Boris Pistorius soll bei Wahlsieg in Niedersachsen Innenminister werden. Nun droht ein Prozess wegen Veruntreuung von Beamtenprämien.

Hannover. Mit großem Vergnügen hat der niedersächsische SPD-Spitzenkandidat Stephan Weil gestern in Hannover die Niederlage der schwarz-gelben Landesregierung tags zuvor vor dem Staatsgerichtshof kommentiert. Das Kabinett McAllister habe das Parlament nicht umfassend zur Affäre Wulff informiert, hatte das Gericht geurteilt. Anschließend versuchte Weil, eine andere Justizentscheidung kleinzureden. Wegen des Verdachts der Untreue hat die Staatsanwaltschaft Anklage gegen den Oberbürgermeister von Osnabrück, Boris Pistorius, erhoben. Er soll im Falle eines SPD-Sieges bei der Landtagswahl am 20. Januar Innenminister unter einem Ministerpräsidenten Weil werden.

Jens Nacke, parlamentarischer Geschäftsführer der CDU-Landtagsfraktion, frohlockte denn auch prompt: "Herr Weil wird nicht umhinkommen, einen neuen Schatteninnenminister zu benennen." Es gehe nicht an, die Kommunalaufsicht diesem Mann anzuvertrauen: "Der steht im Verdacht, als Oberbürgermeister öffentliche Gelder veruntreut zu haben."

Ob die Anklageerhebung als Retourkutsche der Landesregierung auf dem Umweg über die weisungsgebundene Staatsanwaltschaft zu werten ist, weil sie wegen mangelhafter Auskünfte in der Affäre um den ehemaligen Bundespräsidenten Christian Wulff vom Staatsgerichtshof massiv gerüffelt worden ist - bei dieser Frage hielt sich SPD-Spitzenmann Weil zurück: "Darüber werde ich nicht spekulieren."

In der Sache steht er fest zu Pistorius, dem die Staatsanwaltschaft ebenso wie drei weiteren Spitzenbeamten aus Stadt und Landkreis Osnabrück bestätigt, es sei ihnen nicht um den eigenen finanziellen Vorteil gegangen. Der Vorwurf lautet, sie hätten praktisch allen Beamten analog zu Tarifsteigerungen für die Angestellten Zulagen gezahlt, für die es keine Rechtsgrundlage gebe. Die Ankläger pochen darauf, die entsprechende Verordnung erlaube dies für höchstens 15 Prozent der Beamten bei besonderen Leistungen. Die Staatsanwaltschaft hängt den Fall hoch auf, hat "wegen der Bedeutung der Sache" nicht vor dem Amts-, sondern gleich vor dem Landgericht Osnabrück Anklage erhoben. Um 450.000 Euro Schaden geht es und um einen Strafrahmen von bis zu fünf Jahren Haft.

Spitzenkandidat Weil machte gute Miene zum bösen Spiel, was ihm auch deshalb nicht leicht fallen dürfte, weil er mit seinen bislang vorgestellten Mitgliedern des Schattenkabinetts wenig Resonanz erzielt hat. Pistorius galt da noch als die bislang beste Wahl. Ob der gestern für das Umweltressort nominierte SPD-Landtagsabgeordnete Detlef Tanke ins Ziel kommt, ist fraglich. Denn wenn es überhaupt zum Regierungswechsel reicht, dann nur mithilfe der derzeit in allen Umfragen starken Grünen, die das Umweltministerium für sich reklamieren dürften.

Sechs von acht Ressorts sind schon vergeben, noch wartet die SPD, aber auch die Konkurrenz gespannt darauf, ob es Weil gelingt, im Bereich von Justiz und Sozialem wenigstens ein Glanzlicht in seinem Schattenkabinett zu setzen. Die vier bislang benannten Landtagsabgeordneten Gabriele Andretta (Wissenschaft), Frauke Heiligenstadt (Schule), Olaf Lies (Wirtschaft) sowie Tanke (Umwelt) kennt außerhalb des Landtages kaum jemand. Das gilt auch für Peter-Jürgen Schneider (Finanzen), der bis 2003 Chef der Staatskanzlei war und jetzt als Vorstand der Salzgitter AG vor der Pensionierung steht.

Der hannoversche Oberbürgermeister Weil beackert derweil das niedersächsische Land, hat aber wenig Gelegenheit, sich am ungleich bekannteren und populäreren Amtsinhaber David McAllister zu reiben. Und Anfängerfehler wie vor Monaten, als Weil sich eine Parteitagsrede von einer städtischen Sekretärin schreiben ließ, sind dem SPD-Spitzenkandidaten nicht noch einmal passiert. Er erstattete der Landeshauptstadt reumütig 163,04 Euro. Zumindest derzeit haben SPD und Grüne in Umfragen die Nase deutlich vor CDU und FDP - hauptsächlich wegen der Schwäche der FDP.

Was nun die Personalie Pistorius angeht, so steht Weil nicht allein: Der Ministerpräsident von Mecklenburg-Vorpommern, Erwin Sellering (SPD), hat gestern den Juristen Peter Bäumer zum Finanz-Staatssekretär berufen, obwohl gegen ihn ebenfalls wegen Untreue ermittelt wird. "Herrn Bäumer für die Dauer des Strafverfahrens - das voraussichtlich bis zur letztinstanzlichen Entscheidung noch mehrere Jahre dauern dürfte - nicht zu befördern käme einer unzulässigen Vorverurteilung gleich", begründete Sellering seine Entscheidung. Ein Argument, mit dem Weil nach dem 20. Januar auch Pistorius an den Kabinettstisch holen könnte.