Grüne kritisieren jedoch gleichzeitig das Finanzierungsmodell: Es sei nicht klar, wie viel von der eingenommenen Lkw-Maut an den Betreiber fließe.

Sittensen. In den vergangenen vier Jahren hatten die Streifenwagen der Autobahnpolizei auf der A 1 zwischen Hamburg und Bremen stets Listen dabei - mit den Breiten aller gängigen Fahrzeugtypen. Denn die bis zu sieben, je sechs Kilometer langen Baustellen auf 72 Kilometern erwiesen sich als wahre Goldgrube für den Fiskus: Immer wieder ignorierten Fahrer besonders schwerer Limousinen und Lieferwagen das Verbotsschild auf der linken Spur für Fahrzeuge mit mehr als 2,1 Meter Breite.

Vor allem an den Ein- und Ausfahrten der Baustellenbereiche, wo die Fahrbahnen besonders eng werden, sammelten Polizei und Streckenwärter regelmäßig Außenspiegel auf. Detlev Kaldinksi, Sprecher der Polizeiinspektion Rotenburg, berichtet von schier unglaublichen Verkehrsunfällen im Begegnungsverkehr der Baustellenbereiche: Da seien breite Lieferwagen auf viel zu schmalen Überholspuren unterwegs gewesen, der jeweils linke Außenspiegel habe über die schmale Trennmauer zwischen den Gegenfahrbahnen geragt. Wenn dann ein weiterer Lieferwagen - ebenfalls auf der linken Spur - entgegenkam, sei es mindestens um die Spiegel geschehen gewesen.

Denn immer wieder kam es auch zu richtig schweren Unfällen: Allein im Jahr 2010 wurden sieben Verkehrstote gezählt - so viele wie auch 2001, als es jedoch noch keine Baustellen gab. Im laufenden Jahr sei zum Glück auf der Strecke noch niemand tödlich verunglückt, heißt es bei der Polizei.

Dass die A 1 öffentlich geplant, aber privat finanziert wurde, hatte im Vorfeld immer wieder für Diskussionen gesorgt: So hatten die Grünen in der Vergangenheit Front gemacht gegen das Betreibermodell, weil bei dieser Öffentlich-Privaten-Partnerschaft (ÖPP) geheim gehalten werde, wie viel Geld der private Bauherr der 72,5 Kilometer langen A 1 zwischen Bremen und Hamburg aus der Lkw-Maut bekomme. "Die Politik betreibt mit dem Parlament ein Blinde-Kuh-Spiel", beschreibt Enno Hagenah, verkehrspolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion im Landtag in Hannover im Gespräch mit dem Hamburger Abendblatt die Situation. Mit diesem Verfahren werde das Etatrecht des Parlaments "untertunnelt", kritisiert er.

Tatsächlich ist die Vergabe einer eigentlich staatlichen Aufgabe, wie Bau einer Autobahn, eine versteckte Schuldenfinanzierung. Schließlich tritt der Staat auf 30 Jahre eigene Einnahmen ab. Aber selbst Hagenah räumt ein, im vorliegenden Fall habe es angesichts leerer Bundeskassen und der zuvor völlig überlasteten Autobahn keine wirkliche Alternative gegeben: "Der Ausbau war bitter nötig."

Der niedersächsische Verkehrsminister Jörg Bode (FDP) verteidigt das Betreibermodell ausdrücklich: "Hier haben die Planer absolutes Neuland betreten, und am Ende haben wir jetzt eine sehr schnell und sehr gut ausgebaute Autobahn zwischen Hamburg und Bremen." Bode erinnert im Gespräch mit dem Hamburger Abendblatt in diesem Zusammenhang ausdrücklich an die aufgeregte öffentliche Diskussion, als in der ersten Bauphase bei frisch gegossenen Asphaltdecken Baumängel auftraten: "Da war gleich die Rede von gierigen Konzernen, die zur Gewinnmaximierung an der Qualität sparen. Tatsächlich steckte dahinter ein schlichter Fehler im Mischungsverhältnis, der jedem Straßenbauer passieren kann."

Das Problem mit dem schadhaften Flüsterasphalt wurde damals gelöst, zeigt aber noch einen Unterschied zu den üblichen staatlichen Bauprojekten: Über die Kosten der Reparatur musste nicht diskutiert werden, das Risiko trug allein der private Betreiber. Projektleiter Lutz Hoffmann nimmt es bis heute gelassen: "Das Risiko ist auf uns private Investoren verlagert, aber dafür gibt es auch praktisch keine Streitfragen mehr mit dem Auftraggeber." Im Klartext: Nur wegen dieser eindeutigen Aufgabenteilung konnte es gelingen, die Autobahn so schnell auszubauen.

Daran wiederum hängt die Refinanzierung des Konsortiums. Denn für die 30-jährige Beteiligung an den Mauteinnahmen läuft die Zeit seit Baubeginn im August 2008. Und Hoffmann sagt auch ganz offen, dass wegen des Konjunktureinbruchs 2008/2009 bislang "nicht alle Blütenträume gereift sind", was die Zahl der Lastwagen angeht, die täglich registriert werden. Aber spätestens jetzt wird die Strecke noch attraktiver für den Güterfernverkehr sein.

Polizist Kaldinski hat nur einen Wunsch: "Angemessene Geschwindigkeit, bitte!"