiheneigenheim grundlegend renoviert, neue Farben und neue Möbel gebracht.

Eine Frage aber, die Tanja S. wohl nie wieder loswerden wird: Warum hat sie ihm nicht geglaubt, als er zuletzt immer häufiger mit Selbstmord drohte, wenn sie von der aus ihrer Sicht unvermeidlichen Trennung sprach? Sie fühlte sich am Ende von ihm bedroht, er selbst hat in seinem Geständnis und gegenüber dem psychiatrischen Gutachter sogar einen Vergewaltigungsversuch eingeräumt. Aber eines hat sie sich eben nicht vorstellen können - dass er den Kindern etwas antun könnte.

Als sie Zeit zum Abschalten brauchte, einen Kurzurlaub in Dänemark machte, hat sie ihm bedenkenlos die Kinder anvertraut. Dafür durfte er auch noch einmal ins früher gemeinsame Reihenhaus zurückkehren. Aber dann hat sie ihm am Nachmittag des 14. Juni telefonisch mitgeteilt, ihr Entschluss sei endgültig, sie wolle die Scheidung, und er solle das Haus verlassen, ehe sie zurückkehre.

Um 19.13 Uhr schreibt Tochter Pia verzweifelt im Internetnetzwerk Schüler-VZ "alles kaputt" und meint doch nur die Ehe der Eltern. Ihr Vater hat ihr ein Specksteinherz geschenkt: "Mama will es nicht mehr, ich möchte, dass du es nimmst, damit du immer an mich denkst", habe er gesagt.

Da also hat er offenkundig nur an den eigenen Selbstmord gedacht oder auch nur an die Trennung von seinen Kindern. Kaum drei Stunden später aber, er hat inzwischen getrunken, greift er zum Teppichmesser und tötet die schlafenden Jungen. Danach stirbt die Tochter, sie ist aufgewacht, steht vor ihrem Bett, wehrt sich verzweifelt, schreit. Aber er hört sie nicht.

Danach bahrt Andreas S. alle vier toten Kinder im Ehebett auf, will sich töten, zerfetzt sich nun selbst Arme und Hals, wird in buchstäblich letzter Minute vom inzwischen alarmierten Notarzt gerettet. Richter Pohl: "Er hat sich mit dem eigenen Überleben eine Strafe ganz eigener Art angetan."

Das Gericht hat keinen Zweifel daran, dass Andreas S. weiter selbstmordgefährdet ist, daran hat das Gericht keinen Zweifel. Aber nur weil er bereits einmal geplant hat, frontal in ein entgegenkommendes Auto zu fahren, konnte jetzt die Unterbringung in der Psychiatrie angeordnet werden - weil er das Leben Dritter gefährdete.